Vance fordert KI-Optimismus: Kritik an Europas Vorsicht

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Mit einem Schwert hat J. D. Vance seine erste Auslandsreise begonnen. Als er am Dienstag in Paris im Grand Palais steht, erzählt der ameri­kanische Vizepräsident, wie er sich vor Ehefrau und den mitgereisten drei Kindern nach seiner Ankunft in der franzö­sischen Hauptstadt einen weißen Handschuh übergestreift hat. Denn es war nicht irgendein Schwert, sondern die Waffe des französischen Grafen von La Fayette, die Vance im Armee-Museum im Invalidendom in die Hand nahm. Man hatte sie eigens für ihn aus der gläsernen Vitrine geholt. General de La Fayette, der im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gekämpft hatte, stand am Anfang der bis heute gepflegten Erzählung von den „ältesten Verbündeten“ Frankreich und Amerika.

Als später Nachfolger des wohl berühmtesten amerikanischen Botschafters Thomas Jefferson zieht Charles Kushner ins Hôtel Talleyrand unweit des Elysée-Palastes ein. Die Entsendung des (vor­bestraften) Vaters seines Schwiegersohnes Jared will Donald Trump als Freundschaftsgeste an die Franzosen verstanden wissen. Der 40 Jahre alte Vizepräsident schrieb sich bei seinem Antrittsbesuch in Paris in diese Freundschaftsgeschichte ein, er schmeichelte Gastgeber Em­manuel Macron und lobte ihn dafür, dass er beim zweitägigen Gipfeltreffen für Künstliche Intelligenz (KI) die Spitzen aus Politik, Industrie und Forschung und Investoren zusammenbrachte.

Vance will danach mit seiner Familie zur Münchner Sicherheitskonferenz weiterreisen, der Ma­cron fernbleiben wird. Als Grund nannte man den Wunsch, nicht in den Bundestagswahlkampf eingreifen zu wollen. Es sei heikel, so kurz vor der Wahlentscheidung französische Erwartungen zur europäischen Verteidigung zu formulieren. Ähnliche Vorbehalte kennt Vance nicht. Wie es in Paris hieß, plane er, die Erwartungen der Trump-Regierung an die neue Bundesregierung deutlich zu formulieren.

Scholz weicht vom Manuskript ab

Bereits am Dienstag richtete Vance an die anwesenden europäischen Staats- und Regierungschefs eine Warnung: sie sollten „die neue Grenze der KI mit Optimismus und nicht mit Angst“ begehen. Das klang fast wie eine Antwort auf den vorsichtigen Ansatz, den Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Montagabend bei dem Arbeitsessen im Élysée-Palast verteidigt hatte. Vance hörte den Ausführungen schweigend zu. Als Macron ihn fragte, ob er reagieren wolle, winkte er ab. „Gute Gesellschaft und guter Wein“ reichten ihm vollkommen, erzählte Vance später scherzhaft.

Scholz kam zu seinem vorerst letzten Besuch als Bundeskanzler im Präsidentenpalast zu spät und ging um 21 Uhr 45 als Erster, lange vor dem indischen Premierminister Narendra Modi und dem chinesischen Vizeministerpräsidenten Zhang Guoquing. Macron hatte zum Auftakt die französische Gastronomie und Weine scherzhaft als etwas bezeichnet, was nie durch KI ersetzt werden könne. Scholz verzichtete dennoch auf Käsespezialitäten und Schokoladenkreation in Form des französischen Hexagons. Dem Dank Macrons, der „Olaf“ überschwänglich dafür lobte, dass er trotz des Wahlkampfs nach Paris gekommen sei, schickte er keine freundlichen Worte über das deutsch-französische Verhältnis nach.

Schon zuvor, beim Cocktail im kleinen Kreis mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und europäischen Regierungschefs und Unternehmern, hatte Scholz das Angebot Macrons ausgeschlagen, sich zu äußern. Im Festsaal des Elysée-Palastes dann verglich Scholz seine Annäherung an KI mit seiner Faszination als Junge für Autos. Dieser Teil stand nicht in seinem in englischer Sprache verfassten Redemanuskript. Jeder könne verstehen, wie Autos fahren, auch wenn kaum einer eines bauen könne. Das sei der große Unterschied zu KI, deshalb würde man sich davor auch sehr fürchten und manchmal vielleicht nicht genug fürchten. Er habe viele Bücher zu KI gelesen und glaube, dass er jetzt genauso viel davon verstehe wie als junger Mann von Autos.

Ein Seitenhieb auf China

Am Ehrentisch blickten die versammelten Gäste, ob Vance, Sundar Pichai (Google), Sam Altman (Open AI), Joseph Tsai (Alibaba) oder Arthur Mensch (Mistral AI) erwartungsvoll, was nun folgen würde. Doch dann beließ es Scholz bei Allgemeinplätzen. KI habe ein großes Potential, um die Produktivität bei Dienstleistungen und gerade im Regierungsbereich zu verbessern. Eine ver­tiefte europäische Kapitalmarktunion wäre gut, weniger Bürokratie auch, aber Regeln und Governance seien wichtig. Dann zitierte er Mustafa Suleymans Buch The Coming Wave, klarsichtig sei das, und das europäische Regelwerk müsse an die KI-Entwicklung angepasst werden.

Einer der anwesenden deutschen KI-Unternehmer, Jonas Andrulis von Aleph Alpha, sagte hinterher, sie hätten nichts anderes erwartet von der deutschen Politik. KI-Start-up-Unternehmer würden in Deutschland gern von der Politik gefeiert, ihre Anliegen angehört, aber dann geschehe nichts. Andrulis sagte, Frankreich habe gegenüber Deutschland einen Standortvorteil bei KI. Die großen Datencenter verschlingen viel Elektrizität, die in Frankreich Atomkraftwerke produ­zieren.

Vance griff am Dienstag die euro­päischen Reglementierungsbemühungen höflich, aber scharf an. Er kritisierte die Bemühungen Europas, die großen amerikanischen Technologieunternehmen zu beschränken. Es brauche eine KI-Regulierung, die Innovationen in der Branche nicht „ersticke“. „Wir brauchen internationale Regulierungssysteme, die Kreativität fördern“, sagte er. Er sei beunruhigt, wie einige Regierungen Inhalte unterdrücken wollten, weil sie ihnen nicht passten. Die Anspielung auf China schien offensichtlich. Dem chinesischen Vizeministerpräsidenten hatte Vance am Vorabend nicht zugehört. Er hatte sich vor dessen später Rede verabschiedet, ein Abgang, der wesentlich mehr Aufsehen erregte als Scholz’ früher Rückflug.

Altman hebt sich von Musk ab

Den großen Abwesenden der Runde, Elon Musk, erwähnte der amerikanische Vizepräsident nicht. Das war aber auch nicht nötig, beim Cocktail wurde ohnehin viel über ihn gesprochen. „Wie jeder hochintelligente Mensch, der keine Komplexe hat und sofort sagt, was er denkt, ist Elon Musk gefährlich“, hatte der franzö­sische Internet-Milliardär Xavier Niel im Morgenfernsehen gesagt und ihn einen „connard“ genannt, einen Blödmann.

Am Abend stand Niel unter den anderen Milliardären und lachte darüber, dass der Chef von Tesla und SpaceX ihn als „echten Zuhälter von einer Gruppe von Pros­tituierten“ beschimpft hatte. Bernard Arnault, Chef des Luxusgüterkonzerns LVMH, der von Trump persönlich zur Inauguration in Washington eingeladen war, lächelte nur milde. Niel ist sein Schwiegersohn. Gemeint hatte Musk offensichtlich eine Verurteilung des Franzosen zu einem Monat Haft im Jahr 2004, weil er einen der ersten Sexshops auf dem französischen Internetvorläufer Minitel betrieben hatte.

Das ist nicht der einzige Schattenkampf, der im Festsaal ausgetragen wurde. Sam Altman, der wie die anderen Gäste auf dem nasskalten Trottoir ausharren musste, bis sich verspätet die Pforten zum Elysée öffneten, hatte gerade Musks ungefragtes Übernahmeangebot in Höhe von fast 100 Milliarden Dollar zurückgewiesen. In seiner Ansprache warnte er davor, dass KI nicht mit anderen technologischen Revolutionen zu vergleichen sei. Demokratische Werte müssten ganz besonders geschützt werden. Damit hebt er sich klar von Musk ab, dessen Deregulierungsoffensive auch KI betrifft.

Auch der scheidende kanadische Premierminister Justin Trudeau ließ es sich nicht nehmen, die Trump-Administration diplomatisch, aber unmissverständlich zu kritisieren. Vance schloss seine Rede im Grand Palais mit dem französischen Freiheitskämpfer La Fayette. Mit KI sei es wie mit dem Schwert La Fayettes, es dürfe nicht in falsche Hände fallen. Man müsse den richtigen Ansatz wählen und Innovation freisetzen.