Wie würden Sie Ihre aktuelle Rolle dann beim FC Bayern beschreiben?
Ich bin Ehrenpräsident und Aufsichtsratsmitglied. Nicht mehr und nicht weniger. Wir treffen uns regelmäßig alle paar Wochen mit Karl-Heinz (Rummenigge; Anm. d. Red.), Herbert Hainer und dem Vorstand und tauschen uns aus. Aber von wegen Tagesgeschäft – nein.
Sie sind für den FC Bayern also nicht unersetzlich?
Kein Mensch ist unersetzlich. Aber eines ist auch klar: Wenn ich das Gefühl habe, und das gilt für Karl-Heinz genauso, dass Dinge – nicht im Tagesgeschäft, aber grundsätzlich – in eine Richtung laufen, die falsch ist, dann werden wir das immer ansprechen. Wenn das irgendwann mal nicht mehr Gehör findet und die Leute machen trotzdem, was sie wollen, dann kann man es nicht ändern. Aber bisher wurden unsere Erfahrungen und unser Engagement im Klub ernst genug genommen.
Planen Sie irgendwann, sich wieder mehr zurückzuziehen?
Noch mehr geht fast nicht, denn dann müsste ich aufhören, ins Stadion zu gehen. Ich mache keine Pressekonferenzen mehr und habe auch meine Vorträge total zurückgeschraubt. Weil man ja heute nichts mehr sagen kann.
Das wird dann in die Öffentlichkeit getragen und schon hast du Ärger, obwohl du eigentlich etwas Gutes tun willst. Die ganzen Gelder für meine Vorträge, das waren mehrere hunderttausend Euro pro Jahr, habe ich immer gespendet. Ich habe in diesem Jahr nur einen Vortrag zugesagt, weil ich genervt davon bin, dass jedes Wort, das ich da sage, sofort auf die Goldwaage gelegt wird. Die Leute, vor denen ich diese Vorträge halte, wollen natürlich, dass ich ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudere. Wenn ich nur noch Blabla machen kann, lasse ich es lieber ganz bleiben.
Was haben Sie aus dem gescheiterten Versuch gelernt, die Geschäfte an Kahn und Salihamidžić zu übergeben?
Im Laufe der Monate hat sich gezeigt, dass speziell Oliver eine ganz andere Auffassung davon hatte, wie man den Verein führen sollte – mit vielen Beratern und außenstehenden Leuten. Das habe ich erst relativ spät ernst genommen. Wenn es gut gegangen wäre, hätten wir gesagt, dass es verschiedene Wege nach Rom gibt. Aber so kam es zu der klaren Konsequenz, dass wir reagiert haben.
Was war der größere Fehler von Kahn und Salihamidžić: die Entlassung von Julian Nagelsmann oder die Verpflichtung von Thomas Tuchel als Nachfolger?
Auf jeden Fall die hektische Entlassung von Julian Nagelsmann, die ja mit dem Aufsichtsrat lange Zeit überhaupt nicht abgestimmt war. Der Aufsichtsrat wurde mehr oder weniger vor vollendete Tatsachen gestellt. Und das hat zu einem Zeitpunkt zur Unruhe geführt, als wir noch alle drei Titel hätten gewinnen können. Es war ja keine Katastrophensituation. Wer weiß, was passiert wäre, wenn Julian die Chance gekriegt hätte. Ich hätte mir gewünscht, dass man diese Dinge mit etwas mehr Geduld behandelt hätte.
Werden wir Nagelsmann irgendwann noch einmal als Trainer beim FC Bayern sehen?
Er hat seinen Vertrag beim DFB erst mal bis 2028 verlängert. Dass er irgendwann wieder in einem Verein arbeiten wird, ist auch klar. Ob das der FC Bayern sein wird, weiß ich nicht.
Wie stehen Sie zu Tuchel?
Privat war unser Verhältnis bis zum Schluss total in Ordnung. Aber er hat in vielen Bereichen einfach eine ganz andere Auffassung, wie man eine Mannschaft führt. Außerdem wollte er relativ viele Transfers machen. Wir wollten dagegen versuchen, mit mehr eigenen Spielern auch mittelfristig zu arbeiten. Wenn ich daran denke, wie viele teure Spieler da immer wieder gefordert wurden. Jedes Mal, wenn wir einen verletzten Spieler hatten, wurde nach neuen Spielern gerufen. Das war eine permanente Diskussion um Spieler. Das habe ich bei Vincent (Kompany; Anm. d. Red.) noch nie gehört.
Haben Sie sich mit Kahn und Tuchel noch mal ausgesprochen?
Leider nicht. Aber wenn ich den Oliver oder den Thomas in einem Restaurant treffe, habe ich überhaupt kein Problem, mich zu ihnen zu setzen und über die alten Zeiten zu reden. Thomas hat sich für England entschieden. Irgendwann wird er wieder in die Allianz Arena zurückkommen und dann wird man sich freundlich begrüßen. Ich habe mit beiden überhaupt kein persönliches Problem. Speziell Oliver hat als Spieler ungeheure Verdienste für den Klub und die werden auch keinen Millimeter kleiner geredet. Die Tür beim FC Bayern steht ihm immer offen.
Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass die Übergabe an die aktuelle Führung nun besser funktioniert?
Ich habe schon das Gefühl, dass wir im Moment zumindest in der Meisterschaft wieder gefestigter unterwegs sind. Immer vom Triple reden, das ist alles Käse. Der wichtigste Titel ist die Deutsche Meisterschaft.
Die Dortmunder sind jetzt in der Champions League weitergekommen und keiner spricht davon. Weil sie in der Bundesliga 22 Punkte hinter Bayern München sind. Was wurde ich belächelt, als ich im November Dortmund nicht erwähnt habe als Konkurrent für diese Saison. Damals waren es zwölf Punkte Abstand, jetzt sind es 22. Die Meisterschaft ist für mich das Maß der Dinge. Wenn wir Meister werden, haben wir unser Hauptziel erreicht.
Waren Sie mit Ihrem Meisterversprechen im November etwas voreilig?
Das war und ist meine feste Überzeugung, dass wir Meister werden. Aber ich muss das jetzt etwas einschränken, und zudem muss man das auch insgesamt einordnen: Das habe ich auf einem dieser Vorträge gesagt. Ich wurde gefragt, ob der FC Bayern dieses Jahr das Triple gewinnt. Da habe ich gesagt: Nein, das kann man nicht garantieren. Aber was ich zusagen kann, ist die Meisterschaft. Wie sich jetzt allerdings herausgestellt hat, wird Leverkusen sehr wahrscheinlich doch bis zum Ende unser großer Konkurrent bleiben. Das ist ja auch eine Klasse-Mannschaft.
Mit welchen Erwartungen blicken Sie auf das direkte Duell am 15. Februar?
Wenn wir mit unseren sechs Punkten Vorsprung und einem super Torverhältnis da reingehen, dann sieht es gut aus.
Obwohl Bayern – im Gegensatz zu Leverkusen – direkt davor und danach die Playoffs in der Champions League spielen muss?
Ich fahre nicht nach Leverkusen, um zu verlieren. Aber selbst wenn, dann schaut es bei sechs Punkten Vorsprung immer noch gut aus. Aber keine Frage, der Februar wird der Monat der Entscheidung.
Jan-Christian Dreesen hat den “Titel dahoam” zum großen Ziel erklärt. Wie realistisch ist das?
Träumen darf man ja. Aber wir sind im Moment jetzt erst einmal in den Playoffs. Wir sollten uns nicht verrückt machen mit dem Gedanken ans Finale. Wenn es wirklich ernst wurde und darauf ankam, dann hat sich beim FC Bayern immer eine Leistungssteigerung eingestellt. Darauf baue ich auch jetzt.
Vor dem letzten “Finale dahoam” 2012 sagten Sie noch: “Da müssen wir dabei sein.”
Damals hatten wir aber auch eine Mannschaft, die schon besser zusammengewachsen war. Jetzt sind wir ja gerade dabei, eine neue aufzubauen. Die hat in der Bundesliga sehr stark begonnen und muss sich im nächsten Schritt weiter stabilisieren. Wir müssen schauen, dass wir aus unserer spielerischen Überlegenheit noch mehr Ergebnisse erzielen.
Max Eberl sieht Sie als sein großes Vorbild. Ist er umgekehrt auch Ihr Wunschnachfolger als Manager?
Ich habe nie einen Zweifel daran gelassen, dass ich ihn sehr schätze. Die Aufgabe ist jetzt, den Umbruch in der Mannschaft zu schaffen und die auslaufenden Verträge unter Dach und Fach zu bringen.
Fragt er Sie häufig nach Ihrem Rat?
Er ist sehr selbstbewusst, aber auch jemand, der sich meinen Rat einholt.
Wie blicken sie auf die komplizierte Trainersuche im Sommer zurück, in der es mehrere öffentliche Absagen an den FC Bayern gab?
Es war eine Aneinanderreihung von unglücklichen Umständen. Es wurde aber auch viel Blödsinn erzählt.
Dass ich etwas gegen Ralf Rangnick hätte. Dabei haben wir ein hervorragendes, wirklich ein sehr entspanntes Verhältnis. Dann wurde immer interpretiert, dass Karl-Heinz und ich statt Kompany lieber Hansi Flick wollten.
Es war so: Als Max mit Christoph Freund nach England geflogen ist, um mit Vincent zu verhandeln, habe ich ihm gesagt: “Schaut, dass Ihr mit seiner Unterschrift zurückkommt!” Hätte das nicht geklappt, hätte man auch über Hansi Flick nachdenken können. Nachdem das mit Vincent geklappt hat, war ich mir aber sicher, dass das eine gute Entscheidung war.
Aktuell wird über die Vertragsverlängerung mit Jamal Musiala diskutiert. Wäre die nicht ein passendes Geschenk für den 125. Geburtstag?
Ich halte solch wichtige Entscheidungen nicht für ein Weihnachts- oder Ostergeschenk. Die müssen schon sportlich und wirtschaftlich begründet sein. Wenn das alles erledigt ist, dann wird es bekannt gegeben.
Was fehlt noch? Ein Besuch bei Ihnen zu Hause am Tegernsee?
Ich war bei keinem Gespräch dabei, kenne keine Einzelheiten. Aber wir hören ja von Max und Christoph, dass die Gespräche in einem guten Zielkorridor sind. Wir werden jetzt irgendwann eine Entscheidung kriegen.
Es heißt, Musiala soll das Gesicht der Zukunft werden. Wie sehen Sie seine Rolle?
Er ist ein überragender Fußballspieler mit unglaublichen Fähigkeiten, der auch vom Image her dem FC Bayern sehr gut tut. Weil er ein Kicker ist, der die Leute gut unterhält. Es ist eine wunderbare Geschichte, und wir wollen beim FC Bayern weiter attraktiven Fußball spielen. Wenn neben Musiala vielleicht auch irgendwann mal der Florian Wirtz beim FC Bayern spielt, dann können wir noch ruhiger in die Zukunft schauen.
Wird Wirtz der nächste 100-Millionen-Transfer des FC Bayern?
Er ist sicherlich ein Spieler, den wir nicht aus dem Auge lassen sollten. Man kann ja noch träumen. Wenn ich einen Traum haben darf, dann würde ich sagen, dass Florian Wirtz zum FC Bayern muss. Das ist aber nur meine private Meinung.
Die Gerüchte um eine mögliche Vertragsverlängerung von Wirtz in Leverkusen bringen Sie dabei nicht aus der Ruhe?
Ich kommentiere keine Verträge anderer Vereine.
Welche Rolle spielen Sie bei dem möglichen Wirtz-Transfer?
Ganz generell gilt: Nicht der Manager, nicht der Ehrenpräsident oder der Vizepräsident holt einen Spieler, sondern der FC Bayern. Wer da seinen Beitrag leistet, darf keine Rolle spielen.
Lassen Sie uns noch einen Blick auf die Situation in Deutschland werfen. Was erwarten Sie von der anstehenden Bundestagswahl?
Ich erwarte eine wesentliche Zäsur in unserem Land, wirklich richtungsweisende Entscheidungen. Es wird hoffentlich eine völlig neue Ära in der deutschen Politik geben. Wobei ich nie einen Hehl daraus gemacht habe, dass ich dabei auf keinen Fall die AfD meine.
Wirkt sich die wirtschaftliche Rezession im Land auch auf den FC Bayern aus?
Bei allen Problemen, die die Bürger leider in der heutigen Zeit haben, der Angst um Arbeitsplätze, um ihre Zukunft, brauchen sie offenbar auch Muße, was ja wichtig ist. Bei uns sind alle Spiele ausverkauft, auch die meisten unserer Basketball-Spiele. Die Leute scheinen ihre Probleme vergessen zu wollen, da gehen sie zum Sport, ins Kino oder in Restaurants.
Trotz des Rekordumsatzes von einer Milliarde Euro ist zu vernehmen, dass der FC Bayern beim Umbau der Mannschaft sparen muss. Wie passt das zusammen?
Das hängt zunächst von den ganzen Vertragsverlängerungen ab. Danach muss man eine Bilanz ziehen und schauen, wie viel Geld noch da ist, um eventuell neue Spieler zu holen. Aber, so wie ich es im Moment sehe, ist nicht viel Geld da, um nächstes Jahr groß einzukaufen. Entscheidend ist ja nicht der Umsatz, sondern der Ertrag. Der ist immer noch okay, aber auch nicht mehr so, wie er schon mal war.
Die deutsche Nationalelf ist auch eine Art Stimmungsbarometer für das Land. Wie haben Sie die Heim-EM im Sommer erlebt?
Die Stimmung war nicht ganz so euphorisch wie 2006, aber trotzdem sehr gut. Julian Nagelsmann hat mit seiner Mannschaft wieder eine gewisse Euphorie entfacht. Diese Spiele, die wir zuletzt gesehen haben, mit den Leistungen von Wirtz und Musiala, das war ja Traumfußball. Das ist genau das, was wir in Zukunft sehen wollen.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Wofür sollte der FC Bayern beim 150. Geburtstag stehen?
Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Keiner weiß aktuell, wie sich die Welt bis dahin entwickelt. Wir müssen nur hoffen, dass es mehr Frieden gibt. Vor Krieg und ausufernder Gewalt habe ich viel mehr Angst, das beschäftigt mich mehr als die Frage, was der FC Bayern in 25 Jahren macht.
Sie haben keine Vision für den Klub im Kopf?
Über so einen langen Zeitraum kann man nicht planen. Ich wüsste nicht mal, was in zehn Jahren ist. Man muss schauen, was wir in den nächsten zwei, drei Jahren tun müssen. Grundsätzlich steht der FC Bayern super da. Wir haben ein super Image, ein gutes Management. Aber wir sind abhängig von der Gesamtwirtschaftslage und der gesamten geopolitischen Lage. Keiner weiß, wie die Kriege und Konflikte in der Ukraine oder im Nahen Osten enden. Das A und O für alles, was unsere Zukunft betrifft, ist dauerhafter Frieden. Da kann man den Sport nicht isoliert sehen.