BSW-Wahlkampf: Wagenknecht-Auftritt in München

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In München auf dem Marienplatz zu sprechen ist riskant. Wegen der Größe – und weil in diesen Zeiten jederzeit mit Störern zu rechnen ist. Sahra Wagenknecht hat es trotzdem gemacht. Einige Hundert Zuhörer sind am frühen Dienstagabend bei eisigen Temperaturen gekommen, wobei selbst die Angaben der Polizei zwischen 500 und 2000 oszillieren. Von den Veranstaltern des Starts in die heiße Wahlkampfphase wird das als Zeichen gewertet, dass der Einzug in den Bundestag nötig und möglich ist. Dass es laut Umfragen knapp zu werden scheint, lastet das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) auch der veröffentlichten Meinung an. Michael Lüders, Journalist und BSW-Spitzenkandidat für Sachsen-Anhalt, sagt, auf der Bühne den Einheizer gebend: „Gerade die Medien, aber nicht nur die“ täten alles, „um das BSW möglichst kleinzurechnen, kleinzuhalten“.

Diesen Eindruck hat er, wie F.A.Z.-Stichproben im Publikum ergeben, nicht exklusiv. Das gilt auch für die Ansicht, in Berlin werde Politik gemacht gegen deutsche und für amerikanische Interessen. Während Lüders bezweifelt, dass ein Kanzler Friedrich Merz als „alter Blackrocker“ zuvorderst das Wohl Deutschlands im Auge habe, sagt ein Zuhörer – 60, IT-Branche, ehemals Linke-Wähler – spätestens seit 2020, also mit Beginn der Pandemie, seien in Deutschland bewusst „Strukturen zerstört worden“, zuletzt vor allem die Energieversorgung, „und der US-Präsident findet es prima“. Er erinnert an ein Wort, das der erste NATO-Generalsekretär über den Sinn des Militärbündnisses gesagt haben soll: „Die Russen draußen halten, die Amerikaner drinnen, die Deutschen unten.“

Nicht alle sind zufrieden mit der Asylpolitik des BSW

Krieg und Frieden ist das alles überwölbende Thema auf dem Marienplatz. Eine pensionierte Schulpsychologin, die Flyer verteilt, sagt, sie sei Christin – und im Christentum gebe es nun einmal das Gebot, den anderen nicht zu töten. Eine pensionierte Kunsterzieherin, die anders als die Schulpsychologin Parteimitglied ist und Wagenknecht aus ihrer Zeit bei der Linken persönlich kennt, sagt, sie sei Kriegskind. Daher wisse sie, „Krieg ist das Schlimmste“. Auf die Frage, wie etwa Deutschland von der Herrschaft der Nationalsozialisten hätte befreit werden sollen, wenn insbesondere Amerika nicht bereit gewesen wäre, von seinen Waffen Gebrauch zu machen, sagt ein Verdi-Gewerkschaftsfunktionär, der wie die Kunsterzieherin Mitglied der Partei ist, sinngemäß: Wäre man den Pazifisten von Anfang an gefolgt, wäre es so weit nie gekommen.

Das Bild wird vielgestaltiger, wenn man sich auf dem Marienplatz nach der Flüchtlingspolitik und den sieben BSW-Bundestagsabgeordneten einschließlich Wagenknecht umhört, die am Freitag im Parlament unter anderem mit Union und AfD für das Zustrombegrenzungsgesetz gestimmt haben. Ein Friedensaktivist, der einst seinen ersten Infostand gegen den Vietnamkrieg gemacht hat, sagt, er habe erwogen, das BSW zu wählen. Doch seit vergangener Woche habe sich das erledigt. Auch die Schulpsychologin und die Kunsterzieherin äußern Zweifel an der Richtigkeit der Asylpolitik des BSW, aber nicht an Wagenknecht.

Die Gegendemonstranten rufen „Moskau raus!“

Dem bayerischen BSW-Frontmann Klaus Ernst scheinen Zweifel generell eher fremd zu sein. Auf der Bühne verknüpft er den BSW-Topos, dass man nicht mehr offen seine Meinung sagen dürfe, mit den Themen Russland und Energie. Unter Applaus intoniert er: Es gehe nicht um die Frage, „Putin-Gas oder Nicht-Putin-Gas“, sondern schlicht um das billigere Gas. Daher müsse man „natürlich“ darüber nachdenken, wieder Gas aus Russland zu beziehen. Der Veranstaltungsleiter hat darum gebeten, dass keine Nationalflaggen gezeigt werden – das wird befolgt. Es gibt Demonstranten, die mit Rufen wie „Moskau raus!“ aber nicht so durchdringen, dass etwa der hinter der Bühne wartende Ehemann Wagenknechts, Oskar Lafontaine, hätte einschreiten müssen, und sei es rhetorisch.

Die Parteichefin wird angekündigt als „Stimme der Vernunft in einem Meer aus Wahnsinn“. Kurz darauf ruft sie in die Menge, es gebe in Deutschland „einen Kontrollverlust bei der Migration“. „In einer solchen Situation diskutieren wir nicht darüber: ‚Wie können wir das Problem lösen?’, sondern: ‚Wer darf mit wem im Bundestag abstimmen?’ Das ist doch krank!“ SPD und Grüne bezichtigt sie einer „unglaublichen Heuchelei“. Sie hätten mit ihrer „miesen Politik erst dafür gesorgt, dass die AfD heute doppelt so stark ist wie vor drei Jahren“, und dennoch inszenierten sie sich jetzt „als aufrechte Antifaschisten“.

Gegendemonstranten am Montag in München
Gegendemonstranten am Montag in MünchenAFP

Auch Wagenknecht kommt immer wieder auf das Thema Krieg und Frieden zurück. Sie wirft anderen Parteien vor, „wahnwitzigem Wettrüsten“ das Wort zu reden. Mit Bezug auf den Krieg in der Ukraine sagte sie: „Militärisch wird man die besetzten Gebiete nicht zurückerobern können.“ Es werde auf Verhandlungen hinauslaufen – „wofür wir seit Jahren werben“. „Wer einen Krieg beginnt, der ist ein Verbrecher“, ruft sie. „Aber wer Waffen in einen Krieg führt, den man beenden könnte, der ist auch ein Verbrecher.“

Meinungsforscher analysierten vor Wochen, die Hoffnung, der neue US-Präsident Donald Trump könne den Krieg schnell beenden, habe dem BSW das Hauptthema genommen. Jetzt, da Trumps Ankündigung, den Krieg innerhalb von 24 Stunden nach seinem Amtsantritt zu beenden, längst verstrichen ist, sagt Wagenknecht: Wenn Trump Frieden schaffe, sei es „wunderbar“ – „aber wir dürfen uns doch nicht darauf verlassen, wir müssen doch eine eigenständige Außen- und Friedenspolitik machen.“

Unweit des Marienplatzes findet in knapp zwei Wochen die Münchner Sicherheitskonferenz statt, ohne AfD und BSW. Dessen Chefin sagt, es sei „eine Ehre, dass das BSW bei diesem Treffen der Sofakrieger und Waffenlobbyisten nicht eingeladen wurde“.