Der deutsche Atomausstieg ist eigentlich seit fast zwei Jahren abgeschlossen. Doch die Entscheidung wird weiter kontrovers diskutiert. Kurz vor der Bundestagswahl nimmt das Thema noch mal Fahrt auf.
Würde uns der Wiedereinstieg in die Kernenergie tatsächlich etwas bringen? Einige Politiker sind vom Sinn der Atomkraft in Deutschland überzeugt. CSU-Chef Markus Söder spricht sogar davon, dass die Klimaziele ohne Kernenergie unerreichbar seien. Der Gedanke hinter solchen Aussagen ist oft: Kernenergie verursache kein CO2. Das stimmt so allerdings nicht.
Bereits bei der Herstellung der Brennelemente entstehen Treibhausgase. Aber auch beim Kraftwerksbau und bei der Endlagerung wird CO2 freigesetzt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Öko-Institut kommen zum Schluss, dass Kernenergie nicht notwendig ist, um die Klimaziele aus dem Pariser Abkommen zu erreichen. Sie haben in ihrer Studie globale Klimaszenarien analysiert. So sieht es auch Christian Klöppelt vom Fraunhofer-Institut. Er hat einen Faktencheck rund ums Thema Atom-Wiedereinstieg veröffentlicht.
Für ihn spielen der Ausbau der Erneuerbaren, die Entwicklung von Speichertechnologien, Wasserstoff und das Thema Netzausbau die entscheidenden Rollen, um die Klimaziele zu erreichen.
Kernenergie ist nicht billig
Wenn es um ein mögliches Revival der Kernenergie geht, dann schwingt bei manchen eine große Hoffnung mit: Ein deutscher Wiedereinstieg würde zu sinkenden Strompreisen führen. Das ist ein weit verbreiteter Irrglaube, sagt Klöppelt dem SWR. Dafür nennt der Wissenschaftler zwei Gründe.
1. Einerseits könnten wir gar nicht so viele Kraftwerke wieder in Betrieb nehmen. Zuletzt waren noch drei Reaktorblöcke am Netz: Emsland, Isar-2 und Neckarwestheim-2. Sie haben rund sechs Prozent unserer Bruttostromerzeugung ausgemacht. Darüber, ob und welche der anderen stillgelegten Reaktoren man überhaupt wieder ans Netz bringen könnte, gehen die Meinungen auseinander. Das Fraunhofer-Institut kommt in seinem Faktencheck auf etwa acht Kernkraftwerke, bei denen das rein theoretisch möglich wäre. Allerdings schreitet der Rückbau permanent voran. Auch die Betreiber der Kraftwerke sprechen sich immer wieder gegen eine Wiederinbetriebnahme aus.
2. Betrachtet man die Kosten der Kernenergie über die gesamte Zeitspanne, dann wird diese Form der Energieproduktion teuer und wirtschaftlich uninteressant, denn gerade am Anfang und am Ende des Lebenszyklus eines AKW fallen jeweils hohe Kosten an, erklärt Christian Klöppelt. Das sind einerseits die Baukosten, die zum Beispiel durch hohe Sicherheitsauflagen entstehen. Andererseits werden Wartung, Nachsorge und Rückbau teuer. Auch die Endlagerung der radioaktiven Abfälle verursacht hohe Kosten. Rechnet man all das mit ein, dann ist Atomstrom eine der teureren Energieformen.
Technisch möglich, aber nicht schnell
Theoretisch wäre es also möglich, einige der deutschen Atomkraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen. Allerdings warnt Klöppelt davor, auf eine schnelle Reaktivierung zu hoffen. Wissenschaft und Betreiber gingen hier von mindestens ein bis zwei, eher von fünf Jahren aus. Denn um wieder ans Netz zu gehen, brauchen die Kraftwerke Sicherheitsüberprüfungen, gegebenenfalls Modernisierungen, neue Fachkräfte, neue Brennstoffe und einen regulatorischen Rahmen.
Kernenergie – nur anders?
In der Diskussion tauchen auch immer wieder Zukunftsvisionen von Kernkraft auf. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz zum Beispiel hat kürzlich angekündigt, man prüfe den Bau und Einsatz kleiner modularer Kraftwerke und das Thema Kernfusion – beides Technologien, die sich noch in der Entwicklung befinden. Schnelle Lösungen sind also auch hier nicht zu erwarten.
Die Idee der kleinen modularen Kernkraftwerke gibt es schon länger. Gemeint sind in der Regel Reaktoren mit einer elektrischen Leistung von bis zu 300 Megawatt. Bislang gibt es weltweit nur einige wenige Pilotanlagen, ob sich die Technologie in größerem Umfang durchsetzt, ist fraglich, denn die SMR (small modular reactors) sind vergleichsweise teuer.
Kernfusion ist weit weg
Auch Fusionskraftwerke gibt es aktuell noch nicht. Die Technologie befindet sich seit Jahrzehnten im Forschungsstadium. Bei der Kernfusion sollen Atomkerne in einem Kraftwerk miteinander verschmelzen und so Energie erzeugen. Verglichen mit der Kernspaltung, unserer aktuellen Atomenergie, bringt die Kernfusion einige Vorteile mit.
Sie gilt als sicherer und umweltfreundlicher. Doch sie wird selbst im günstigsten Fall zu spät kommen, um uns beim Erreichen unserer Klimaziele zu unterstützen. Reinhard Grünwald ist Fusionsexperte beim Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag. Er sagt, dass auch wenn aktuell wieder intensiv an der Kernfusion geforscht werde, die Technologie komplex sei. Es würde voraussichtlich mindestens 30 bis 40 Jahre dauern, bis eine nennenswerte Menge Fusionsstrom erzeugt werden könne. Und günstig wäre dieser Strom dann wohl auch nicht, denn die Anlagen sind teuer und aufwendig.
Erneuerbare auf gutem Weg
Ein Wiedereinstieg in die Atomenergie würde uns also weder finanzielle noch klimatechnische Vorteile bringen. Und auch für eine ausreichende Stromversorgung ist er unnötig. Denn wir beziehen immer mehr Strom aus erneuerbaren Quellen.
Aktuelle Zahlen des Fraunhofer-Instituts zeigen, dass der Anteil Erneuerbarer Energien an der Nettostromproduktion in Deutschland im vergangenen Jahr auf 62,7 Prozent gestiegen ist. Atomkraftwerke wieder in den Strommix aufzunehmen, würde diese Entwicklung eher behindern als unterstützen, denn die Kraftwerke sind vergleichsweise träge. Sie können in Engpasssituationen nicht einfach schnell zu- oder abgeschaltet werden.