Die Union muss jetzt auf Merz-Kurs bleiben

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Es gibt tatsächlich etwas, bei dem sich Grüne, SPD und AfD einig sind: Sie meinen, der vergangene Mittwoch markiere eine Zeitenwende. Während die jubelnde AfD von einem großartigen Tag für die Demokratie und vom Anbruch einer hellen Epoche spricht, beklagen jedoch zutiefst empörte Politiker der linken Parteien einen Tabubruch, der sie die Wiederkehr dunkelster Zeiten befürchten lässt.

Anlass für den zynischen Jubel der einen wie die an Hysterie grenzenden Mahnungen der anderen war ein Entschließungsantrag der Union, der zwar vom Bundestag gebilligt worden ist, jedoch keinerlei gesetzgeberische Wirkung entfaltet. Doch jagte die Tatsache, dass er dank der Zustimmung der AfD – wie auch der FDP und fraktionsloser Abgeordneter – eine Mehrheit bekam, Schockwellen durch Berlin, als sei Weidel zur Kanzlerin gewählt worden.

Das war am Mittwoch nicht der Fall. Und auch an diesem Freitag wird kein Ermächtigungsgesetz verabschiedet. Allerdings nahm die Union tatsächlich in Kauf, was ihr Kanzlerkandidat zuvor vermeiden wollte: dass es eine „zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit“ mit der AfD gibt. Zu der im selben Atemzug geforderten Einigung mit Grünen und SPD, mit der Merz genau das hatte verhindern wollen, war es nicht gekommen.

SPD und Grüne werfen der Union vor, was sie selbst für sich beanspruchen

CDU und CSU drohten in der Migrationspolitik Gefangene von SPD und Grünen zu bleiben. Wenn die wollen würden, was die überwiegende Mehrheit der Deutschen will – eine deutliche Begrenzung der Zuwanderung –, hätten sie den Anträgen der Union zustimmen und so der AfD den Triumph verweigern können. Doch Grüne und SPD nahmen ihn ebenfalls „sehenden Auges“ hin, weil sie an der Politik festhalten wollten, die sie für richtig erachten. Das hinderte sie freilich nicht daran, der Union in schrillsten Tönen vorzuwerfen, was sie für sich selbst in Anspruch nehmen.

Es war, wie es sein eigenes Bedauern zeigte, nicht die glücklichste Entscheidung des CDU-Vorsitzenden, mit Abstimmungen im Bundestag dem politischen Gegner diese Angriffsfläche zu bieten und damit auch die Möglichkeit zu geben, von der Misserfolgsbilanz der Ampelkoalition abzulenken, nicht zuletzt von der miserablen Lage der deutschen Wirtschaft.

Merz hatte die Migrationspolitik zuvor ausdrücklich nicht ins Zentrum des Wahlkampfs rücken wollen, weil es vor allem den Demagogen nutzt, wenn sich die gemäßigten Parteien bekriegen wie jetzt. Doch nach dem Messerangriff von Aschaffenburg und der Amokfahrt von Magdeburg musste die Union klar Flagge zeigen, um nicht länger mit jenen in einen Topf geworfen zu werden, die nach jeder Bluttat tränenreich ihr Entsetzen bekunden, sich aber auch bescheinigen, im Grunde alles richtig gemacht zu haben und viel mehr gar nicht tun zu können.

Merkel hatte die AfD wiederbelebt

Diese Unbeirrbarkeit ist der Hauptgrund für den Aufstieg der AfD. Das war schon in der Flüchtlingskrise so, als Merkel – die Merz nun in den Rücken fiel – mit ihrer Willkommenspolitik die fast schon scheintote AfD wiederbelebte. Zehn Jahre und eine Ampelkoalition später wenden sich noch mehr Deutsche dieser Partei zu, weil sie eine deutlich restriktivere Flüchtlingspolitik wollen. SPD und Grüne aber erklärten die Wähler der AfD zu armen Irren oder Nazis. Die Taktik, die AfD allein durch politische Isolation kleinzuhalten, scheiterte jedoch. Sie erwies sich, das zeigen die Umfragen und Wahlergebnisse, sogar als kontraproduktiv.

Die Unionsparteien dagegen haben sich entschieden, den Deutschen einen Migrationspolitik anzubieten, die der Überforderung von Staat und Gesellschaft sowie dem Kontrollverlust ein Ende setzt, sich aber klar abgrenzt von den völkischen und fremdenfeindlichen Visionen der AfD. Ob das am 23. Februar honoriert wird, hängt auch davon ab, wie stark der Sturm bleibt, der Merz nun ins Gesicht bläst. Gelänge es der von SPD und Grünen angeführten Koalition der Entrüsteten, der sich Merkel und die Kirchen angeschlossen haben, Merz auf den vermeintlichen Pfad der Tugend zurückzuzwingen, würde das kaum dazu führen, dass der AfD die Wähler so wegliefen wie den Kirchen die Mitglieder. Das Gegenteil wäre zu erwarten. Denn dann könnte die AfD wieder behaupten, dass es eine grundlegend andere Migrationspolitik nur gebe, wenn sie (mit) an der Macht sei.

Die Union kann jetzt, Merkel hin und Mützenich her, nur auf dem eingeschlagenen Kurs bleiben. Die Spitzenpolitiker von CDU und CSU müssten aber noch viel öfter erklären, warum die Union ihn einschlug: nicht, weil sie die „Natter“ AfD salonfähig machen möchte, sondern weil eine große Mehrheit der Deutschen immer dringender eine entschiedene Wende in der Migrationspolitik fordert. Die Union sollte umgehend die zahllosen Zeugen der Überforderung in den Kommunen, Schulen, Ausländerbehörden in den Zeugenstand rufen. Deren Klagelied, obwohl von Erschöpfung und Enttäuschung kündend, könnte locker mithalten mit dem Chor der über Merz Empörten in Berlin.