Lehren aus der kommunalen Finanzaffäre

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Die Gemeinde am Rande der Zahlungsunfähigkeit, eine als GmbH gegründete Beteiligungsgesellschaft insolvent, der frühere Bürgermeister im Visier der Staatsanwaltschaft, fehlende Jahresabschlüsse und ein Staatsbeauftragter bis Ende März als Aufpasser im Rathaus: Die 4700-Einwohner-Gemeinde Löhnberg im Kreis Limburg-Weilburg hat in den vergangenen Monaten aufsehenerregenden Gesprächsstoff geliefert. Die Finanzaffäre beschäftigt mittlerweile auch den Landtag, denn die FDP-Fraktion hat eine Reihe von Anfragen an die Landesregierung gestellt. Neuerdings beschäftigen die Liberalen zudem den Kreistag des Landkreises Limburg-Weilburg mit Fragen zu den Geschäftsbeziehungen dreier Sparkassen zu Löhnberg und der Rolle des ehemaligen Bürgermeisters Frank Schmidt (SPD) in deren Aufsichtsgremien.

Nun stellt sich die Frage der Lehren aus der Finanzaffäre. Der Hessische Städte- und Gemeindebund sieht zwar keine Gesetzeslücke. Angesichts des vielschichtigen und außergewöhnlichen Falls sollten nicht pauschal alle Kommunen mit neuen Regeln überzogen werden. Aber die Finanzaufsicht hätte besser arbeiten können und auf frühzeitige Hinweise des Landesrechnungshofs eingehen sollen, wie Geschäftsführer David Rauber der F.A.Z. sagte. Weil das nicht geschehen sei, sei die Finanznot der Gemeinde erst im vergangenen Jahr offenbar geworden.

Es wurden stets ausgeglichene Zahlen präsentiert

Seinerzeit stellte sich heraus: Löhnberg hatte seit 2016 keinen Jahresabschluss mehr vorgelegt. Zwischenzeitlich leistete sich die Kommune trotz hoher Schulden ein Dorfgemeinschaftshaus und zwei Hy­bridrasenplätze für alles in allem 5,6 Millionen Euro und lockte mit gebührenfreien Kindergartenplätzen. Die finanziellen Folgen wurden erst später klar. Denn die Hessische Gemeindeordnung schreibt zwar in Paragraph 112 vor: „Der Gemeindevorstand soll den Jahresabschluss der Gemeinde innerhalb von vier Monaten aufstellen und die Gemeindevertretung sowie die Aufsichtsbehörde unverzüglich über die wesentlichen Ergebnisse der Abschlüsse unterrichten.“ Solange das nicht geschehe, habe die Aufsichtsbehörde den neuen Haushalt nicht zu genehmigen, heißt es überdies. Doch blieb dies im Fall Löhnberg zunächst Theorie.

Denn: Um einen neuen Haushalt aufzustellen, brauche eine Gemeinde keinen Jahresabschluss, heißt es beim Gießener Regierungspräsidium. Darüber hinaus sei aus den von den Löhnberger Gemeindevertretern beschlossenen und von der Kommunalaufsicht geprüften Haushalten die mittlerweile offenkundige Überschuldung der Gemeinde nicht ersichtlich gewesen. Erst Unregelmäßigkeiten im Tagesgeschäft zulasten Dritter ließen demnach die Fachleute beim Kreis hellhörig werden. Zum Jahresende 2022 habe Löhnberg zudem noch angegeben, keine offenen Liquiditätskredite zu haben. Auch habe die Gemeinde die eigenen liquiden Mittel auf mehr als eine Million Euro beziffert. „Diese Angaben lassen sich mit den vorhandenen Liquiditätsproblemen der Gemeinde nicht in Einklang bringen“, teilte die Behörde dem Hessischen Rundfunk im vergangenen Sommer mit. Zwischenzeitlich hatte der Vertreter von Schmidt mitgeteilt, vier der Haushalte von 2017 an seien defizitär gewesen. Dies aber habe der Bürgermeister dem Gemeindevorstand und den Gemeindevertretern so nicht gesagt. Vielmehr seien stets ausgeglichene Zahlen präsentiert worden.

Löhnberg gilt weiter als Schutzschirm-Kommune

Dieses Gebaren erstaunt schon deshalb, weil Löhnberg seit gut zehn Jahren als sogenannte Schutzschirm-Kommune gilt, also vom Land mit Millionensummen entlastet worden ist. Eine Gemeinde oder Stadt bleibt laut David Rauber vom Städte- und Gemeindebund bis zur Vorlage eines ausgeglichenen Jahresabschlusses unter dem Schutzschirm. Dies habe die Kommune aber nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht geschafft.

Dass sie mit Jahresabschlüssen überhaupt so weit im Rückstand war, schreibt die Kommunalaufsicht in Gießen der Umstellung der kommunalen Haushalte von der über Jahrzehnte gewohnten kameralistischen Buchführung auf die Doppik mit Beginn des Jahres 2009 zu. Dieser Schritt habe vor allem viele kleinere Kommunen zunächst überfordert. Die Folge: reihenweise fehlende Jahresabschlüsse.

Weil Löhnberg weiter als Schutzschirm-Kommune gelte, sei die Finanzaufsicht vom Landkreis nach Gießen gewandert. Das Regierungspräsidium sei aber naturgemäß nicht so nah an der Gemeinde Löhnberg dran wie die Kommunalaufsicht beim Landkreis. Die Fachleute des Rechnungsprüfungsamts eines Kreises kennen in der Regel ihre Gemeinden und deren Verhältnisse gut. Sie wüssten, welche Kommune sich womöglich reicher rechne, als sie sei. So hegt Rauber die Vermutung: Die Fachleute im Landratsamt hätten die Lage besser durchschaut als ihre Kollegen im Regierungspräsidium, die sich erst neu hätten einarbeiten müssen.

„Bitte nicht nachmachen“

Unterschiedliche Aussagen gibt es zur Frage, ob Löhnberg Jahresabschlüsse beim Landkreis zur Revision vorgelegt habe. Die Gießener Behörde hat sich auf Angaben der Kommune dazu berufen – die Gemeinde verlautbarte jedoch, sie habe nicht angegeben, prüffähige Jahresabschlüsse erstellt zu haben. Dies alles spricht aus Sicht des Städte- und Gemeindebunds dafür, die Finanzaufsicht beim Landkreis zu belassen. Dabei empfehle sich ein Blick in den am Haushaltsplan anhängenden Finanzstatusbericht. Dieser Bericht gewähre guten Einblick in die Finanzlage. Es sei aber ein „wahnsinniger Datenwust“. Die Prüfer müssten in jedem Fall ihre Finger in die Wunde legen – auch in Fällen von Gemeinden, deren Bürgermeister in einer Vielzahl von Gremien gut vernetzt sei.

Der Landesrechnungshof hatte das Löhnberger Finanzgebaren schon 2019 aufgegriffen und mit der Überschrift „Bitte nicht nachmachen“ gewürdigt. Für die Investition in das Dorfgemeinschaftshaus und die Sportplätze ermittelte die Gemeinde demnach weder Wirtschaftlichkeit noch die Folgekosten. Zudem zeigten sich Fehler in den Gebührenkalkulationen und im Haushaltssicherungskonzept, wie der Rechnungshof feststellte. Beim Schutzschirm habe Löhnberg die vereinbarten Ziele deutlich verfehlt, und die Konsolidierungsberichte seien fehlerhaft gewesen. Dies habe die Aufsicht in Gießen aber nicht bemängelt.

Als „außergewöhnlich“ bezeichnete Rauber das Beteiligungswesen von Löhnberg. Die Gemeinde hat vier privatrechtlich organisierte Gesellschaften ins Leben gerufen. Der Staatsbeauftragte sprach von „spannenden Strukturen“ und stellte in Aussicht, drei Gesellschaften entweder aufzulösen oder in die Gemeinde zurückzuführen. Der Haken an der bisherigen Konstruktion: Eine GmbH oder ähnliche Gesellschaft unterliegt nicht der Kommunalaufsicht, wie Rauber hervorhebt. Die Aufsicht komme erst ins Spiel, wenn die Gemeinde für eine Gesellschaft bürgen oder Geld für sie aufnehmen wolle, weil sie günstigere Kredite bekomme. Auf die Frage, was daraus zu lernen sei, antwortet Rauber zurückhaltend. Das sei „schwierig“ – „weil die allermeisten Gemeinden so etwas nicht machen“.