Die Grünen wollen weiterhin die zumindest teilweise frei erfundenen Belästigungsvorwürfe gegen den Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar aufklären. Die Parteiführung zeigte sich „persönlich betroffen und erschüttert“ von dem Vorgang. Eine Lokalpolitikerin der Grünen hatte zumindest einen Teil der Vorwürfe sexueller Belästigung und auch sexuellen Missbrauchs offenbar erfunden. Der Parteivorsitzende Felix Banaszak sagte am Montag: „Stefan Gelbhaar ist Schaden zugefügt worden, wir bedauern das ausdrücklich.“ Die Ko-Vorsitzende Franziska Brantner sprach von „krimineller Energie“. Sie bekräftigte, dass die Grünen wegen der mutmaßlichen Falschaussage Strafanzeige stellen wollen, sowohl „gegen die benannte Person als auch gegen unbekannt“.
Auch Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck forderte Aufklärung: „Die Vorgänge im Berliner Landesverband sind gravierend und auch schockierend“, sagte er am Montag in Berlin. „Es muss unbedingt schnell und rücksichtslos aufgeklärt werden, was da eigentlich passiert ist, und auch die Konsequenzen gezogen werden.“ Er betonte: „Genau das hat sich der Bundesverband mit hoher Priorität vorgenommen.“ Der Parteivorstand sei da „komplett dran“.
Die Vorwürfe gegen Gelbhaar waren über den Sender rbb an die Öffentlichkeit gelangt. Der Abgeordnete dementierte sie von Anfang an, verlor aber daraufhin seine Kandidatur für den Wahlkreis Pankow, in dem nun Julia Schneider antritt. Nach aktuellem Stand beruhte zumindest eine der vorliegenden eidesstattlichen Erklärungen auf frei erfundenen Angaben einer Person mit dem Namen Anne K., die nach Auskunft des Senders vom Montag wohl nicht existiert. Der rbb teilte dazu mit: „Anne K. war nicht diejenige, für die sie sich ausgab. Mit hoher Wahrscheinlichkeit existiert diese Frau gar nicht.“
Banaszak teilte mit, sieben der weiteren Personen, die von Fällen sexueller Belästigung ebenfalls an Eides statt berichtet hatten, hielten ihre Vorwürfe aufrecht. Es werde, so Brantner, ein neues Verfahren aufgenommen, das unter Vorsitz von zwei Juristen, darunter der frühere Bundestagsabgeordnete Jerzy Montag, mit sofortiger Wirkung beginne. Damit wolle man denen gerecht werden, die ihre Vorwürfe gegen Gelbhaar aufrecht hielten.
Die SPD zeigt sich „schockiert“
Die Parteiführung reagierte damit auch auf den Vorhalt, dass die Ombudsstelle der Partei in der Sache bislang nicht ausreichend aktiv gewesen sei. Die Grünen-Politikerin Shirin Kreße, die mutmaßlich mit den falschen Vorwürfen aufgetreten war, erklärte am Sonntag, warum sie nach der Aufdeckung des Falls ihre Parteimitgliedschaft aufgegeben, ihr Mandat niedergelegt und auch ihre Beschäftigung bei einem Landtagsabgeordneten gekündigt habe. Grund dafür sei, „dass, während ich mich mit den Vorwürfen, die gegen mich erhoben wurden, auseinandersetze, ich möglichen Schaden von der Partei, aber auch Betroffenen sexualisierter Gewalt abwenden möchte“.
Der Grünen-Landesvorstand um die Parteivorsitzende Nina Stahr hatte Gelbhaar ebenso wie der Kreisvorstand aufgefordert, auf seine Kandidatur zu verzichten. Wörtlich hatte es in einer Erklärung geheißen: „Als Parteivorstand ist es unsere Pflicht, Schaden von der Partei abzuwenden, und wir sehen auch Stefan Gelbhaar in dieser Pflicht.“
Die Berliner SPD zeigte sich „schockiert“ von dem Fall und erhob Vorwürfe gegen die Grünen. In einer Erklärung des SPD-Landesvorstandes hieß es: „Es zeigt dabei auch grundlegende Fehlstrukturen der grünen Parteiverfahren auf. Robert Habeck tritt nun als Bundeskanzler-Kandidat für eine Partei an, die einen MdB aussortiert hat, ohne die im Raum stehenden Vorwürfe rechtsstaatlich zu untersuchen.“ Der Vorgang solle „auch für die mediale Berichterstattung eine Mahnung sein: Wenn Quellen nicht ausreichend geprüft werden, schwindet das Vertrauen in den Journalismus.“
Der Sender rbb teilte mit: „Uns ist als rbb in der Recherche ein Fehler unterlaufen. Journalistische Standards sind nicht vollumfänglich eingehalten worden. Die hinter der eidesstattlichen Versicherung liegende Identität ist von der Redaktion nicht ausreichend überprüft worden. Betrügerische Absicht und die kriminelle Energie, mit der unter großem Aufwand eine falsche Identität vorgespiegelt worden ist, haben dazu beigetragen, dass dieser Fehler geschah.“
Andreas Audretsch, Wahlkampfmanager der Grünen für die anstehende Wahl, wies am Montag Berichte zurück, in die Vorgänge involviert gewesen zu sein. Der Bundestagsabgeordnete aus Berlin-Neukölln hatte gegen Gelbhaar auf dem relativ sicheren Listenplatz zwei antreten wollen. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe zog Gelbhaar seine Kandidatur zurück, Audretsch wurde gewählt. Nun teilte er mit: „Ich weiß nicht, welche Frauen Vorwürfe erhoben haben, und habe mit dem gesamten Vorgang nichts zu tun. Ich habe zu keinem Zeitpunkt Einfluss genommen auf die Entscheidungen von Stefan Gelbhaar, des Kreisverbandes Pankow oder politischer Entscheidungsträger. Jeder Versuch, mich in eine solche Verbindung zu bringen, ist unzulässig und unredlich.“