Chinas KI-Coup erschüttert die Tech-Welt

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Das chinesische Unternehmen Deepseek, das erst vor knapp zwei Jahren gegründet wurde und hinter dem ein chinesischer Fonds steht, hat ein Sprachmodell entwickelt, das ähnlich gute Werte aufweist wie die Künstliche Intelligenz des US-Marktführers und ChatGPT-Entwicklers Open AI. Die Entwicklungskosten betragen allerdings nur einen Bruchteil. Keine App wurde in Apples App-Store in den USA am Montag häufiger heruntergeladen als die von Deepseek.

Die Aktien vieler wichtiger Technologiekonzerne brachen am Montag ein. Der niederländische Chipmaschinenhersteller ASML verlor ebenso mehr als ein Zehntel seines Börsenwertes wie der taiwanische Halbleiterhersteller TSMC und der US-Chipdesigner Nvidia. Allein der Rückgang dieser drei Aktienkurse vernichtete Börsenwert in Höhe von rund 500 Milliarden Euro, insgesamt wurden bis zu eine Billion Euro vernichtet. Der technologielastige Index Nasdaq in den USA verlor zeitweise 5 Prozent an Wert. In Deutschland büßte Siemens Energy im Tagesverlauf mehr als 20 Prozent ein.

Der Deepseek-Erfolg wirft grundsätz­liche Fragen auf. Vor allem in den USA investieren die Digitalkonzerne Hunderte Milliarden Euro in neue Rechenzentren, um ihre KI-Modelle zu trainieren. Erst vergangene Woche hatte Open AI zusammen mit Partnern und im Beisein von Präsident Donald Trump ein Investitionspaket von 500 Milliarden Dollar bekannt gegeben. Deepseek hat aber keinen Zugang zu den besten und teuersten Chips von Nvidia, sondern verwendet eine ältere Generation von Computerchips.

Amerika staunt

Für ein im Dezember veröffentlichtes Modell verwendete das Unternehmen nach eigenen Angaben nur gut 2000 Chips, ein Zehntel oder noch viel weniger dessen, was US-Unternehmen benötigen. Die Kosten wurden mit umgerechnet rund 5,5 Millionen Euro beziffert, auch das nur ein Bruchteil. Die Kosten für ein Modell, das Anfang vergangener Woche veröffentlichte wurde und nun mit etwas Verzögerung die Techwelt alarmiert, lagen zunächst nicht vor. In jedem Fall aber braucht das Unternehmen sehr viel weniger Rechenleistung als die US-Kon­­kur­renz. Der Risikokapitalgeber Marc Andreessen schrieb, Deepseek sei „eine der erstaunlichsten und beeindruckendsten Errungenschaften, die ich je gesehen habe“.

Anders als bei der US-Konkurrenz sind die Deepseek-Modelle frei einsehbar, also Open Source. Andere Entwickler können so leicht auf der Arbeit der Chinesen aufbauen. Fachleute sagen schon länger voraus, dass die großen KI-Modelle irgendwann zu allgemeinen Gütern werden und die Wertschöpfung eher in der konkreten Anwendung der Modelle liegt. Open AI, Microsoft oder Google wollen aber mit dem Verkauf ihrer Künstlichen Intelligenz Geld verdienen. Falls diese Modelle schon früher als erwartet zur Stangenware werden, würde das die Rendite ihrer Milliardeninvestitionen infrage stellen.

Sanktionen gehen ins Leere

Zudem wird das Modell zur Heraus­forderung für die Trump-Regierung. Sein Vorgänger Joe Biden hat mit scharfen Sanktionen versucht, die chinesische Chip- und KI-Industrie auszubremsen. Erst Anfang Januar verschärfte Biden die Sanktionen weiter. „Deepseek zeigt, dass die Sanktionen absolut nicht wirksam sind“, sagte der Shanghaier Techunternehmer Robert Wu der F.A.Z. „Das treibt die Leute hier zu neuen Innovationen an“.

Wu ist Chef des Daten-Unternehmens Bigone-Lab und kennt das Unternehmen hinter Deepseek, den Investmentfonds High-Flyer-Capital , der vor allem auf Grundlage von Algorithmen investiert und laut Wu zeitweise mehr als 100 Milliarden RMB, umgerechnet rund 13 Milliarden Euro verwaltete. Deepseek selbst reagierte nicht auf eine Anfrage der F.A.Z. Das Unternehmen sei sehr zurückhaltend, sagte Wu.

Chinas Weg

Deepseek und High-Flyer wurden von dem chinesischen Entwickler Liang Wenfeng gegründet und haben ihren Sitz in Hanghzou, südlich von Shanghai. Die Stadt gilt als eine der chinesischen Tech-Hochburgen. Unter anderem der Digitalkonzern Alibaba hat hier seinen Sitz. Deepseek unterscheidet sich von vielen anderen chinesischen Tech-Start-ups vor allem dadurch, dass das Unternehmen nicht von kommerziell interessierten Investoren dominiert wird, sagte Wu. „Ich glaube nicht, dass Deepseek sich dafür interessiert. Die sind auf einer Mission und wollen etwas Großes erreichen.“ Gleichzeitig sei das Unternehmen gut finanziert.

Die Auswirkungen auf Europa sind zwiegespalten. Einerseits droht der Kontinent nach den Vereinigten Staaten nun auch endgültig von China abgehängt zu werden. Ganz neu ist diese Entwicklung jedoch nicht. Die staat­liche chinesische Akademie der Informations- und Kommunikationstechnologie errechnete vergangenes Jahr, dass 36 Prozent aller großen Sprachmodelle aus China stammen. Einen höheren Anteil erreichen nur die Vereinigten Staaten. Mit Deepseek scheint sich auch der qualitative Abstand zu Europa zu vergrößern.

Hoffnung für Europa

Gleichzeitig ist Deepseeks Durchbruch für Europas abgehängten KI-Bemühungen eine Chance. Denn ein großer Nachteil europäischer KI-Anbieter wie Aleph Alpha ist der fehlende Zugang zu Rechenkraft, die bekanntlich teuer ist. Einer der führenden amerikanischen KI-Anbieter, Anthropic, geht davon aus, dass sein kommendes Modell eine Milliarde Dollar im Training kostet. Die Chinesen zeigen, dass offenbar auch ohne Zugang zu gigantischen KI-Rechenzentren wettbewerbsfähige KI-Modelle möglich sind.

Mit dem französischen Start-up Mistral gibt es ein Unternehmen, dass auf den gleichen Ansatz setzt wie Deepseek: das sogenannte „Mixture-of-Experts“-Prinzip. Anstatt für jede Aufgabe die gesamte Künstliche Intelligenz zu befragen, unterteilen die Entwickler das Modell in Experten zu gewissen Themen. Stellt ein Nutzer beispielsweise eine physikalische Frage, leitet ein sogenannter Router die Frage an den Physikexperten im Modell weiter. Dieser Experte greift nur auf einen Bruchteil der Gesamtdaten zurück, nämlich den Teil mit physikalischen Informationen. Das macht „Mixture-of-Experts“-Modelle effizienter und günstiger.

Das Deepseek-Modell unterliegt der chinesischen Zensur. Politisch sensible Fragen etwa zum chinesischen Präsi­denten oder dem Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens beantwortet das Modell nicht.