Was Europa gegen Trump und China tun kann

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Die Agenda, die die Kieler Ökonomen in diesen Stunden ausarbeiten, soll wachrütteln. Sie streben an, mit offensichtlichen Versäumnissen der gescheiterten Bundesregierung unter Olaf Scholz aufzuräumen. „Wir haben nur dann eine Chance, wenn wir als Europäer zusammenstehen. Sonst drohten wir zu Fußabtretern der beiden Gorillas auf der Weltbühne, China und die USA, zu werden“, sagt Moritz Schularick, Präsident des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW).

Trotz aller Hürden in der Zusammenarbeit der Europäischen Union (EU) sieht er Chancen in Brüssel: „Wir können das Zivile und das Wirtschaftliche nicht mehr trennen, wir müssen auf beiden Beinen stehen. Die gute Nachricht ist ja, dass Mitgliedsländer Kompetenzen an Brüssel abgegeben haben“, fügt er mit Blick auf Regierungen in Ungarn oder Österreich an. „Allerdings muss das gemeinsame Vorgehen den Menschen richtig erklärt werden. Dieser Wille zur Erklärung war in den vergangenen Monaten in Berlin nicht sonderlich ausgeprägt.“

Die Kieler fordern in ihrem Papier, das sie Anfang nächster Woche veröffentlichen wollen, den „Einsatz der starken Marktmacht der EU“. Und sie drängen auf die Vollendung eines europäischen Binnenmarktes für digitale Produkte, Dienstleistungen und Energie, wie auch die Finanzmarktunion. Ein „starker europäischer Markt für Risikokapital“ solle auf europäischer Ebene Investitionen vorantreiben.

„Es kann nicht sein, dass ich bis heute mit dem Kredit einer deutschen Bank keine Wohnung in Paris kaufen kann“, sagt Schularick. Und fügt an: „Insolvenzverwalter und Sparkässler sollten uns nicht noch länger in diese Kleinteiligkeit zwingen, denn so kommen wir nicht voran.“

Ein geoökonomischer Ansatz sei noch viel zu wenig ins Bewusstsein gerückt. „Im Kanzleramt wurden bislang nie die Kompetenzen gebündelt, die wir brauchen. Wir haben bis heute keinen nationalen Sicherheitsrat, keine Gremien, die das Ökonomische und das Sicherheitspolitische zusammendenken.“

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) Ende nächster Woche wird das IfW ein ausführliches Papier zur Notwendigkeit der Vernetzung wirtschaftlicher und verteidigungspolitischer Interessen vorstellen. Bei der Krisenbewältigung sei etwa die britische Cobra-Behörde schlagkräftiger als die Institutionen Berlins. „Bislang wachen wir regelmäßig erst dann auf, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.“

Der Nachholbedarf in der Rüstung als Chance

Die deutsche Sicherheitspolitik müsse sich aber auch mit Blick auf die Unternehmenslandschaft ändern. „Wir gewähren den etablierten Platzhirschen zu viel Raum. Erster Ansprechpartner für die Politik sind jene Unternehmen, die gestern stark waren. Deshalb müssen wir aufpassen, dass wir nicht auch die Konzepte von gestern einkaufen“, warnt der Ökonom. „Vielleicht ist es sogar ein Geschenk, dass wir in den vergangenen Jahren viel zu wenig in unsere Verteidigung investiert haben. Dadurch haben wir jetzt die Chance, eine ganze Generation von Waffensystemen zu überspringen, die obsolet wird.“

Die Verteidigung der Ukraine gegen den Überfall der Russen gilt als Weckruf. Die Ukrainer seien gut darin, moderne, preiswerte Waffen zu entwickeln, wie billige, aber effektive Drohnen, oder auf dem Gefechtsfeld selbstfahrende Fahrzeuge. „Das große Problem von Industriepolitik ist doch, dass die Politik nicht gut darin ist, Gewinner von morgen zu finden. Aber die Verlierer von gestern sind gut darin, den Staat zu finden.“

Schularick kritisiert etwa die Milliarden Euro, die in die Entwicklung von grünem Stahl fließen; „allein die drei Milliarden Euro, die dafür nun an das Saarland gehen, sind deutlich mehr als der jährliche Forschungsetat der Max-Planck-Gesellschaften. Von dort aber könnten Forschung und Entwicklung vorangetrieben werden.“

„Im Kanzleramt wurden bislang nie die Kompetenzen gebündelt, die wir brauchen“, sagt Moritz Schularick mit Blick auf einen nationalen Sicherheitsrat.
„Im Kanzleramt wurden bislang nie die Kompetenzen gebündelt, die wir brauchen“, sagt Moritz Schularick mit Blick auf einen nationalen Sicherheitsrat.dpa

Was aber soll die Außenwirtschaftspolitik einer neuen Bundesregierung prägen? „Eine Bundesregierung muss als geoökonomischer Akteur robust auftreten. China und die USA spielen nicht nach den alten Regeln. Darauf müssen wir Antworten haben. Auf der anderen Seite dürfen wir im Austausch mit jenen Ländern und Regionen in Asien, Afrika und dem arabischen Raum, die an eine regelbasierte Globalisierung glauben, nicht in die Falle der USA tappen: Wir dürfen uns nicht abschotten. Wir können sogar Lücken nutzen, die sich jetzt auftun.“

Deutschland müsse unter der neuen Regierung „der Champion der regelbasierten Globalisierung“ werden, fordert Schularick. In dem Papier ist die Rede von einem starken EU-Binnenmarkt, der „Augenhöhe mit den USA und China“ schaffen werde.

Damoklesschwert über allen Ländern

Die zu erreichen macht Donald Trump als zurückgekehrter Präsident schwer. Er fordert praktisch alle Regierungen heraus – auf der einen Seite mit seinen immer neuen Handelsbarrieren wie Zöllen, auf der anderen Seite mit seiner gewollten Unberechenbarkeit. „Sein Vorgehen hängt nun wie ein Damoklesschwert über allen Ländern der Welt. Er verbreitet eine Atmosphäre von Furcht und Schrecken. Das wirkt sich negativ auf den Handel und die Weltwirtschaft aus“, warnen die Kieler. „Wer jetzt eigentlich in die Vereinigten Staaten exportieren wollte, wird sich das dreimal überlegen.“

Schularick kommt mit konkreten Vorschlägen: „Wir sollten Herrn Trump sagen, dass auch wir die Leistungsbilanzüberschüsse Europas wahrnehmen. Und dann ankündigen, sie zu bereinigen, indem wir unseren Verteidigungshaushalt auf 4 Prozent der Wirtschaftsleistung erhöhen und massiv in Europa investieren.“

Schularick kritisiert an dieser Stelle auch die Vorhaben des führenden Kanzlerkandidaten Friedrich Merz (CDU): „Kurzfristig könnte es natürlich befrieden, Gas und Waffen in den USA zu kaufen, wie Herr Merz vorgeschlagen hat. Doch steigen damit nur wieder neue Abhängigkeiten. Langfristig müssen wir in Europa investieren. Nur dann sinkt die Abhängigkeit.“

Notwendiger Kursschwenk in der Entwicklungshilfe

Schließlich stehe im Lastenheft der neuen Regierung auch der Ausbau der Beziehungen zu Afrika, schreiben die Kieler. „Auch durch den Überfall auf die Ukraine bedingt, hat die letzte Bundesregierung zu wenig in das Umsetzen der strategischen Interessen Deutschlands investiert“, kritisiert der Leibniz-Preisträger im Gespräch. „Wir brauchen jetzt auch eine strategisch ausgerichtete Entwicklungspolitik. In und um Frankfurt sitzen zehntausend Beamte, die zu wenig in geoökonomischen Zusammenhängen denken“, sagt Schularick mit Blick auf die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und die KfW Bank, ohne diese zu nennen.

„Wir müssen Geld auch dahin lenken, wo wir Interessen haben. Noch aber ist eine Generation im Amt, die sich mit dem Umschwenken schwertut.“

Dabei dürfe man nicht so radikal wie Trump und Elon Musk sein, die die Hilfsorganisation US Aid hart angehen. „Aber wenn wir die Zeichen der Zeit richtig lesen, müssen wir auch die Entwicklungszusammenarbeit stärker an unseren geoökonomischen Interessen ausrichten.“ Das könne sogar einen Nebeneffekt haben: „Auf einmal wird man dann erkennen, ob sich die Projekte auszahlen für deutsche Interessen.“