Merz und sein Mut zum Risiko

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Friedrich Merz ist „all-in“ gegangen, und viele fragen sich, ob es, um in seiner Terminologie zu bleiben, ein „one-off“ war, also ein einmaliges Nutzen von AfD-Stimmen. Der Kanzlerkandidat der Union versichert dies, und man darf ihm seine tiefe Abneigung gegenüber der Rechtspartei abnehmen.

Nicht nur verachtet der Bürger Merz den SA-Ton, der in der AfD selbst an der Spitze zu hören ist, er weiß auch, dass die AfD die Union verdrängen, ja vernichten will. Dass er sich in dieser Woche trotzdem ihrer Stimmen bedient hat, dient einem einzigen, dialektisch anmutenden Zweck: Er will die AfD mit der AfD bekämpfen.

Der hochfliegenden moralischen Entrüstung über sein angebliches Ausbrechen aus der politischen Mitte hält Merz entgegen, dass die Demokratie von weiterem Nichtstun mindestens ebenso gefährdet werde. Dem ist schwer zu widersprechen. Die Erfolge der AfD und das wachsende Misstrauen in unsere politische Ordnung beruhen auch auf der Wahrnehmung vieler Bürger, dass die Traditionsparteien im Bundestag ein erkanntes Problem – die ungesteuerte Migration – seit Jahren wortreich beschreiben, aber nicht lösen.

Breiter Zuspruch aus der Bevölkerung

Hätte Merz nach dem Messeranschlag von Aschaffenburg nicht in die Offensive gewechselt, wäre es abermals bei Betroffenheitskundgebungen, Ankündigungen und Scheinlösungen geblieben. Die AfD hätte sich mindestens so sehr die Hände gerieben wie jetzt, wo sie zwar erstmals als Mehrheitsbeschafferin auftreten durfte, aber noch gar nicht begriffen zu haben scheint, dass ihr gerade der politische Boden entzogen werden könnte.

Merz beweist mit seiner Entscheidung Mut zum Risiko. Er hat eine Blockade aufgebrochen, die viele Bürger an der Demokratie hat zweifeln lassen, und stellt sich dafür ins öffentliche Feuer. Ob die erhoffte Wirkung eintritt und Protestwähler von der AfD zurückgeholt werden, hängt nun vor allem von seiner Partei ab.

Dem breiten Zuspruch aus der Bevölkerung steht die Unlust einiger Christdemokraten gegenüber, sich ebenfalls ins Feuer zu stellen und die alte Kuschelwelt zu verlassen. Es geht auch darum, eigene Fehlannahmen nicht eingestehen zu wollen. Bezeichnenderweise begann Angela Merkel, deren Politik das Land und die Union erst in diese Lage gebracht hat, den Aufstand gegen Merz. Schwerer trifft den Kanzlerkandidaten, dass amtierende CDU-Ministerpräsidenten mit ihrer Unterstützung zaudern, aber auch dieser vermutlich letzten Merkelianer-Rebellion fehlt die nötige Kraft.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Das Vorhaben, das Merz nun mithilfe von FDP und AfD in Gang gebracht hat, setzt erstmals am entscheidenden Punkt an: der Zahl der Migranten. Das Zurückweisen von Asylbewerbern an der Grenze würde nicht alle Probleme beseitigen, aber ohne ein Drosseln des anhaltenden Zustroms gibt es keine Hoffnung, der gewaltigen Herausforderungen irgendwann einmal Herr zu werden.

Merz kann jetzt nicht mehr zurück

Dass Merz nicht redlich versucht hätte, diese Migrationswende mit den Parteien der sogenannten demokratischen Mitte zu erreichen, kann man ihm schwer vorwerfen. Fast zwei Jahre lang bemühte er sich, in verschiedenen Verhandlungsformaten die Gangart in Berlin zu ändern. Sozialdemokraten und Grüne bewegten sich unter dem wachsenden Druck, aber nur millimeterhaft und widerwillig. Sie tragen die größte Verantwortung dafür, dass die AfD in die Rolle geraten konnte, trotz hässlicher Töne als Partner in der Migrationspolitik infrage zu kommen.

Ginge es nach SPD und Grünen, dürfte der Bundestag nur noch über Maßnahmen abstimmen, die vorher ihr Unbedenklichkeitssiegel erhalten hätten. Dass derartiges Denken überhaupt hoffähig werden konnte, liegt allerdings auch an Merz selbst, der noch im November vorgeschlagen hatte, nur Entscheidungen auf die Tagesordnung zu setzen, über die er sich zuvor mit SPD und Grünen geeinigt habe. Spät, aber nicht zu spät reifte in ihm die Erkenntnis, dass „eine richtige Entscheidung nicht dadurch falsch wird, dass die Falschen zustimmen“.

Merz kann jetzt nicht mehr zurück, und genau das sollen die Wähler auch sehen. Er hat die Migrationsbegrenzung zur Gewissensfrage erklärt und sich damit für viele zur seriösen Alternative der unseriösen Alternative für Deutschland gemacht.

Sein Versprechen eines faktischen Einreisestopps wird er allerdings nur halten können, wenn sein Kalkül aufgeht: dass eine geschlossene Union mit einem kompromisslosen Migrationskurs ein buchstäblich überwältigendes Wahlergebnis einfährt. Sollte es anders kommen, bliebe nur der schwache Trost, dass die AfD wohl noch besser abgeschnitten hätte, wäre ihr in der Migrationspolitik abermals das Feld überlassen worden.