Drogenkonsum in Deutschland: Rasanter Wandel und Altbekanntes

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Früher waren Drogen einfacher zu verstehen: Es gab aufputschende Mittel und „Downer“, die Leute dösig machten. Sowie Zeug, das Halluzinationen hervorruft und Konsumenten, so das Klischee, aus dem Fenster springen lässt. Doch die Drogenwelt hat sich in den letzten Jahren verändert. Nicht nur wird mehr konsumiert, auch die Zahl der verschiedenen Stoffe ist gestiegen. Viele passen in keine klassische Kategorie. Trends wandeln sich schnell. Neue Sub­stanzen tauchen auf, wie „Badesalze“ oder künstliche Opioide, die mit Schlafmohn so viel gemein haben wie ein Papierflieger mit einem Düsenjet. Zugleich werden Arzneien missbraucht, die Ärzte und Forscher gar nicht als Partydrogen auf dem Schirm hatten.


LSD



„17:00 Beginnender Schwindel, Angstgefühl, Sehstörungen, Lähmungen, Lachreiz. Mit Velo nach Hause. Von 18 – ca. 20 Uhr schwerste Krise.“ So beschreibt der Erfinder Albert Hofmann den allerersten LSD-Trip. Er testete das Mittel im Jahr 1943 an sich selbst. Lysergsäurediethylamid war das Ergebnis der Forschung am Mutterkornpilz für ein Kreislaufstimulans. Heute weiß man: Im Gehirn lockert es gewissermaßen die Verbindung zwischen Hirnarealen. Im Rausch kommt es zu Euphorie, Halluzinationen und zur Auflösung des Ichs. „Alles in meinem Gesichtsfeld schwankte und war verzerrt wie in einem gekrümmten Spiegel“, schreibt Hofmann.

LSD war vor allem die Droge der Hippiezeit. Seit einigen Jahren wird es in der Behandlung von Menschen mit Trauma, Ängsten und Depressionen erprobt. LSD gilt als relativ ungiftig, und es macht praktisch nicht abhängig. Allerdings kann der Rausch zum Horrortrip und als sehr beängstigend empfunden werden. Er dauert bis zu zwölf Stunden. 0,6 Prozent der Deutschen haben 2021 LSD genommen.






3,6 Prozent der Erwachsenen haben 2021 illegale Substanzen konsumiert, gemäß der aktuellsten repräsentativen Epidemiologischen Suchtsurvey. Das sind mehr als doppelt so viele wie zehn Jahre zuvor. Nimmt man das damals noch verbotene Cannabis hinzu – die mit Abstand beliebteste Droge –, sind es 9,6 Prozent, etwa fünf Millionen Menschen. Unter Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren waren es 8,3 Prozent, doch nur einer von hundert hat schon mal eine andere illegale Droge als Cannabis ausprobiert.


KETAMIN



Ketamin hatte in der Partyszene eine steile Karriere. Entwickelt wurde es 1962 als Narkosemittel, das Herz und Lunge nicht stört. So kann der Notarzt etwa Unfallopfer sedieren und Schmerzen lindern, ohne dass die Atmung unterdrückt wird. Es wirkt „dissoziativ“. Man fühlt sich losgelöst vom eigenen Körper, kann sich mitunter nicht mehr bewegen. Ketamin verursacht Halluzinationen. Akute Nebenwirkungen sind Panik, Übelkeit und vermutlich auch Krampfanfälle. Langfristige Folgen exzessiven Konsums sind unter anderem Gedächtnisprobleme und Nervenschäden. In der Allgemeinbevölkerung spielt es als Rauschmittel kaum eine Rolle. Sogar unter Berliner Studierenden hatten es 2017 nur 1,3 Prozent ausprobiert, in einer Umfrage unter Clubgängern jedoch jeder Dritte. Repräsentative Studien, die Aussagen über den Rest der Bevölkerung zulassen, gibt es nicht. Ketamin ist seit 2021 zur Behandlung von Depressionen zugelassen.


ECSTASY



In Deutschland haben 2021 rund 510.000 Erwachsene „Ecstasy“ oder MDMA genommen, ein chemischer Abkömmling von Amphetamin. Es wirkt vor allem über die Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin. Es verursacht einen Glücksrausch und ein Gefühl der Verbundenheit mit anderen. Licht und Musik werden intensiver wahrgenommen. Bei Überdosis gleichen die Symptome denen von Amphetamin. Es kann tödliche Organschäden durch die erhöhte Körpertemperatur verursachen. MDMA hat ein geringes Suchtpotential und wird für die Behandlung von Posttraumatischer Belastungsstörung erforscht.


Insgesamt ist vor allem der Konsum von Kokain, Amphetamin und Ecstasy gestiegen. Bei Kokain hat sich die Zahl der Konsumenten seit 2015 fast verdreifacht, auf 1,6 Prozent der Erwachsenen. Auch in Arztpraxen und Kliniken werden mehr Menschen wegen Kokainmissbrauch behandelt. „Kokain ist heute viel verfügbarer“, sagt Esther Neumeier, Leiterin der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht. 2023 hat die Polizei 43 Tonnen Kokain sichergestellt, zehn Jahre zuvor war es nur eine Tonne. „Dieses Phänomen sieht man in ganz Europa.“


KOKAIN



Die Blätter des Kokastrauchs waren schon bei den Inka im heutigen Peru vor rund 700 Jahren beliebt, etwa in spirituellen Ritualen. In der Region werden noch heute exzessiv Blätter gekaut und wird Kokatee getrunken. Die Wirkung ist vergleichbar mit starkem grünen Tee, die Blätter enthalten kaum ein Prozent Kokain. Das lässt sich erst mit Chemikalien isolieren. Bisher gibt es keinen Weg, Kokain künstlich herzustellen. Der Rausch entsteht, weil Kokain im Gehirn die Effekte der Neurotransmitter Serotonin, Noradrenalin und Dopamin verstärkt und deren Wiederaufnahme hemmt. Konsumenten fühlen sich wach, konzen- triert und selbstsicher. Die Stimmung steigt, Hemmungen fallen. Theoretisch hält der Rausch etwa 30 bis 60 Minuten an. Meist wird Kokain gestreckt, etwa mit Mitteln zur lokalen Betäubung, Amphetamin oder Tierentwurmungsmitteln. Kokain hat ein hohes Suchtpotential und verursacht viele schwere Langzeitschäden, etwa der Blutgefäße, und führt zu psychischen Problemen wie Psychosen. In Deutschland haben 2021 gemäß den aktuellsten Suchtsurveys 1,6 Prozent Kokain oder Crack konsumiert, etwa doppelt so viele wie 2012. Die Zahl der Crackkonsumenten steigt besorgniserregend. Crack ist ein Kokainsalz, dafür wird Kokain mit Chemikalien aufgekocht. Es ist günstig und macht stark abhängig.


GHB



GHB steckt in den „K.-o.-Tropfen“. Insgesamt nehmen nur wenige Menschen Gamma-Hydroxybuttersäure, doch in der Partyszene ist es ein gefährlicher Trend. In Umfragen hatten es hier drei bis 19 Prozent ausprobiert. Es kommt sehr schnell zu Überdosierungen, mit Erbrechen, Gedächtnislücken und Koma, vor allem wenn Alkohol im Spiel ist. GHB ist meist eine farb- und geruchlose Flüssigkeit und schmeckt seifig. Die Wirkung ähnelt dem Alkoholrausch. GHB gleicht dem Botenstoff GABA. Es ist in Deutschland als Medikament gegen Narkolepsie zugelassen.


In den Partyszenen der Großstädte macht auch GHB/GBL Probleme, der Wirkstoff in K.-o.-Tropfen. „Es vergeht kaum ein Dienst in der Rettungsstelle, wo nicht eine Konsumentin oder ein Konsument eingeliefert wird“, sagt Psychiater Felix Betzler, der an der Berliner Charité zum Drogenkonsum forscht. Manchen wird es untergemischt, die meisten nehmen es freiwillig. Diese auch als „Liquid Ecstasy“ bezeichnete Substanz ist brandgefährlich, ein Tropfen zu viel kann zu einer schweren Überdosis führen und den Konsumenten ins Koma befördern.


PSILOCYBIN



Psilocybin ist der Wirkstoff der „Magic Mushrooms“. Es verursacht Halluzinationen und ähnelt dem LSD-Rausch. 2021 haben 0,5 Prozent der Deutschen Zauberpilze genommen. Psilocybin wird als Arznei in der Psychotherapie erforscht.


NPS



Unter „Neue psychoaktive Stoffe“, NPS, werden rund tausend teils extrem unterschiedliche Substanzen zusammengefasst. Gemein haben diese „Designerdrogen“, dass sie – zumindest am Anfang – legal sind. Das Prinzip: In einem Labor irgendwo auf der Welt, oft in China, werden Substanzen gebraut, die so ähnlich wirken wie herkömmliche Drogen. Inspiration finden die Hersteller auch in den Daten von Pharmafirmen, die potentielle Medikamente wegen berauschender Wirkung oder Suchtgefahr verworfen haben.

Die häufigsten NPS sind etwa synthetische Cathinone, die aufputschend wirken. Oder die Stoffe sind Amphetaminen nachempfunden. Auch Cannabinoide sind eine Vorlage. Diese synthetischen Stoffe haben mit THC aus der Hanfpf lanze nicht viel gemein, außer dass sie an den gleichen Rezeptor binden. Die Wirkung ist teils extrem stark, und die Nebenwirkungen sind schwer. Aber auch LSD oder Opioide werden in veränderter Form legal verkauft. NPS werden oft im Internet geordert. Die Wirkung lässt sich kaum erforschen – da kommt schon der nächste Stoff. Das macht Experten Sorgen. Die Konsumenten sind meist „Psychonauten“, die neue Drogenerfahrungen suchen, berichten Suchtstellen. Etwa 1,3 Prozent der Erwachsenen haben 2021 ein NPS konsumiert.


„Illegale Substanzen lassen sich durch das Internet und soziale Medien einfacher beschaffen als noch vor einigen Jahren“, sagt Neumeier. Das hat auch die „neuen psychoaktiven Stoffe“, NPS, auf den Markt gebracht. Eine diffuse Gruppe, zu der mehr als tausend Stoffe zählen. Ihre Gemeinsamkeit: Sie werden klassischen Drogen im Labor nachgebastelt und leicht verändert – so können sie zunächst legal verkauft werden. Dazu gehören aufputschende „Badesalze“ und potente Opioide. Was sie im Körper bewirken, lässt sich kaum erforschen, so schnell verändert sich das Angebot. „Darum sind Angebote zum Drug-Checking sehr wertvoll“, sagt Betzler. „So können wir aufklären und den Markt im Blick behalten.“


SPEED



Speed „Speed“ oder „Pep“ sollte ursprünglich bei Asthma und Schnupfen helfen. Amphetamin wurde im 19. Jahrhundert an der Humboldt-Universität hergestellt und kam in den 1930ern als Benzedrin auf den Markt. Heute wird es bei Narkolepsie und ADHS verschrieben. Amphetamin wirkt, gelinde gesagt, aufputschend. Müdigkeit, Hunger, Durst werden unterdrückt, Konsumenten sind enthemmt, risikofreudig und haben unendliche Energie. Im Zweiten Weltkrieg wurde Soldaten Amphetamin gegeben. Im Gehirn steigert es unter anderem die Freisetzung von Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin. Nebenwirkungen sind vielfältig, etwa Herzrasen, erhöhter Blutdruck und Verwirrtheit. Eine Überdosis kann zu Krampfanfällen und zum Herzstillstand führen. In Deutschland hatten 2021 1,4 Prozent der Menschen Amphetamin konsumiert. Es hat ein hohes Abhängigkeitspotential. Für Schlagzeilen sorgt derzeit das aufputschende Captagon, das in großem Stil in Syrien hergestellt wurde. Der Inhaltsstoff Fenetyllin ähnelt in der Wirkung Amphetamin und gehört auch zu den Weckaminen. Früher wurde es bei ADHS gegeben.


LACHGAS



Seit neustem sieht man häufig neben Parkbänken große Kartuschen liegen. Lachgas ist unter Jugendlichen ein bedrohlicher Trend. Repräsentative Umfragen gibt es nicht, doch in Frankfurt hat jeder fünfte Schüler über 15 Jahre schon mal einen Ballon inhaliert. Lachgas wird als Gas für Sprühsahne verkauft. Distickstoffmonoxid löst einen Sauerstoffmangel im Gehirn aus und führt zu einem als euphorisch, entspannend und psychedelisch beschriebenen Rausch, der wenige Minuten andauert. Tatsächlich wurde Lachgas im 19. Jahrhundert zuerst auf Jahrmärkten angeboten, bevor es sich als Narkosemittel etablierte. Lachgas kann unter anderem zu Gangstörungen, Verwirrung und Ohnmacht führen und Risse in der Lunge verursachen, denn es ist rund – 55 Grad kalt. Langfristig schädigt Lachgas Nerven- und Rückenmark durch Vitamin B 12-Mangel und kann zu Lähmungen führen.


Unter jungen Erwachsenen liegen Benzodiazepine, Beruhigungstabletten mit hohem Suchtpotential, und Lachgas im Trend. Zwei Medikamente, die vor wenigen Jahrzehnten unter Jugendlichen keine Rolle spielten. Das bereitet Ärzten Sorgen. Lachgas kann man vielerorts kaufen, als Kartuschen für Sprühsahne. Es macht ein kurzes High, langfristig schädigt es Nerven und Rückenmark und kann sogar zu Lähmungen führen. In Kliniken tauchen Lachgas-Opfer trotzdem kaum auf: Die behandelnden Ärzte bringen die neurologischen Symptome oft nicht mit dem Narkosegas in Verbindung, und die Patienten verschweigen den Konsum.


CRYSTAL METH



„Crystal Meth“ ist der zerstörerische Bruder von Amphetamin, es wirkt stärker und macht schneller süchtig. Methamphetamin kam 1938 als harmloses Stimulans auf den Markt. Im Zweiten Weltkrieg wurde es Wehrmachtssoldaten gegeben. Im Jahr 2021 haben es 0,2 Prozent der Deutschen konsumiert.


CANNABIS



Cannabis ist eine der ältesten psychoaktiven Substanzen und das beliebteste Rauschmittel in Deutschland. Seit dem 1. April 2024 ist es teils legal.

Man darf 50 Gramm besitzen und drei Pflanzen daheim anbauen. Solide Studien gibt es bislang nicht, aber Umfragen deuten an, dass jüngere Erwachsene und Gelegenheitskiffer nun mehr konsumieren. Im Jahr 2021 hatten 8,8 Prozent der Erwachsenen Cannabis konsumiert, 2015 waren es noch 4,5 Prozent. Marihuana vom Schwarzmarkt wird immer stärker: Seit den 1970ern hat sich der THC-Gehalt fast verzehnfacht. THC ist der psychoaktive Wirkstoff in den Blüten der weiblichen Hanfpflanze.


Welche Substanzen sind nun die gefährlichsten? Das lässt sich nicht pauschal beantworten und hängt etwa auch von der Verbreitung der Droge ab. So gehen die größten Schäden und meisten Toten in Europa klar auf Alkohol zurück. Britische Forscher haben 2010 den Schaden verglichen, den die Drogen anrichten. Hinter Alkohol listen sie Heroin, Crack und Crystal Meth. In Deutschland haben 1,5 Millionen Menschen 2021 illegale Stoffe auf problematische Weise konsumiert, vor allem Cannabis. 2,9 Millionen missbrauchen Medikamente, etwa Schlaftabletten oder Schmerzmittel. Allerdings lässt sich auch das nur schätzen – wie so vieles in der Drogenwelt bleibt dies im Dunkeln.


HEROIN



Opium ist eine der ältesten Drogen der Menschheit. In Israel fand man Töpfe mit Spuren von Opium aus dem 14. Jahrhundert vor Christus. Für Rohopium wird die Samenkapsel der Schlafmohnpflanze angeritzt und der austretende Saft getrocknet.

Den Wirkstoff isolierte ein Apotheker aus Paderborn im Jahr 1804: Morphium wurde als Schmerzmittel nach dem griechischen Gott der Träume benannt. Die Opioide docken an die körpereigenen Rezeptoren, die unter anderem im Gehirn Gefühle und Schmerzen mitregulieren. Das sorgt für tiefe Zufriedenheit und Entspanntheit, alle negativen Gefühle und Schmerzen verschwinden. Keine Droge macht so süchtig wie die Opioide. Eine Überdosis führt dazu, dass der Mensch aufhört zu atmen. Der Entzug ist extrem.

In der Medizin sind Opioide die stärksten Schmerzmittel: Die Potenz eines Opioids wird im Verhältnis zu Morphium gemessen. Heroin landet bei 2,5. Synthetische Opioide wie Fentanyl, das vor allem aus China auf den Drogenmarkt kommt, sind rund hundertmal so stark wie Morphium. Es gibt Stoffe, die bis zu 11.000 Mal stärker sind. Das sorgt in den USA für eine Welle an Todesfällen. In Deutschland gibt es rund 166.000 Opioidabhängige.