KI-Start-up aus China: Ein Mysterium namens Deepseek

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Ich war geschockt, als ich die Berichte überall gesehen habe“, sagt die Mitarbeiterin der Bankfiliale. Wer hätte denn gedacht, dass dieses Start-up dort nebenan im Büroturm die Welt verändern würde? High-Flyer, der Fonds, der hinter dem chinesischen KI-Start-up Deepseek steht, ist einer ihrer Kunden und ziemlich sicher ihr berühmtester. Sie kennt einen der Eigentümer des Fonds, einen Uni-Kommilitonen von Liang Wenfeng, dem Deepseek-Gründer. Die Bankerin spricht mit viel Ehrfurcht von dem Hochfrequenzhandel, mit dem High-Flyer sein Geld verdient. Das Team sei bescheiden, aber technisch enorm gut, meint sie.

Vor dem unscheinbaren Bürokomplex in Hangzhou, in dem Deepseek seine Zentrale hat, spielen sich in diesen Tagen kuriose Szenen ab. Menschen aus ganz China pilgern hierhin, um die Leute zu sehen, die das globale KI-Rennen aufmischen. Die KI des Unternehmens, so sagen es auch unabhängige Fachleute, ist ähnlich gut wie die des US-Marktführers Open AI. Sie soll in der Entwicklung und im Betrieb aber nur einen Bruchteil kosten und damit viel Energie und Rechenkapazität sparen.

Keine Schilder, keine Hinweise

Eine Chance, die Deepseek-Macher im 12. Stock aus der Nähe zu betrachten, gibt es nicht, als die F.A.Z. in dieser Woche vorbeischaut. Wer es zu offensiv versucht, wird danach von Sicherheitsleuten verfolgt, bis er das Gelände wieder verlässt. Schilder von Deepseek oder High-Flyer finden sich nirgends. Im Eingangsbereich des Büroturms steht noch ein Weihnachtsbaum, daneben hängt die knallrote Deko für das chinesische Neujahrsfest und das Jahr der Schlange. Einmal steht dort „Sanke“ statt „Snake“.

Noch steht der Weihnachtsbaum in der Zentrale von Deepseek in Hangzhou.
Noch steht der Weihnachtsbaum in der Zentrale von Deepseek in Hangzhou.Gustav Theile

Im Erdgeschoss haben sie einen eigenen Raum eingerichtet, der nur dafür da ist, die Journalisten abzuwimmeln. Tag für Tag komme eine Handvoll Journalisten vorbei, manche sogar jeden Tag, sagt ein Sicherheitsmann des Büroturm-Betreibers, der dafür abgestellt ist, die Besucher abzuwimmeln. Neben der F.A.Z. ist gerade eine südkoreanische Journalistin da. Alle versuchen, irgendwie an das KI-Start-up, das die Welt bewegt, ranzukommen. Tag für Tag kommt indes auch ein Team des lokalen TV-Senders vorbei und versucht, die internationalen Journalisten dazu zu bringen, vor der Kamera Loblieder auf Deepseek zu singen.

Deepseek ist ein Mysterium. Vor knapp zwei Wochen hat das Unternehmen für einen kurzzeitigen Crash an den internationalen Kapitalmärkten gesorgt und innerhalb eines Tages rund eine Billion Euro an Börsenwert vernichtet. Der Erfolg von Deepseek rüttelte an den Grundfesten der KI-Welt. Funktionieren die amerikanischen Tech-Sanktionen gegen China, oder stacheln sie das Land erst an? Braucht es all die vielen Rechenzentren wirklich? Gewinnt die USA das KI-Rennen, oder ist der Kampf völlig offen?

Das Unternehmen, das all diese Fragen aufwirft, schweigt. Es hat seitdem keinen Mucks von sich gegeben: keine Pressemitteilung, keine Interviews, keine Fotos, nichts. Das Einzige, was es gibt, sind Klarstellungen in den sozialen Medien, dass man sich nicht äußert. Alles andere sei gefälscht, heißt es auf X und den chinesischen Plattformen Wechat oder Xiaohongshu (Rednote). Gründer Liang soll am Tag des Börsencrashs Fußball gespielt haben, sagte einer seiner früheren Lehrer einem chinesischen Tech-Blog. Liang war da gerade in seiner Heimat in Südchina, um das chinesische Neujahrsfest zu feiern. Seine Heimatstadt ist zu einem kleinen Wallfahrtsort geworden.

Verschwörungstheorien rund um den Globus

Eine Folge der Schweigsamkeit sind Spekulationen, die ins Kraut schießen. Tech-Analysten zweifeln an den Angaben des Unternehmens: Manche sagen, das KI-Start-up habe viel mehr hochmoderne Chips, als es zugebe. Das würde die ganze Erzählung und damit auch die Grundlagen des Börsencrashs in Zweifel ziehen. Andere entgegnen, Deepseek und High-Flyer könnten gar nicht so viel Geld haben, um Chips im Wert von mehr als einer Milliarde Dollar anzuschaffen. Wer besonders misstrauisch ist, hält Deepseek für eine Verschwörung Pekings, um den USA eins auszuwischen und mit Wetten auf fallende Kurse viel Geld zu verdienen.

Täglich pilgern Journalisten und Fans zu den Büroräumen.
Täglich pilgern Journalisten und Fans zu den Büroräumen.Gustav Theile

In vielen westlichen Ländern gibt es inzwischen Datenschutzbedenken, Regierungen verbannen die App von den Geräten ihrer Beamten. Das kanadische Cyber-Sicherheits-Unternehmen Feroot Security will im Deepseek-Code Belege dafür gefunden haben, dass das Start-up Daten an den staatlichen Mobilfunkbetreiber China Mobile sende, der in den USA sanktioniert ist. Deepseek hat sich dazu bisher nicht geäußert, auf eine Anfrage der F.A.Z. reagierte das Unternehmen zunächst nicht. Ein Mitarbeiter eines großen chinesischen Tech-Konzerns, der nach eigenen Angaben mit dem Deepseek-Team in Kontakt ist, schrieb der F.A.Z.: „Nach ihren Angaben sind das Fake News.“ Man müsse in den USA keine Handynummer registrieren, um ein Deepseek-Konto zu eröffnen. Deshalb werde nichts übertragen. Nichts Genaues weiß man nicht.

Warum sich Deepseek, das in der globalen KI-Szene schon vor dem Hype bekannt war, so verhält, dazu kursieren viele Theorien, auch im chinesischen Internet. Manche meinen, es liege Liang einfach nicht im Blut, er sei eben Programmierer. Andere glauben, das Unternehmen will sich so weit es eben geht von der chinesischen Regierung fernhalten, um weiter halbwegs unabhängig arbeiten zu können. Wieder andere sehen es als Beleg dafür, dass Deepseek etwas zu verbergen hat. All das bleibt aber Spekulation.

Nähe zu illustren Firmen

Die F.A.Z. setzt ihre Deepseek-Suche in Peking fort. Neben der Zentrale in Hangzhou hat das knapp zwei Jahre alte Start-up ein großes Team mitten in Haidian, dem Universitätsviertel der Hauptstadt. Deepseek hat kürzlich den fünften Stock eines modernen Hochhauses mit illustren Nachbarn bezogen. Neben anderen chinesischen Softwareunternehmen wie Baidu haben auch wichtige amerikanische Softwarefirmen wie Red Hat oder AMD hier Büros. Es ist ruhig, als die F.A.Z. am Freitagvormittag vorbeischaut.

Im Untergeschoss befindet sich ein Luxus-Fitnessstudio, vor dem Bambusbäume wachsen. Gläserne Schiebetüren öffnen den Weg zum Aufzug, aber nur für Berechtigte, es sind viele junge Leute mit Turnschuhen und Rucksack. Medien will Deepseek auch hier nicht sehen. Ein Pförtner sagt, er habe Anweisungen, weder chinesische noch ausländische Journalisten nach oben zu lassen. Der Trubel sei einfach zu groß in letzter Zeit. Überhaupt sei Deepseek, das insgesamt weniger als 200 Mitarbeiter haben soll, aktuell aber viele offene Stellen ausschreibt, erst seit Juni oder Juli in diesem Gebäude.

Vorher hatte die KI-Firma ihren Peking-Sitz in einem weit älteren Bürogebäude zwei Kilometer entfernt. „Internet Finance Center“ steht auf den hellglänzenden Fliesen des Gebäudes. Ende letzten Jahres seien die letzten Mitarbeiter ausgezogen, erzählt ein Software-Ingenieur, der sich mit seiner Tech-Firma das Stockwerk mit Deepseek geteilt hatte. Schon damals sei allen aufgefallen, dass Deepseek „sehr gut finanziert“ sei. Der Ingenieur lobt die Snacks für den Nachmittagstee und die Abendessen, die Deepseek für die Mitarbeiter bezahlt habe. „Höchste Qualität.“

Flache Hierachien im Unternehmen

Er berichtet von flachen Hierarchien. Im Vergleich zu anderen chinesischen Tech-Firmen herrsche weniger Bürokratie. „Sie müssen weniger häufig Arbeitsberichte abgeben, auch wenn sie ebenfalls sehr schnell und viel arbeiten.“ Geprägt sei das Team von Absolventen der Pekinger Tsinghua-Universität. Von einer „Tsinghua-Gang“ spricht der Ingenieur freundschaftlich. Gründer Liang ist bekannt dafür, chinesische Talente von Eliteunis zu rekrutieren. Er zahlt gut, manchmal mehr als eine Million RMB im Jahr, umgerechnet rund 130.000 Euro.

„Chinas Industrie ist viel besser als in früheren Jahren“, sagt der frühere Deepseek-Nachbar, „wo wir Kenntnisse, Regeln und Standards noch nicht so systematisch organisiert haben.“ Heute dagegen könne man auch in China „Wissen in einer systematischen Weise wie amerikanische Unternehmen akkumulieren und in verschiedenen Firmen wieder verwenden“, sagt der Ingenieur. „Ich denke also, dass sich das inländische System jetzt ändert und immer besser wird.“ Auf eine Frage nach Einfluss oder Zusammenarbeit mit Regierungsstellen weicht er aus, dazu wisse er zu wenig.

Doch die Stimmung, die der frühere Nachbar vermittelt, spürt man auch im Rest des Landes. In den U-Bahnen, an Fußgängerampeln und in den Restaurants in Shanghai hört man die Leute über Deepseek reden. Sie nutzen den englischen, nicht den chinesischen Namen des Unternehmens. Der Erfolg im globalen KI-Rennen scheint dem Riesenreich, dessen Selbstverständnis nach der Corona-Pandemie immer noch angeschlagen ist, wieder Hoffnung zu geben. Aber eigentlich ist auch das vorerst Spekulation.