Im September 2023 schwebte über der Wüste von Utah ein angesengter Behälter am Fallschirm vom Himmel. Er enthielt Gesteinsproben von jenseits des Mondes. Die amerikanische Raumsonde „Osiris Rex“ hatte sie drei Jahre zuvor auf der Oberfläche des Asteroiden Bennu gesammelt, der zumeist zwischen den Bahnen der Erde und des Mars um die Sonne kreist, dabei aber auch die Erdbahn kreuzt. Es war erst das dritte Mal, dass es gelang, Material von einem Asteroiden zur Erde zurückzubringen – und das erste Mal in erklecklichen Mengen: 121 Gramm tiefschwarzen Schotter bargen Mitarbeiter des Johnson Space Flight Center der NASA in Houston unter strengen Reinraumbedingungen schließlich aus der Kapsel.
Nun ist den Forschern Asteroidenmaterial auch so zugänglich. Mehr als siebzigtausend Brocken, die als Meteoriten zur Erde fielen, sind wissenschaftlich erfasst, und die große Mehrheit von ihnen ist irgendwann einmal von Asteroiden abgesplittert. Doch Eintritt in die Erdatmosphäre, Luftkontakt, der Aufprall am Boden und die danach einsetzende Erosion haben das kosmische Material, das in vielen Fällen aus der Zeit der Entstehung des Sonnensystems vor 4,567 Milliarden Jahren stammt, stark verändert. Daher erwartete man die Analysen der Proben von Bennu mit Spannung.
Diese Woche wurden nun zwei Untersuchungen publiziert. Die eine, in „Nature Astronomy“, scheint auf den ersten Blick die spektakulärere. Ein Team um Daniel Glavin und Jason Dworkin vom Goddard Space Flight Center der NASA, fand in den Bröseln von Bennu eine große Zahl verschiedener organischer Moleküle. Etliche kennt man aus dem Biologiebuch, darunter zum Beispiel 14 der 20 Aminosäuren, aus denen die terrestrische Biochemie Proteine aufbaut, sowie alle fünf organischen Basen, welche in den Erbmolekülen DNA und RNA die genetische Information codieren. Da durfte das Wort „Leben“ in den Titelzeilen der Pressemitteilung natürlich nicht fehlen.
Das darf man allerdings nicht falsch verstehen. Im größtenteils lebensfeindlich kalten äußeren Sonnensystem wimmelt es nur so von organischen Molekülen. Auch Aminosäuren aus dem All sind alles andere als etwas Neues. Sie wurden beispielsweise in einem Meteoriten gefunden, der 1969 nahe Murchison nördlich der australischen Stadt Melbourne herunterkam. Wie Glavin, Dworkin und Kollegen schon am Beginn ihrer Veröffentlichung feststellen, müssen zumindest die wasserlöslichen, stickstoffhaltigen organischen Moleküle auf Bennu ihren Messungen zufolge in den kalten Außenbereichen der scheibenförmigen Wolke entstanden sein, aus denen sich dann die Planeten des Sonnensystems bildeten.
Und wie bereits die Aminosäuren im Murchison-Meteorit kommen auch die von Bennu zu etwa gleichen Teilen in ihren jeweiligen links- wie rechtsdrehenden Varianten vor. Biologische Aminosäuren dagegen sind so gut wie immer linksdrehend. Zwar wird schon lange diskutiert, ob organische Moleküle in Meteoriten der terrestrischen Biochemie eine Starthilfe gegeben haben könnten, doch ob und in welchem Umfang dies der Fall war, ist keine Frage, die Asteroidenmaterial beantworten könnte.
Insofern ist die zweite der jetzt publizierten Untersuchungen an Material von Bennu die mit dem größeren Neuigkeitswert. Sie erschien in „Nature“, und ihr Autorenteam leitete Tim McCoy vom Museum of Natural History der Smithsonian Institution in Washington. Es untersuchte die Proben von Bennu auf Mineralstoffe und fand dabei unter anderem Verbindungen, die bisher in keinem Material aus dem All angetroffen wurden. Überrascht waren die Forscher beispielsweise von Trona, einem wasserhaltigen Mineral aus Natriumcarbonat und Natriumhydrogencarbonat, das auf der Erde in den Rückständen verdunsteter Gewässer vorkommt. Auch mikroskopische Kristalle natriumreicher Sulfate, Chloride und Phosphate fanden McCoy und Kollegen und argumentieren, es müsse sich dabei um Rückstände einer wässrigen Salzlösung handeln.
Salze auf kleinen Himmelskörpern wurden auch zuvor schon beobachtet. Auf dem tausend Kilometer großen Zwergplanet Ceres im Asteroidengürtel etwa fanden Astronomen zunächst rätselhafte weiße Flecken, die sich als Salzablagerungen entpuppten, Rückstände sogenannter kryovulkanischer Ausbrüche, bei denen statt Lava Salzlauge an die Oberfläche tritt.
Auch im Inneren des Himmelskörpers, aus dessen Trümmern sich der 600 Meter große Asteroid Bennu einst bildete, muss es demnach flüssiges Wasser gegeben haben. Das ist insofern plausibel als Asteroiden die Überbleibsel sogenannter Planetesimale sind, kleinerer Himmelskörper, die sich zuerst aus der protoplanetaren Wolke bildeten und dann zumeist Bestandteil der späteren Planeten wurden. In hinreichender Entfernung zur Sonne enthielten diese Körper auch jede Menge leicht verdampfbare Stoffe, allen voran Wasser. Auf ihren Oberflächen existierten diese nur in gefrorener Form, im Inneren aber gab es genügend Wärme aus dem Zerfall radioaktiver Elemente, um noch lange Wasser flüssig zu halten, das in Spalten zirkulierte und dabei aus den Gesteinsanteilen der Planetesimale Minerale herauslöste.
Mit dem Versiegen der radioaktiven Wärmequelle muss das Wasser verschwunden sein. Wie Yasuhito Sekine von der Universität in Kanazawa in einem Kommentar in „Nature“ erklärt, gibt es zwei Möglichkeiten für das Entweichen des Wassers aus den Mutterkörpern von Asteroiden wie Bennu: Es könnte zuerst gefroren sein, worauf das gebildete Eis dann langsam sublimierte – oder es begann aus der flüssigen Phase heraus zu verdampfen, während das Innere der Planetesimale noch warm war. In beiden Fällen ergeben sich unterschiedliche chemische Zusammensetzungen der zurückbleibenden Salze. Ein Vergleich der nun in Bennu gefundenen Salzsorten mit Salzablagerungen auf der Erde weist nun für Tim McCloy und seine Mitautoren klar auf das zweite Szenario: Die Salzbrühe im Inneren der Planetesimale ist nicht sublimiert, sondern verdampft.
Könnte die Kombination aus flüssigem Wasser und der Präsenz organischer Moleküle nicht doch dazu geführt haben, dass die Geschichte des Lebens im Inneren der Planetesimale begann? Nicht direkt. „Flüssiges Wasser ist für Leben zwar unabdingbar, in präbiotischen Systemen wäre es der Bildung vieler chemischer Bausteine von Biomolekülen aber abträglich gewesen“, schreibt Yasuhito Sekine. Allerdings enthielten die planetesimalen Salzlaugen Stoffe, die möglicherweise vor Ort zu biochemisch wichtigen Molekülen reagierten. Und „diese Reaktionen könnten durch die Verdampfen des Wassers in den Poren der einigen Planetesimale eingeleitet worden sein“.