Milben überleben Jahrmillionen ohne Sex

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Stand: 11.02.2025 11:36 Uhr

Die Hornmilbe pflegt eine besondere Art der Fortpflanzung, die seit 20 Millionen Jahren ohne Sex mit Männchen funktioniert. Mütter klonen sich selbst und bringen nur Töchter hervor – eine reine Frauengesellschaft.

Hornmilben leben im Humus oder Moos und besitzen einen kugelförmigen, dunklen Panzer. Sie sind sehr klein, nicht größer als ein Millimeter. Was sie so besonders macht: Hornmilben sind ausschließlich weiblich. Männliche Exemplare sucht man vergeblich.

Die Hornmilben-Mütter produzieren nur Töchter. Sie ähneln sich wie Klone, aber bei genauer Untersuchung gibt es doch minimale Unterschiede auf den beiden Chromosomenkopien. Männchen leisten dazu keinen Beitrag. Das zeigen Erbgutanalysen einzelner Milben, die jetzt im Fachblatt Science Advances publiziert wurden.

Im Laufe der Evolution verändern sich Gene und passen sich an Umweltbedingungen an. Wenn normalerweise die Gene der Mutter und des Vaters zusammenkommen, setzen sich beim Nachwuchs meist die Eigenschaften durch, die das Überleben am besten sichern.

Die Hornmilbe sorgt für genetische Vielfalt

Geklonte Hornmilben erreichen ihre genetische Vielfalt zum Beispiel durch den Austausch genetischer Information mit anderen Arten, erklärt die Erstautorin der Studie und Zoologin an der Universität zu Köln, Hüsna Ötzoprak. “Ein spannender Mechanismus hierbei ist der horizontale Gentransfer. Durch diesen Prozess können Gene von zum Beispiel Pflanzen, Pilzen oder Bakterien übertragen werden.” Diese Gene können neue Fähigkeiten entstehen lassen, die für künftige Milbengenerationen wichtig sind.

Außerdem verfügen Hornmilben über sogenannte springende Gene. Sie duplizieren und verbreiten sich mit Copy and Paste an unterschiedlichen Stellen des Genoms. Solche Gene gibt es in vielen Organismen, aber bei den Milben-Damen sind sie auf den beiden Chromosomenkopien unterschiedlich aktiv. Das kann dazu beitragen, dass sich über die Generationen hinweg neue genetische Varianten bilden. “Schädliche Mutationen können auf Dauer ausgeglichen werden, während gleichzeitig neue genetische Vielfalt entsteht”, so Ötzoprak.

Die Erfolgsgeschichte asexueller Fortpflanzung

Evolution ohne Sex funktioniert bei den Hornmilben seit über 20 Millionen Jahren. Zum Vergleich: Menschen und ihre Vorfahren gibt es erst seit vier Millionen Jahren. Obwohl das Klonen den Ruf hat, dass sich Arten dadurch ausrotten, weil Fehler in folgenden Generationen fortbestehen, tritt dieses Problem bei Milben nicht auf. Sie stehen für eine lange Erfolgsgeschichte.

Das Besondere am Klonen: Jedes Exemplar kann sich selbst fortpflanzen. Denn jedes weibliche Tier bringt Töchter hervor. Männchen könnten sich nicht klonen. Der Würzburger Biologe Manfred Schartl: “Wenn die Nachkommen alle Weibchen sind, sind immer 100 Prozent am Wachstum der Population beteiligt.” Das führt dazu, dass sich Milben explosionsartig vermehren und durchsetzen können.

Auch Amazonenkärpflinge klonen sich

Die gleiche Strategie der asexuellen Vermehrung verfolgen Wasserflöhe – außerdem Skorpione und ganz wenige Reptilien und Fischarten. Ein Beispiel ist der silbern schimmernde Amazonenkärpfling, der in Flüssen in Texas und Mexiko lebt. Auch davon gibt es nur geklonte Weibchen als Nachfahren.

Amazonen heißen sie deshalb, weil sie – ähnlich wie die Amazonen in der griechischen Mythologie – Samenraub betreiben. Sie brauchen nämlich das Sperma von Männchen anderer Fischarten als eine Art Startschuss, damit sich ihr Nachwuchs entwickeln kann. “Diese Spermien müssen bis zum Ei schwimmen und in das Ei eindringen. Dann aber wird das Erbgut des Vaters zerstört und es fängt die klonale Entwicklung des Eizellkerns an”, erläutert Biologe Schartl. Nach etwa vier Wochen entschlüpfen kleine weibliche Fische aus dem Mutterleib.

Eidechsen brauchen Scheinakt als Anregung

Außerdem gibt es eine bestimmte Eidechsenart, die sich mit Klonen fortpflanzt. Diese Eidechsendamen brauchen nicht einmal fremdes Sperma zur Anregung. Es genügt eine gute Freundin mit schauspielerischem Talent, welches das fortpflanzungsbereite Weibchen bespringt. “Es imitiert eine Art Kopulationsbewegung, so dass das Weibchen das Gefühl hat, es sei gerade begattet worden”, so Biologe Schartl.

Nach diesem Scheinakt nimmt die Entwicklung ihren Lauf: Junge Eidechsen-Mädels entstehen. Sie gleichen ihren Müttern fast komplett. Aber der kleine Unterschied macht’s: Wie die Hornmilben passen sie sich eher zufällig an neue Umweltbedingungen an und sichern so auf Dauer ihr Überleben.