Weniger Jobs im Niedriglohnsektor durch Mindestlohn

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Vor zehn Jahren arbeitete noch mehr als jeder Fünfte in Deutschland im Niedriglohnsektor. Heute ist es nur noch knapp jeder Sechste. Auch die absolute Zahl der Menschen, die zu einem Niedriglohn beschäftigt sind – die Schwelle beträgt derzeit 13,79 Euro brutto pro Stunde – ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich gesunken, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte.

Im April 2014, vor der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, zählten die Statistiker demnach noch 7,6 Millionen Beschäftigte im Niedriglohnsektor. Damals lag die Schwelle bei 10 Euro brutto pro Stunde. Im April 2024 waren es noch rund 6,3 Millionen, also 1,3 Millionen weniger.

Was ist der Niedriglohnsektor?

Niedriglöhne sind Löhne, die weniger als zwei Drittel des mittleren Bruttostundenlohns betragen. Auszubildende werden nicht eingerechnet. Der Begriff „Niedriglohnsektor“ beschreibt eine Verteilung, sagt aber nichts über die absolute Höhe der niedrigsten Löhne aus. Besonders im Gastgewerbe, in der Land- und Forstwirtschaft, in Kunst und Unterhaltung und in anderen Dienstleistungen werden Niedriglöhne gezahlt.

Laut dem zur Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg gehörenden Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) machen Minijobber einen Großteil des Niedriglohnsektors aus. Nach Angaben von Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in München haben überdurchschnittlich viele Menschen in diesem Sektor keinen Berufsabschluss.

Grabka nennt den gesetzlichen Mindestlohn, der 2015 eingeführt und schrittweise angehoben wurde, als entscheidenden Faktor für den Rückgang der Beschäftigten im Niedriglohnsektor. „Auch die veränderte Lohnpolitik der Gewerkschaften, die zunehmend auf Mindestzahlungen für untere Lohngruppen setzt, wirkt sich positiv aus“, sagt er. Das IAB verweist zudem auf „Spillover-Effekte“: Um das betriebliche Lohnge­füge aufrechtzuerhalten, haben Unternehmen auch die Löhne knapp über dem Mindestlohn erhöht.

„Es ist außerdem Konsens, dass negative Beschäftigungseffekte durch die Einführung des Mindestlohns ausgeblieben oder nur gering ausgefallen sind“, so eine Sprecherin. Zudem gebe es klare Hinweise, dass die außerplanmäßige Erhöhung des Mindestlohns von 10,45 Euro auf 12 Euro keine substanziellen Beschäftigungsverluste zur Folge hatte.

Abstand zwischen Geringverdienern und Besserverdienern sinkt

Im Osten Deutschlands ist der Niedriglohnsektor stärker geschrumpft als im Westen: In den östlichen Bundesländern sank der Anteil im Zehnjahresvergleich von 35 auf 18 Prozent, während er in den westlichen Bundesländern von 19 auf 16 Prozent fiel. „Der Anteil der gering bezahlten Beschäftigten ist in Ostdeutschland besonders hoch“, so Grabka. „Die Menschen dort haben vom Mindestlohn und von der veränderten Lohnpo­litik überproportional profitiert.“

Auch der Abstand zwischen Gering- und Besserverdienern sank. Zuletzt verdienten Besserverdiener das Dreifache des Bruttostundenlohns von Geringverdienern, 2014 war es noch das 3,48-Fache. Besserverdiener sind die oberen zehn Prozent der Lohnskala (ab 39,05 Euro pro Stunde), Geringverdiener die unteren zehn Prozent (bis 13 Euro pro Stunde). „Wenn die untere Gruppe überproportional gewinnt, sodass sie etwa 300 bis 500 Euro mehr erhält, dann wächst das Grundwachstum unten schneller als oben“, sagt Grabka.

Trotz des Rückgangs hat der Niedriglohnsektor oft einen schlechten Ruf. Dabei kann er für Arbeitssuchende und den sozialen Aufstieg eine wichtige Rolle spielen, wie Holger Schäfer vom IW Köln untersucht hat. Wer eine Niedriglohn­beschäftigung aufnimmt, reduziert seine Armutsgefährdung dauerhaft um knapp sechs Prozentpunkte oder fast ein Viertel. Politische Maßnahmen zur Eindämmung des Niedriglohnsektors könnten diese Chancen gefährden. Schäfer plädiert dafür, den Aufstieg der Menschen in höhere Lohnsegmente zu unterstützen, etwa durch die Förderung von Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen.

„Die Kritik an den Niedriglöhnen war in den 2000er-Jahren durchaus berechtigt, als der Niedriglohnsektor in Deutschland ein ganz anderes Ausmaß hatte als heute“, sagt Grabka. Der Niedriglohnsektor in Deutschland sei im in­ternationalen Vergleich heute unauffällig und liege im Mittelfeld. „Dennoch bleibt das Problem, dass Beschäftigte im Niedriglohnsektor oft im niedrigen Lohnsegment verharren“, gibt Grabka zu bedenken. „Das betrifft insbesondere die Älteren unter den Minijobbern.“