Wie Manfred Pentz in Hessen gegen die Bürokratie kämpft

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Der Ärger über Bürokratie ist älter als die Bundesrepublik. Da ist sich Manfred Pentz sicher. Er sitzt in seinem Büro in der Hessischen Staatskanzlei und sucht den Beleg für die These auf seinem Handy. Vor Kurzem hat er ein Sachbuch über das Ende des Kaiserreichs gelesen, da ging es zu seiner Überraschung auch um dieses Thema. Pentz zeigt ein Foto mit dem Textausschnitt: Ein Zeitgenosse beschwert sich vor mehr als hundert Jahren über die „überbordende Bürokratie“.

Fast so alt wie das Problem selbst ist der proklamierte Kampf dagegen. Pentz ist nicht nur Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, er ist auch seit einem Jahr der erste Entbürokratisierungsminister des Landes Hessen. Ihm soll gelingen, woran sich schon so viele vor ihm ohne nachhaltigen Erfolg versucht haben: die oft beklagte Überregulierung deutlich zu reduzieren.

Die Bürokratie, die im Grunde Recht und Ordnung sicherstellen soll und damit Voraussetzung eines demokratischen Rechtsstaates ist, hält der CDU-Politiker Pentz inzwischen für demokratiegefährdend. „Aus Frust darüber, dass wir lange Zeit die Regelungswut nicht in den Griff bekommen haben, wollen viele gar nicht oder extremistische Parteien wählen“, sagt Pentz. „Unser Signal als Staat ist: Wir haben verstanden.“ Nur, wie weit ist er bisher gekommen?

Versicherungen für Rasenmäher

Pentz kann Beispiele für das nennen, was er auf Bundesebene aufgehalten hat. Da ist etwa die Versicherungspflicht für Aufsitzrasenmäher und Gabelstapler. Pentz, von Beruf Versicherungsbetriebswirt, dachte gleich an den Aufwand, der damit verbunden gewesen wäre: Für die Versicherer, die eine neue Plakette für die Fahrzeuge und Policen schaffen müssten; vor allem aber für die Besitzer selbst, die für jedes Gerät Policen abschließen müssten. Pentz und seine Kollegen in der Stabsstelle Entbürokratisierung in der Staatskanzlei hätten sich daraufhin genau angeschaut, wie oft in den vergangenen Jahren keine andere Versicherung griff, wenn es einen Unfall gab.

Analoge Akten unter dem Arm: Manfred Pentz (CDU) sagt der Bürokratie den Kampf an
Analoge Akten unter dem Arm: Manfred Pentz (CDU) sagt der Bürokratie den Kampf anCarlotta Steinkamp

Für solche Fälle gibt es bereits einen Opferentschädigungsfonds, von dem Pentz zufolge allerdings nur wenige entsprechende Fälle bekannt sind. Laut der Verkehrsopferstatistik ist es mit sogenannten selbstfahrenden Arbeitsmaschinen, um die es sich hier handelt, in den vergangenen fünf Jahren nur zu acht Schadensfällen mit einem durchschnittlichen Schaden von 3500 Euro gekommen. Am Ende konnte Hessen dazu beitragen, dass die Versicherungspflicht und damit eine neue Regulierung auf Bundesebene durch die CDU-geführten Bundesländer aufgehalten werden konnte.

Deutschland hat den Ruf, die Vorgaben aus Brüssel besonders gewissenhaft umzusetzen, zu „vergolden“, wie es in Brüssel halbernst heißt. „Wir setzen in Deutschland häufig auf 180-Prozent-Lösungen“, sagt Pentz. „Unsere Nachbarländer machen uns vor, wie man Dinge auch pragmatischer umsetzen kann.“ Da sei zum Beispiel die Luftreinhaltevorgabe: Während man in kroatischen Städten, so beschreibt es Pentz vereinfachend, ein Messgerät in die Innenstadt und an den Stadtrand stelle, würden deutsche Kommunen fast ausschließlich in verkehrsbelasteten Gegenden messen müssen. Auf diese Weise seien Fahrverbote wenig überraschend.

Besonders schwierig ist es laut Pentz und seinen Leuten, bestehende Regeln abzuschaffen. Er spricht von der Bürokratie als einem riesigen Berg von Steinen, der über Jahrzehnte aufgehäuft wurde. „Jeder Stein steht für eine Regel, die mal gut gemeint war.“ Einfach zu sagen, im Geiste des argentinischen Präsidenten Javier Miliei, mit der Kettensäge den Staat zu stutzen, das funktioniert aus Pentz’ Sicht nicht. Bei jeder einzelnen Regel müsse entschieden werden, ob sie bleiben muss oder wegkann. „Was es nicht leichter macht: Fast jede Regelung hat eine Lobby“, sagt der CDU-Politiker.

Auch kleine Erfolge zählen

Selbst die Hotelmeldepflicht verfügte über eine Lobby. Eigentlich sollte sie durch ein weiteres Bürokratieentlastungsgesetz gestrichen werden. Nicht nur jene, die Anmeldebögen an den Rezeptionen ausfüllen mussten, ärgerten sich, auch die Hotels wollten gerne umhinkommen, die Papiere vorhalten zu müssen. Doch die Innenministerien wandten ein, dass den Sicherheitsbehörden ein Instrument der Fahndung genommen werde, wenn es die Daten nicht mehr gäbe.

Hessen und andere Bundesländer setzten sich auf der Ebene der Ministerpräsidenten für die Abschaffung ein. Am Ende stand ein Kompromiss: Deutsche müssen keinen Meldeschein ausfüllen, Ausländer sehr wohl. Vollständig weggeräumt ist dieser Stein nicht. Pentz zuckt mit den Schultern. Zumindest ein kleiner Erfolg.

Seit Juli vergangenen Jahres gibt es einen Bürokratiemelder in Hessen. Wer sich über eine Regelung ärgert, kann sich an Pentz und seine Mitarbeiter wenden. Siebenhundertmal ist das seitdem geschehen. Geprüft wird, was übertriebene Regulierung ist und was angemessen. Natürlich ist das Auslegungssache. In jedem Fall erhalten die Beschwerdeführer eine Begründung. Immer wieder ärgerten sich Bürger über die Rolle der „Bündlungsbehörden“, einer hessischen Besonderheit.

Ein Gang zum Amt soll reichen

Wer beispielsweise sein Auto über die Zulassung hinaus umbaut, muss nicht nur die Prüfung des TÜV vornehmen lassen, sondern zusätzlich alle Unterlagen bei jener Bündelungsbehörde einreichen. Die Prüfung kostet Geld und dauert lange. „Das wollen wir gerne abstellen“, sagt Pentz. „Wenn der Bürger was bei der Behörde braucht, dann soll ein Gang beziehungsweise ein Kontakt mit der Behörde künftig ausreichen“, verspricht er.

Noch laufen die Gespräche dazu. Mutmaßlich wird nicht das Eingreifen der Bündelungsbehörde gestrichen, nur der Bürger muss den Weg nicht mehr selbst gehen. Ein Befreiungsschlag in Sachen Bürokratie ist das noch nicht.

Es geht auch darum, die Wirtschaft zu entlasten. Aus Haftungsgründen müssen Arbeitgeber die Führerscheine ihrer Mitarbeiter mehrmals im Jahr kontrollieren. Pentz berichtet vom Besuch eines Handwerksbetriebs in Frankfurt vor wenigen Monaten, bei dem ihm dessen zeitlicher Aufwand demonstriert wurde.

Pentz hält es für falsch, dass der Mitarbeiter vier Mal im Jahr seinen Ausweis vorzeigen muss, damit der Arbeitgeber juristisch auf der sicheren Seite ist. Nur lässt sich das nicht allein in Hessen beschließen. Im Herbst brachte das Land zwar eine Bundesratsinitiative zu dem Thema ein, zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass diese Initiativen es nur selten in den Bundestag schaffen und damit Gesetzeskraft erlangen.

Schon fast 20 Projekte erledigt

Vor dem Minister liegt eine Liste mit 20 Projekten, die beinahe oder vollständig erledigt sind. Vieles ist kleinteilig: Wenn Vereine zum ersten Mal gegen Datenschutzrichtlinien verstoßen, droht ihnen danach keine Strafe mehr. Das hat der hessische Datenschutzbeauftragte dem Land zugesichert. Für die Landesregierung ist es als schneller Erfolg verbucht. Oder: Vereine müssen seit Kurzem keine Gebühren mehr an die Musikrechtegesellschaft GEMA zahlen; ein Rahmenvertrag, den das Land geschlossen hat, erspart den Ehrenamtlichen die Kosten und den Aufwand.

Der Staat will sich auch selbst von Bürokratie entlasten. Die Nachweispflichten zwischen Behörden sollen deutlich reduziert werden. Bislang ist es üblich, dass Städte, Gemeinden und Kreise, die vom Land eine Zuwendung erhalten, alle Rechnungen einreichen. „Da reicht es uns künftig, wenn die Belege vorgehalten werden“, sagt Pentz.

Das Land erhält lediglich eine Liste als Übersicht. „Die Verwendungsnachweise sollen dadurch insgesamt reduziert werden: Wenn uns ein Bürgermeister oder Landrat sagt, dass das Geld richtig verwendet wurde, vertrauen wir der Kommune.“ Das spart auf beiden Seiten die Arbeitszeit von Mitarbeitern. Obwohl Hessen zumindest für Hessen entscheiden könnte, laufen die Gespräche mit dem zuständigen Finanzministerium noch. Auch dieser Stein ist nicht weggeräumt.

Gleichzeitig werden immer neue Felsbrocken auf den von Pentz beschworenen Bürokratie-Berg geschoben. Das gehört dazu, wenn Gesetze beschlossen werden. Der Entbürokratisierungsminister ein moderner Sisyphos, der Stein um Stein wegschiebt? Pentz wünscht sich einen Kulturwandel. „Wir müssen den Bürgern und den Unternehmen mehr vertrauen.“ Es gäbe wenige schwarze Schafe, um die sich die Strafverfolgungsbehörden kümmern könnten. Der Kulturwandel in Sachen Bürokratie ist schon oft gefordert worden. Zumindest bislang ist er nicht eingetreten.