Von der Leyen verspricht 37 Milliarden Euro an Einsparungen

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Kein Wettlauf um niedrigere Standards und Vorgaben, sondern eine wirtschaftliche Führungsrolle auf der Welt durch Bürokratieabbau und eine aus Brüssel gesteuerte EU-Industriepolitik. Nach dieser Devise will die Europäische Kommission ihre Politik in den kommenden fünf Jahren gestalten. „Europa hat alles, was es braucht, um an der Spitze zu stehen“, betonte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch in Brüssel bei der Vorstellung des Arbeitsprogramms für ihre zweite Amtszeit. Die EU habe nun einen Plan. Sie müsse diesen aber auch schnell und geeint umsetzen. Die Welt warte nicht.

Konkrete Gesetzesvorschläge enthält das als „Wettbewerbsfähigkeitskompass“ bezeichnete Arbeitspapier, über das die F.A.Z. vorab berichtet hatte, nicht. Es listet nur eine Reihe von Initiativen auf, die die Kommission angehen will. Von der Leyen stellte am Mittwoch den Bürokratieabbau ins Zentrum. Mit mehreren Gesetzespaketen oder „Omnibusgesetzen“ will die Kommission die Zahl der Berichte bündeln, mit denen Unternehmen belegen müssen, dass sie bestimmte EU-Regeln erfüllen. Den Auftakt soll im kommenden Monat ein Gesetz machen, mit dem die Berichtspflichten aus EU-Lieferkettengesetz, der Nachhaltigkeitsberichterstattung und der Taxonomie gebündelt werden (F.A.Z. vom 29. Januar). Insgesamt sollen sich die Berichtspflichten so um 25 Prozent verringern. Ziel sei es, bis zum Ende des Mandats 37 Milliarden Euro einzusparen, sagte von der Leyen.

Vorsichtiges Abrücken vom Green Deal

Die Kommissionspräsidentin ließ in dem Zusammenhang erstmals auch anklingen, dass sie bereit ist, von einzelnen Gesetzen des Green Deals abzurücken. Die Klimaziele der EU seien in Stein gemeißelt, sagte sie. Zugleich beschreite die EU mit dem Kampf gegen den Klimawandel Neuland. Sie müsse pragmatisch und flexibel sein. Vielleicht habe die EU zuletzt zu viel Mikromanagement betrieben und zu wenig auf vom Markt getriebene Anreize gesetzt, wie sie der Emissionshandel schaffe. Der in der Kommission für die Industriestrategie zuständige Vizepräsident, Stéphane Séjourné, hob hervor, der Weg dürfe beim Klimaschutz nicht zum Ziel werden.

Jenseits des Bürokratieabbaus will die Kommission die Industriepolitik der EU-Staaten stärker bündeln. Sie will ein Koordinierungsinstrument schaffen, um die bisher ihrer Ansicht nach häufig widersprüchliche Politik der Mitgliedstaaten zu zentralisieren. Wie das genau funktionieren soll, ist noch unklar. Die Kommission will sich zunächst auf einige Schlüsselsektoren wie Energie, Digitalisierung oder Künstliche Intelligenz (KI) konzen­trieren. Um KI zu fördern, will die Kommission auch neue Gigafabriken schaffen, die Unternehmen für die Entwicklung und das Training ihrer Programme nutzen können. All das soll durch einen Wettbewerbsfähigkeitsfonds unterstützt werden, den die Kommission im Rahmen des nächsten mehrjährigen EU-Budgets 2028 bis 2034 schaffen will. Wie viel Geld der Fonds bereitstellen soll, ließ von der Leyen offen. Einen Vorschlag will die Kommission bis Sommer vorlegen.

Ansonsten wiederholt das Papier viele schon bekannte Ideen, von der Vollendung der Kapitalmarktunion über den Abbau von Hürden im Binnenmarkt und der Senkung der Energiepreise bis zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für Schlüsseltechnologien. Die Reaktionen auf das Papier fielen zwiespältig aus. Klimaverbände warnten vor einem Deregulierungskurs und dem Ende des Green Deals. Der Europaabgeordnete der Grünen Michael Bloss hob hingegen das klare Bekenntnis zum Neunzig-Prozent-Klimaziel für 2040 hervor. Der CDU-Europaabgeordnete Christian Ehler lobte, dass die Wettbewerbsfähigkeit ins Zentrum der Agenda gestellt werde, warnte aber auch: „Wir müssen auch aufpassen, dass der Kompass nicht den feuchten Traum der Kommissionsservices wiederbelebt, die Wirtschaft in der EU zentral zu planen.“ Auch die FDP-Abgeordnete Svenja Hahn hob hervor: „Es ist naiv, zu glauben, man könnte die negativen Auswirkungen von zu vielen staatlichen Eingriffen in unsere Marktwirtschaft mit mehr Regulierung lösen.“ Die Deutsche Industrie- und Handelskammer betonte, es sei gut, dass nun ein Fahrplan vorliege. Nun müssten Taten folgen, die das Wirtschaften in den Betrieben vor Ort spürbar und in allen Branchen erleichterten.