Aus Liebe zur Ampel

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Wieder einmal müssen sich die Deutschen geschlagen geben, die deutschen Städte zumindest. In der Staustatistik, die der Datendienstleister Inrix jährlich veröffentlicht, verharren London und Paris auf den beiden ersten Plätzen der Europaliga. 101 Stunden verbrachten Autofahrer in der britischen Hauptstadt im vergangenen Jahr im Stau, in der französischen Metropole waren es 97. Mit 58 Stun-den erreichte Berlin als einzige deutsche Stadt unter den Top Ten lediglich den zehnten Platz. Nun muss man zugeben, dass sich die beiden Erstplatzierten dafür seit Jahren reichlich Mühe geben. ­Citymaut, die Wegnahme von Fahrspuren selbst auf Durchgangsstraßen und die Priorisierung anderer Verkehrsträger zeigen eben Wirkung. Und was macht Berlin? Kaum ist eine neue Verkehrssenatorin im Amt, gibt es weniger Geld für Kiezblocks und Verkehrsberuhigung. Und dann redet Ute Bonde (CDU) auch noch über die Freiheitsrechte der Verkehrsteilnehmer. So wird das nichts mit dem Aufstieg!

Wenn die Signalanlage rotes Licht sendet, kommt der Verkehr ohnehin zum Halt. Oder auch nicht. Perfide Tester des ADAC bauten im Oktober vergangenen Jahres in fünf deutschen Städten an jeweils vier Kreuzungen Kameras auf. Heimlich, denn sie wollten ­herausfinden, wie oft rote Ampeln ignoriert werden. Die gemessene und die gefühlte Realität passen in etwa zusammen. Jedem siebten E-Scooter-Fahrer und acht Prozent aller Radler war das Rotlicht gleichgültig. Unter den Autofahrern verhielten sich lediglich 1,6 Prozent nicht regelkonform. Ob Autofahrer bessere Menschen sind oder lediglich Angst um ihren Führerschein haben, konnten die Tester nicht ermitteln.

Ziemlich sicher ist hingegen, dass Autofahrer Staus erheblicher Länge provozieren können, indem sie eine grüne Ampel überfahren. Und zwar dann, wenn die Kreuzung noch von anderen Fahrzeugen blockiert ist. Idealerweise kommt man währenddessen noch auf den Straßenbahnschienen zum Halt und vermiest den Bahnfahrenden den kurzen Moment des Triumphs, den diese vom Stehplatz aus genießen könnten. Auch der direkte Kontakt mit Fußgängern, auf deren Überweg man anhält, ist eine willkommene Abwechslung in der morgendlichen Routine. Bei Grün stehen zu bleiben und erst los­zu­fahren, wenn der Weg frei ist, verlangt freilich ein wenig Zivilcourage. Nicht nur, weil von hinten gehupt und geschimpft wird, sondern auch, weil man nicht dazu beiträgt, in der internationalen Staustatistik voranzukommen.