Studenten marschieren nach Novi Sad

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In Serbien gehen die Demonstrationen und Protestaktionen gegen das Herrschaftssystem von Staatspräsident Alexandar Vučić auch nach dem Rücktritt des bisherigen Ministerpräsidenten Milos Vučević weiter. In Belgrad war die Blockade einer Brücke angekündigt. Zudem wurden mehrere Hundert Studenten aus Belgrad nach einem zwei­tägigen Fußmarsch in Novi Sad er­wartet. In Serbiens zweitgrößter Stadt wollen sie sich dortigen Studenten bei für den Samstag geplanten Protest­aktionen anschließen. So sollen alle drei Donaubrücken in der Stadt besetzt und für mehrere Stunden gesperrt werden.

Diesen Samstag ist es genau drei Monate her, als bei dem Kollaps eines Vordachs am Hauptbahnhof von Novi Sad 15 Personen von den Trümmern erschlagen worden sind. Der Bahnhof war von einem chinesischen Staatsun­ternehmen, das mit einheimischen Subunternehmen zusammenarbeitete, zuvor kostenaufwendig renoviert worden. Durch die Enthüllungen eines bis zum Sommer 2023 mit der Bauaufsicht betrauten Ingenieurs wurde nach dem Unglück bekannt, dass dessen mehr­fache schriftliche Warnungen vor Pfusch bei der Renovierung des Vordachs ignoriert worden waren. Das geschah mutmaßlich aus Profitgier und Zeitdruck, weil die Regierung das Bahnhofsgebäude vor einem nahenden Wahltermin wiedereröffnen wollte.

Nicht zuletzt diese Enthüllungen haben die größte Protestwelle ins Rollen gebracht, die Serbien seit dem Sturz des Autokraten Slobodan Milošević vor einem Vierteljahrhundert erlebt hat. Vučić bezeichnete den betreffenden Ingenieur, der in Serbien zu landesweiter Berühmtheit aufgestiegen ist, dieser Tage als „Dieb und Betrüger“.

Opposition will keine Neuwahl

Die Protestbewegung besteht im Kern aus Studenten, sie reicht aber über das akademische Milieu hinaus. Zu ihren Forderungen gehört unter anderem, dass die Staatsanwaltschaft die Verantwortlichen für das Unglück von Novi Sad anklagen und es zu einem ernsthaften Prozess kommen müsse. Juristische Ermittlungen gegen mutmaßliche Straftäter, die Vučićs Serbischer Fortschrittspartei angehören oder ihr nahestehen, sind in der Vergangenheit oft in aller Stille eingestellt worden, sobald sich öffentliche Aufmerksamkeit für den jeweiligen Fall gelegt hatte.

Dies soll nach dem Willen der Demonstranten nun anders werden. Eine­ der zentralen Forderungen der Protestbewegung ist, dass die Prinzi­pien der Rechtsstaatlichkeit in Serbien wieder geachtet werden und staatliche Institutionen wie die Bauaufsicht, die Kartellbehörde oder der Rechnungshof die ihnen zugedachten Kontrollfunktionen auch tatsächlich ausüben. Die Proteste und Demonstrationen haben sich von Novi Sad und Belgrad aus auf viele weitere serbische Städte ausgeweitet.

Die Regierung versucht bisher, mit einer Mischung aus Zugeständnissen und Drohungen auf die Proteste zu reagieren. Zu den Zugeständnissen gehörte ein Versprechen des bei vielen Demonstranten als besonders korrupt geltenden serbischen Finanzministers Siniša Mali vom Donnerstag, laut der die Regierung die Studiengebühren um 50 Prozent senken werde. Dies nahm den Protesten zumindest kurzfristig jedoch nichts von ihrer Wucht. Vučić hat nach dem Rücktritt seines Regierungschefs eine vorgezogene Neuwahl angeboten, die es laut ihm noch im April geben könne.

Die Oppositionsparteien wollen darauf jedoch nicht eingehen, da in Serbien, wo alle zentralen staat­lichen Institutionen von der Regierungspartei kontrolliert werden, die Bedingungen für faire Wahlen nicht gegeben seien. Der parteipolitische Opposition fehlt jedoch auch abgesehen davon die Durchschlagskraft. Sie spielt bei den Protesten der Studenten keine sichtbare Rolle, da sich die Demons­tranten systematisch von ihr fernhalten.