Zwei Gemeinden, zwischen ihnen fließt ein Fluss, die Mosel. Sie bildet die Landesgrenze. Auf der deutschen Seite Perl, auf der luxemburgischen Schengen. Die Kinder beider Orte gehen in Perl zum Sportverein, kommen nach Schengen, um im Sommer schwimmen zu gehen. Die weiterführende Schule, das Schengen-Lyzeum, wird vom Saarland und Luxemburg getragen, befindet sich aber auf deutscher Seite. Die Eltern tanken in Schengen, kaufen Lebensmittel in Perl. Die Wege sind kurz, zwei Kilometer sind es von Ortskern zu Ortskern. Wie selbstverständlich geht es hin und her über den Fluss. Die Region ist eng verwachsen. „Wir leben den europäischen Gedanken“, sagt der Schengener Bürgermeister Michel Gloden, Mitglied der Liberalen in Luxemburg.
Gleichwohl macht er sich große Sorgen. Dort, wo vor bald vierzig Jahren das Abkommen über offene Grenzen abgeschlossen wurde, führt die deutsche Bundespolizei seit vergangenem Sommer Kontrollen durch. Erst nur zur Europameisterschaft, dann wurden die Grenzkontrollen für einen befristeten Zeitraum fortgeführt. Auf der Moselbrücke, auf der die Grenze verläuft, bildet sich mehrmals täglich stockender Verkehr. Bürgermeister Gloden, ein freundlicher Mann in seinen Fünfzigern, fühlt sich an die Kontrollen seiner Kindheit erinnert. Er fragt: „Weiß die deutsche Bundesregierung, was sie aufs Spiel setzt?“
Auf der Autobahn 8, die oberhalb von Schengen und Perl verläuft, verengt sich die Fahrbahn auf deutscher Seite zu einer Spur. Erst Tempo 40, dann 20. So rollen die Fahrzeuge gemächlich an zwei Beamten vorbei, die vor einem kleinen Container stehen. Der Polizist hat ein Gewehr um den Hals hängen, sein Kollege hat eine Kelle in der Hand. „Halt Polizei“ steht darauf. Konzentriert blicken die beiden in jedes Fahrzeug. Alle paar Minuten gibt der Polizist einem der Autos das Zeichen, zu stoppen. Der Fahrer wird aufgefordert, auf den Rastplatz zu fahren, dessen Auffahrt wenige Meter entfernt ist. Die Kollegen werden per Funkspruch informiert.
„Die Polizisten machen ja nur ihre Arbeit“
Der herausgewunkene Mercedes fährt auf den Rastplatz. Drei Beamte nähern sich dem Fahrzeug. Eine von ihnen führt das Gespräch mit dem Mann. Sie bittet um Führerschein und Fahrzeugpapiere. Während der Mann erklärt, dass er seinen Personalausweis nur als Foto dabeihat, blickt der zweite Kollege auf die Rückbank, sichert die Kontrolle, wie es heißt. Der dritte Beamte schaut, ob weitere Fahrzeuge kommen, behält den Überblick. Als die Polizistin mit den Fahrzeugpapieren in das improvisierte Büro in einem Container geht, um etwas zu überprüfen, erzählt der Fahrer, dass er Autos im Dreiländereck Luxemburg, Frankreich und Deutschland überführe, er werde ständig kontrolliert. „Die roten Kennzeichen“, sagt er und lächelt. Auf die Frage, wie er das findet, sagt er: „Scheiße“, fügt aber hinzu: „Die Polizisten machen ja nur ihre Arbeit.“
Die allermeisten Kontrollen verlaufen freundlich. Die Polizei spricht von einer hohen Kooperationsbereitschaft. Eine Ausnahme gab es wenige Tage zuvor, als ein Mann die Grenze durchbrach und die Polizisten ihn erst nach ein paar Kilometern stoppten. Er führte Diebesgut und Waffen mit sich. In einem anderen Fall wurde eine mutmaßliche Kindesentführung unterbunden. Auf der 157 Kilometer langen Grenze des Saarlandes zu Luxemburg und Frankreich finden an zwei Stellen stationäre Grenzkontrollen statt. Laut vorläufigen Zahlen sind dort seit Sommer 1500 unerlaubte Einreisen festgestellt worden. Rund 1000 Zurückweisungen fanden laut der Bundespolizei statt.
Der Aufwand, der mit den Kontrollen verbunden ist, ist groß. Nach Angaben der Bundespolizei ist das Aufkommen in Perl deutlich geringer als am Saarbrücker Kontrollpunkt Goldene Bremm. Trotzdem sind in einer Schicht etwa ein Dutzend Beamte im Einsatz, meist vor allem Beamte der Bereitschaftspolizei, die an die Grenze verlegt werden.
In dieser Woche stammen sie aus dem pfälzischen Bad Bergzabern. Die Polizisten winken raus, führen Kontrollen durch, überstellen Personen, die über keine Ausweispapiere verfügen, an die Dienststelle in Perl. Die Arbeit ist zwar monoton, verlangt aber viel Konzentration und ist im Winter anstrengend. Wer bei nasskalten zwei Grad eine Stunde als „Einweiser“ auf der Autobahn stand, wie der Dienst heißt, wärmt sich erst mal im Container auf, wenn es das Einsatzgeschehen zulässt.
Die Muster der Polizei sind undurchsichtig
Im Feierabendverkehr am Nachmittag bildet sich auf der Moselbrücke ein Stau der aus Luxemburg kommenden Autos. Intern gibt es laut einer Polizeisprecherin die Vorgabe, dass sich die Fahrzeuge nicht länger als bis zum Tunnel reihen dürfen, der einen knappen Kilometer entfernt ist. Sicherheitsgründe. Die Beamten lotsen nun etwas mehr Autos durch als etwa am Morgen. Nach welcher der drei formalen Intensitätsstufen kontrolliert wird, dazu macht die Bundespolizei keine Angaben.
Stufe 1 wäre die Vollkontrolle, jeder muss sich ausweisen. Die dritte Stufe entspricht stichprobenartigen Kontrollen, wobei der Verkehr zeitweise ungesichtet weiterfließt. Stufe zwei sieht eine „lückenlose Sichtung aller Reisenden nach vorgegebenem Kontrollraster und Kontrolle aller ins Raster fallenden Personen und Sachen“ vor. In Perl scheint nach Stufe zwei kontrolliert zu werden. So oder so betont die Bundespolizei, dass die Grenze weiter offen ist.
Zur Frage, wie viele Autos herausgewunken werden und welchem Muster die Kontrollen folgen, dazu macht die Polizei aus einsatztaktischen Gründen keine Angaben, wie es heißt. Auch bei längerem Beobachten lässt sich kein Muster bei den Autos erkennen, die auf den Rastplatz geschickt werden, und denen, die man passieren lässt. Einzig Lastwagen werden fast immer durchgewunken, Reisebusse fast immer auf den Rastplatz gelotst.
Die Asylbewerber und die Frage nach der Abweisung
In einen Flixbus, der auf dem Weg von Luxemburg nach Zürich ist, steigen auf dem Rastplatz zwei Polizisten. Emilia, eine junge Frau Mitte 20, die aus Polen stammt und in Luxemburg lebt und arbeitet, darf nach der Kontrolle aussteigen. Sie will eine Zigarette rauchen. Sie ist häufig auf der Strecke unterwegs, besucht ihren Freund in der Schweiz. Die Kontrollen stören sie wenig. „Wenn Kriminelle dadurch aufgehalten werden, erfüllt es seinen Zweck“, sagt sie. Insgesamt dauert die Kontrolle des Busses vielleicht 15 Minuten. Keine Person ohne Ausweis wird aufgegriffen.
Anders ist es eine Stunde später. Nach der Kontrolle eines französischen Reisebusses steigen zwei junge Männer aus, die sich nicht ausweisen können. Während der Bus weiterfährt, bleiben sie auf dem Rastplatz. Die beiden wollen keine Angaben zu ihrer Herkunft machen, sitzen im Aufenthaltscontainer, der in einer der Haltebuchten steht. Sie sollen kurz darauf zur Dienststelle gebracht werden. Formal können sie an der deutschen Grenze sagen, dass sie Asyl beantragen, was sie aber am Rastplatz zunächst nicht tun.
Die CDU will erreichen, dass auch jene, die Asyl beantragen, abgewiesen werden dürfen. Nach den Vorstellungen von Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz sollen die bislang zeitlich befristeten Grenzkontrollen, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auch verlängern will, dauerhaft stattfinden. Kritiker halten das für einen Verstoß gegen europäische Verträge und das Schengener Abkommen. Die Gewerkschaft der Polizei warnt, dass für dauerhafte Kontrollen die Kapazitäten fehlen.
Die Folgen der „nationalstaatlichen Symbolpolitik“
Julian Dörr ist Pendler, und er ärgert sich über die Kontrollen. Er wohnt in Saarbrücken und arbeitet in Luxemburg, mehrmals pro Woche passiert er den Grenzübergang Perl. Er ist auf das Auto angewiesen, weil es zwischen den beiden Städten, die rund 75 Kilometer voneinander entfernt sind, keine Zugverbindung gibt. In Luxemburg staue es sich sowieso schon häufig, weil viele Franzosen zum Arbeiten ins Großherzogtum kommen.
Am Grenzübergang zu Deutschland steht Dörr nun täglich 15 bis 20 Minuten auf dem Nachhauseweg im Stau, wie er sagt. Er empfindet die Kontrollen als frustrierend, weil sie aus seiner Sicht so wenig Sinn ergeben. „Wer mit krimineller Energie über die Grenze will, der fährt von der Autobahn ab und nimmt die Landstraße“, sagt Dörr. Dort kontrolliert die Polizei nicht stationär. Die Bundespolizei führt jedoch an, dass sehr wohl im Rahmen der Schleierfahndung rund um die Uhr zivile Kontrollen stattfänden.
Der Pendler Dörr spricht gleichwohl von den stationären Grenzkontrollen als Symbolpolitik, von der man nicht wisse, welchen Schaden sie in der EU hinterlasse. Diese Sorgen macht sich auch der Oberbürgermeister von Saarbrücken, Uwe Conradt (CDU). Er hält die verfehlte Migrationspolitik für das Resultat nationaler Lösungen und mangelnder Zusammenarbeit auf europäischer Ebene.
Darauf mit „nationalstaatlicher Symbolpolitik“ zu reagieren, die zu einer weiteren Schwächung des europäischen Gedankens und damit der EU führe, sei der falsche Weg in Zeiten antieuropäischer Tendenzen, so Conradt. Im Saarland glaubt man sowieso, dass man sich in Berlin nicht bewusst sei, wie eng man mit den Nachbarländern verbunden ist. Allein von Saarbrücken gibt es ein Dutzend Wege, über die Grenze zu kommen, wird gerne angeführt. Für die mobilen Kontrollen, die Conradt an diesen vielen Stellen für effektiver hält, fehle Personal, das an den stationären Kontrollstellen gebunden sei.
In Schengen sollen im Sommer große Feierlichkeiten zum gleichnamigen Abkommen stattfinden. Die Unterzeichnung jährt sich zum vierzigsten Mal. Noch wird das Museum saniert, wird der Platz, auf dem sonst für jedes Schengen-Land ein Stern steht und eine Flagge, von Baumaschinen durchpflügt. Für die Feierlichkeiten im Sommer rechnet der Bürgermeister nicht mit der Teilnahme ranghoher deutscher Bundespolitiker. Wenn weiter kontrolliert werde, so Gloden, gäbe es schließlich wenig Grund zum Feiern.