Debatte um Wahlprogramm auf Parteitag: Die Grünen geben Gas

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Als die Grünen am Sonntagvormittag auf ihrem Parteitag die Debatte zum Wirtschaftskapitel des Wahlprogramms eröffneten, da ging es nicht um das schrumpfende Bruttoinlandsprodukt, um die geringe Produktivität der deutschen Wirtschaft und auch nicht um Stahlhersteller, die angesichts der hohen Energiepreise zeitweise das Produzieren einstellen. Heiko Knopf aus dem Bundesvorstand der Partei sprach zunächst über den Rotmilan, den Feuersalamander und die Bedeutung des Naturschutzes. „Investitionen in den Naturschutz sind Investitionen in unser Land“, sagte er. Der Ton für den Parteitag war damit gesetzt.

„Zusammen wachsen“ lautet der Titel des Wahlprogramms, das die rund 830 Delegierten in Berlin am Sonntag festzurrten. Nicht alles, was die Parteispitze in den Programmentwurf geschrieben hatte, kam an der Basis gut an. Rund 1900 Änderungsanträge gingen seit der Vorstellung Mitte Dezember ein. Die meisten davon konnte die Antragskommission im Vorfeld abmoderieren oder durch sogenannte modifizierte Übernahmen ins Programm integrieren. Zu etlichen Punkten wurde in der Berliner Messehalle aber auch abgestimmt.

Ein Thema, bei dem der Programmentwurf nachgeschärft wurde, ist der Klimaschutz. Auch weil die anderen Parteien diesbezüglich aus Sicht der Grünen zu wenig Ambitionen zeigen, drängt die Partei auf verbindlichere Vorgaben. So steht nun im Wahlprogramm: „Bei prognostizierter längerfristiger Zielverfehlung soll in den jeweiligen Sektoren verbindlich nachgesteuert werden.“ Die Ampelkoalition hatte im vergangenen Jahr das Klimaschutzgesetz dahin gehend geändert, dass es jetzt vor allem auf die Gesamtbilanz der CO2-Emissionen ankommt, weniger auf die Zielerreichung der einzelnen Sektoren wie Verkehr, Industrie und Gebäude. Die Grünen hatten das schon damals nur mit Zähneknirschen mitgetragen. Sollten sie in der nächsten Regierung weiter mitregieren, wollen sie die Sektorziele wieder zurückholen.

Die Frage nach einem „Gasausstieg“

Ein strittiges Thema des Parteitags war die Frage nach einem „Gasausstieg“. Aus der Grünen Jugend war im Vorfeld die Forderung gekommen, nicht erst 2045, wenn Deutschland klimaneutral sein soll, aus dem Energieträger Gas auszusteigen, sondern schon bis 2035. Hintergrund ist, dass manche Energieversorger wie die Mannheimer Stadtwerke sich dieses Zieldatum für die Stilllegung des Gasnetzes gegeben haben. In einem Antrag zum Parteitag war sogar von einem Gasausstieg bis 2030 die Rede. „Wenn wir öffentlich einen Plan für den Gasausstieg vorlegen, dann gibt es auch keine Unsicherheiten“, sagte die Antragstellerin Mara Kleine aus dem Düsseldorfer Kreisverband der Grünen. Die Gegenrede hielt Felix Banaszak, Ko-Vorsitzender der Partei. „So schnell ist das nicht möglich“, sagte er. Aber: „Wir geben das Versprechen ab, eine Gasunabhängigkeitsstrategie vorzulegen.“ Diese Position setzte sich in der anschließenden Abstimmung durch.

Eine weitere Abstimmung gab es zur geplanten Investitionsprämie. Unternehmen, die investieren, sollen nach den Plänen der Grünen einen Steuerrabatt von zehn Prozent bekommen. Jakob Blasel, einer der beiden Sprecher der Grünen Jugend, warb dafür, diese Prämie nur für klimafreundliche Investitionen zu gewähren. „Eine Investitionsprämie, die fossile Energien einschließt, ist schlecht für die Wirtschaft“, sagte er und kritisierte die geplanten Gaskraftwerke. Die Ko-Fraktionsvorsitzende der Partei Katharina Dröge warnte jedoch, die Finanzämter würden sich im Fall einer inhaltlichen Differenzierung der Investitionsprämie „zu Tode prüfen“. Die Mehrheit der Mitglieder folgte ihr und lehnte den anderen Antrag ab. Auch die Forderung, ein Tempolimit von 120 Kilometern je Stunde auf Autobahnen und 80 Kilometern je Stunde auf Landstraßen festzulegen, wurde auf dem Parteitag abgelehnt.

Auch wenn der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck offiziell noch Wirtschafts- und Klimaschutzminister ist – seine Rede am Sonntag kreiste nahezu komplett um die von den Grünen empfundene Bedrohung der Demokratie durch die AfD und die bröckelnde „Brandmauer“ der Union zur AfD. An der Union arbeitete sich die Partei auch in wirtschaftspolitischer Hinsicht ab. „Ich frage mich, was das für eine Haltung ist“, sagte Katharina Dröge zu den Forderungen aus der Union, das Neuzulassungsverbot für Verbrenner in der EU im Jahr 2035 zu hinterfragen. „Wenn Friedrich Merz nach Brüssel reist und sagt, das kriegen wir nicht hin mit dem Green Deal, dann ist das auch eine Absage an die Beschäftigten von VW“, kritisierte Dröge und attestierte der Union „Mutlosigkeit“. Die Grünen stünden dagegen für „eine Politik, die anpackt“.

Die Grünen stehen derzeit in den Umfragen zwischen zwölf und 15 Prozent und auf Platz vier hinter Union, AfD und SPD. Der frühere Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi Frank Bsirske verteidigte in einem Redebeitrag auf dem Parteitag die Rentenpläne der Grünen, die – wie die SPD – das Rentenniveau dauerhaft bei 48 Prozent halten wollen. Wer die Rentenversicherung zukunftssicher machen wolle, müsse sie zu einer Bürgerversicherung umwandeln und alle Einkunftsarten einbeziehen, „so wie Habeck es vorgeschlagen hat“, sagte Bsirske. Habecks Vorschlag, auch auf Kapitalerträge Krankenversicherungsbeiträge zu erheben, war unter Ökonomen allerdings auf viel Kritik gestoßen.