Robert Habeck ruft Friedrich Merz zur Umkehr auf

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Der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck hat seinen Unionskonkurrenten Friedrich Merz in der Migrationspolitik zur Umkehr aufgefordert. CDU und CSU stünden mit ihrer möglichen Abstimmungsgemeinschaft mit der AfD über einen Migrationsantrag im Bundestag „vor einer Weichenstellung“.

Was in Österreich geschehe – eine Zusammenarbeit zwischen Rechtspopulisten und Konservativen, könne auch in Deutschland passieren. Das zeige sich jetzt und es zeige, wie sehr die Union sich seit Angela Merkel verändert habe. Seine Partei, so ließ Habeck wissen, stehe dafür nicht zur Verfügung. Er sagte, die Grünen seien nicht dazu da, „den schwarzen Populismus etwas grauer zu machen“.

Vier Wochen vor der Bundestagswahl diskutieren die Grünen bei einem Sonderparteitag in Berlin ihr Wahlprogramm. Mit den Schwerpunkten Klimaschutz, nachhaltiges Wirtschaften, Frieden und Sicherheit wirbt die Partei um Stimmen. Der eintägige Parteitag steht unter dem Motto: „Die stärkste Kraft im Land: Zuversicht“. In Umfragen liegt die Partei derzeit bei zwölf bis 14 Prozent, eine leichte Verbesserung gegenüber den Werten von Anfang November.

SonntagsfrageWie stehen die Umfragen vor der Bundestagswahl?

Der Parteitag erinnerte am Sonntagmorgen zunächst an die Opfer des Messeranschlags von Aschaffenburg, der Ko-Vorsitzende Felix Banaszak rief zu Zusammenhalt auf und wandte sich in seiner Eröffnungsrede gegen die Vorschläge der Union zur Migrationspolitik.

Banaszak und auch die nachfolgenden Redner forderten den Kanzlerkandidaten der Union, Friedrich Merz (CDU), auf, seine weitreichenden Vorschläge zur Begrenzung von Zuwanderung nicht in den Bundestag einzubringen. Viele Redner warnten vor weiteren Erfolgen der Populisten.

Habeck rief die Partei auf: „Läuten wir den Endspurt ein!“ Die Grünen „suchen die Verantwortung in diesen Zeiten“, doch es brauche Engagement für die Demokratie, „Einsatz für unser Land“ aus der Mitte der Gesellschaft.

Habeck spricht von Vertrauen und Zuversicht

Der Politiker sagte mit Blick auf mehrere Großdemonstrationen mit alleine in Berlin mehr als 35.000 Personen, auf einmal werde das Land wach, ein Umbruch sei im Gange. „Demokratie ist kein Zuschauersport, sondern lebt vom Engagement der Menschen“. Nicht eine Partei – „und seien es darin noch so viele“ – könne „den Karren aus dem Dreck ziehen“. Er spüre, so sagte Habeck, wachsende Zuversicht und wachsendes Vertrauen.

Der Wahlkampf könne „ein Kristallisationspunkt“ für Zuversicht und Optimismus sein. Es sei dennoch kein „Parteitag der Fröhlichkeit“. Schlimme, herausfordernde Dinge geschähen: Trumps Antrittsrede sei „eine einzige Herausforderung für alle, die eine offene, plurale Gesellschaft“ wollten, der Mord in Aschaffenburg an einem Kind mache sprachlos. Es brauche eine klare Analyse zu Vollzugsdefiziten und Verhaltensmustern. „Alles muss auf den Tisch und darf nicht weggewischt werden mit Wahlkampf.“

Demonstraten protestieren am Samstag in Berlin gegen extrem rechte Parteien.
Demonstraten protestieren am Samstag in Berlin gegen extrem rechte Parteien.EPA

Dazu gehöre aber auch, dass der Kanzlerkandidat angekündigt habe, „eine Mehrheit im Deutschen Bundestag zu bauen mit Hilfe der AfD. Nichts daran ist harmlos.“ Die Union sei dabei, Mehrheiten nicht mehr mit demokratischen Parteien zu suchen, sondern mit Rechtspopulisten und Demokratiefeinden. Das sei eine Weichenstellung, „mindestens strategische Unachtsamkeit“.

Aber Merz könne es noch schnell korrigieren: „Keiner macht keine Fehler“. Sonst drohten aus Unachtsamkeit oder Geschichtsvergessenheit Ergebnisse, wie man es gerade in Österreich erlebe, wo nun die rechtsradikale FPÖ die Regierungsbildung übernehmen könne. „Und wenn es in Österreich passieren kann, kann es auch in Deutschland passieren.“

Die Grünen, so Habeck unter stehendem Beifall der etwa 840 Delegierten, seien nicht geschichtsvergessen und nicht bereit, vor autoritären Parteien den Rücken zu beugen. Provinzielles und nationales Denken breitete sich unter der Merz-Kandidatur aus, eine Art „Germany First“ im Stile Donald Trumps. „Deutschland darf nicht Dominator werden, sondern muss Europa aus der zweiten Reihe dienend führen“, rief Habeck dem CDU-Vorsitzenden zu.

Eine „Alternativwahl“

Wenn Europa nicht den Unterschied mache, werde es vorbei sein mit dem Kampf gegen die globale Klimaerwärmung. „Wenn Europa umfällt, dann ist es vorbei“, deswegen sei die Wahl so entscheidend, so Habeck, eine „Alternativwahl“, die weit über die eigentliche Abstimmung hinausgehe. „Wenn der Populismus schwarz ist, dann sagen wir nicht, wir machen das etwas weniger grau, sondern wir setzen dagegen die ganze Vielfalt der Farben.“

Am Rande des Parteitags wurde von Veranstaltungen geschwärmt, die überaus gut besucht, ja regelrecht überlaufen seien: Leipzig 1400, München 1500, Freiburg 3000 bei Wahlkampfterminen. Mehr als 30.000 Mitgliedsanträge seien seit Anfang November eingetroffen, die Partei wächst um 20 Prozent.

Weniger Wachstum gibt es allerdings in den Umfragen. Bei den Spitzen-Wahlkämpfern ist viel von „Dynamik“ die Rede, man verweist auf ein bis drei Prozentpunkte, die in Umfragen zugelegt wurden. Doch die SPD bleibt vor den Grünen, in den aktuellen Umfragen werden die als schwach empfundenen 14,8 Prozent der vormaligen Kanzlerkandidatin Baerbock nicht erreicht.

Fall Gelbhaar belastet Grüne

Während Redner und Delegierte von Aufschwung und Zuspruch schwärmen, wurde die Berichterstattung der vergangenen zehn Tage vom Fall Gelbhaar bestimmt.

Jeden Tag erschienen neue Details zu falschen oder auch zutreffenden Belästigungsvorwürfen, zu den mutmaßlich Beteiligten und Nutznießern einer Intrige, zu der Frage, was Falschaussagen eigentlich für die bedeuten, die wirklich Grenzüberschreitungen erlebt haben. Denn sieben von acht Personen haben ihre Vorwürfe aufrechterhalten. Welcher Art sie sind: unbekannt. Wann das alles geklärt wird: keine Angaben.

Eine neue Kommission soll „unter Hochdruck“ arbeiten. Es ist das dritte Gremium in der Partei, nach der Berliner Landes-Ombudsstelle und Ombudspersonen der Bundespartei, das sich mit dem Fall befasst. Seit Anfang Dezember vorigen Jahres kurz hintereinander 18 Beschwerden gegen den Pankower Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar eingegangen sind, konnte die Bundespartei keinen Beitrag zur Aufklärung leisten.

Während die Grüne Jugend-Vorsitzende Jette Niedzart die Auffassung vertrat, die Unschuldsvermutung sei Sache von Gerichten und Anklägerinnen grundsätzlich zu glauben, drückte Frauenministerin Lisa Paus am Wochenende ein Gesamtbedauern aus. Es sei „viel schiefgelaufen“ in dem Fall, es gebe „viel verbrannte Erde“, sagte sie bei einer Veranstaltuung der Berliner Morgenpost. Die Falschbeschuldigung in wenigstens einem Fall habe „dem Feminismus und der Gleichstellungspolitik nicht nur einen Bärendienst erwiesen, sondern massiv geschadet”, so Paus, die selbst an der Spitze der Berliner Landesliste steht.