Prozess gegen syrischen Arzt Alaa M. vor dem OLG Frankfurt

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46 Tage nach Baschar al-Assads Flucht aus Syrien trat am Donnerstag in Frankfurt am Main ein Mann vor den 5. Senat des Oberlandesgerichts, der einst einen Treueschwur auf den Präsidenten und obersten Befehlshaber der Streitkräfte geleistet hatte. In dem Verfahren, zu dem er geladen war, wird seit mittlerweile drei Jahren versucht, Vorwürfen der Bundesanwaltschaft gegen einen syrischen Arzt nachzugehen. In den Jahren 2011 und 2012 soll Alaa M. in Militärkrankenhäusern in Homs und Damaskus Regimegegner gefoltert und damit Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben. Der Zeuge, heute Anfang 40, war 2011 Oberleutnant in der syrischen Armee und eingesetzt in der Dienststelle Aleppo. Als er zu Beginn der Verhandlung von dem Vorsitzenden Richter Christoph Koller gefragt wird, ob er den Angeklagten kenne, deutet er auf Alaa M. und sagt: „Den kann ich nicht vergessen.“

Der Zeuge macht präzise Angaben

Mehr als 50 Zeugen hat der Senat in den vergangenen drei Jahren gehört. Vor allem im ersten Prozessjahr sagten sogenannte Opferzeugen aus, die Angaben über die Taten machten, die in der Anklageschrift aufgelistet sind. Ihnen folgten viele ehemalige Kollegen des mittlerweile 40 Jahre alten Orthopäden und Unfallchirurgen, der seit 2014 in Deutschland weilte und bei seiner Festnahme im Jahr 2020 in einer Rehaklinik in Nordhessen arbeitete. Viele dieser Befragungen waren nicht sehr ergiebig, da von mangelndem Erinnerungsvermögen oder -willen geprägt.

Das ist bei der Aussage dieses Zeugen anders. Er macht präzise Angaben, kann Sachverhalte bei Nachfragen konkretisieren. Gleichzeitig ist er immer wieder sehr emotional; seine Betroffenheit füllt den Gerichtssaal. Er gibt an, im November 2011 in Aleppo den Befehl verweigert zu haben, auf Demonstranten zu schießen. Zehn Minuten später sei er verhaftet und ins berüchtigte Sednaya-Gefängnis bei Damaskus gebracht worden. Nachdem das Gefängnis im Dezember befreit worden war, gingen Bilder von dunklen Kerkern um die Welt und von Menschen, die versuchten, vor Ort Informationen zu ihren lang vermissten Angehörigen zu finden.

Ein Blick in das berüchtigte Sednaya-Gefängnis – nach der Flucht Assads im Dezember 2024.
Ein Blick in das berüchtigte Sednaya-Gefängnis – nach der Flucht Assads im Dezember 2024.Reuters

Auf diesen Bildern machte Sednaya nicht den Eindruck, als könne sich irgendein Mensch an diesen Ort zurückwünschen. Doch der Zeuge in Frankfurt sagt an einer Stelle seiner Befragung: „Ich wollte zurück nach Sednaya.“ Zuvor hatte er ausgeführt, dass er aus Sednaya ins Militärkrankenhaus Tishreen in Damaskus gebracht worden war, da ihm die Haft körperlich zugesetzt hatte. Nach der Ankunft sei er mit anderen Inhaftierten unter Schlägen und schlimmsten Beleidigungen in einem Raum untergebracht worden, „in dem kein Tier gehalten werden sollte“. Er berichtet von miserablen hygienischen Zuständen. Ein Mitgefangener habe zu ihm gesagt, diejenigen, die in angeschlagenem Zustand aus Sednaya kämen, würden nicht mehr dorthin zurückkehren. „Das habe ich ihm nicht geglaubt.“ Vor allem, nachdem sie angekündigt bekommen hatten, am nächsten Tag werde ein Arzt kommen.

„Du hast einen Berufseid geleistet“

Dieser Arzt, so sagt es der ehemalige Soldat, sei Alaa M. gewesen. Er habe sich die eingepferchten Männer angeschaut und auf die schwächsten gedeutet, die von Mitinhaftierten in den Korridor vor den Raum getragen werden mussten. Dann sei die Tür zwar wieder geschlossen worden, aber man habe an verrosteten Stellen hindurchblicken können. Der Angeklagte habe Spritzen aus einem Koffer entnommen und sie den auf dem Boden liegenden Kranken verabreicht. Sie hätten Schreie ausgestoßen und seien verstorben.

Mit anderen zusammen habe er die Körper danach in schwarze Plastiksäcke packen und unter einem Baum im Hof ablegen müssen. Dieser Ablauf habe sich am Morgen des Folgetags wiederholt. Aus Angst, dass ihn das gleiche Schicksal treffen könne, habe er gehofft, bald wieder nach Sednaya zurückgebracht zu werden – was auch passierte. Bis Juni 2014 war er nach seinen Angaben dort inhaftiert; die vier Tage Aufenthalt in Tishreen lagen seiner Schätzung nach in den ersten Monaten des Jahres 2012. In dieser Zeit arbeitete M. als ziviler Arzt in dem Militärkrankenhaus.

Nach der Schilderung der Vorgänge spricht der Zeuge den Angeklagten direkt an: „Du hast einen Berufseid geleistet. Du hättest Patienten behandeln müssen, egal ob sie für oder gegen das Regime sind. Warum hast Du das getan? Was hattest Du davon?“ Auf die Frage des Vorsitzenden, welche Misshandlungen er persönlich in Tishreen erlitten habe, sagt er: „Die schlimmste Misshandlung ist, zu sehen, dass ein Arzt so etwas tut. Ich bräuchte hundert Psychologen, um das zu verarbeiten.“ Alaa M. schüttelt immer wieder den Kopf.

Die Befragung des Zeugen wird kommende Woche fortgesetzt.