Neue Investitionen und die Veröffentlichung von Deepseek sind gute Nachrichten für Europa. Um aufzuholen, ist aber mehr nötig.
![Emmanuel Macron will, dass Frankreich im KI-Rennen vorne mit dabei ist. Am «AI Action Summit» in Paris präsentiert er der Branche seine Ideen.](https://adaglobalconcept.com/wp-content/uploads/2025/02/Die-Chance-fur-eine-Aufholjagd.jpeg)
Emmanuel Macron will, dass Frankreich im KI-Rennen vorne mit dabei ist. Am «AI Action Summit» in Paris präsentiert er der Branche seine Ideen.
Emmanuel Macron ist – wie immer – überaus zuversichtlich. «Wir sind zurück im Rennen», ruft der französische Präsident am Montagabend von der Bühne des Grand Palais den Zuschauern zu. Mit «Wir» meint Macron Europa, allen voran Frankreich. Und bei dem «Rennen» geht es um die ersten Plätze im Markt für künstliche Intelligenz.
Macron hat bei Investoren Gelder in Höhe von 109 Milliarden Euro gesammelt. Damit soll in Frankreich in künstliche Intelligenz investiert werden – unter anderem in den Aufbau von Rechenzentren. Am Dienstag zieht EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach: Die EU werde Investorengelder in der Höhe von 200 Milliarden Euro mobilisieren und die eigene «Invest AI»-Initiative um 50 Milliarden Euro aufstocken.
Die Gelder sollen Europas Antwort auf das Projekt Stargate von Donald Trump sein, der kürzlich Investitionen in amerikanische Rechenzentren im Wert von 500 Milliarden Dollar ankündigte.
Es scheint, als wache Europa dieser Tage aus seinem Winterschlaf auf. In Paris sind am Montag und Dienstag Staatsoberhäupter wie Emmanuel Macron und Olaf Scholz mit Grössen der KI-Szene zum «AI Action Summit» zusammengekommen. Der Zeitpunkt des Gipfels ist zufällig, aber gut gewählt: Vor zwei Wochen publizierte die chinesische Firma Deepseek ihr Sprachmodell und versetzte damit die Branche in Aufruhr. Das Modell kann mit dem von Open AI mithalten, wurde aber zu viel geringeren Kosten produziert.
Nun fragen sich alle: Ist das eine zweite Chance für Europa? Kann der Kontinent zwischen den Supermächten USA und China seinen Platz finden?
Zahlreiche Staats- und Regierungschefs sind nach Pairs gekommen. Darunter auch Olaf Scholz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
Europa ist einst mit drei Top-KI-Firmen gestartet
Bisher schien Europa dazu verdammt, in Sachen KI in der zweiten Liga zu bleiben. Wenn in der Branche die Worte künstliche Intelligenz und Europa in einem Satz fallen, geht es meist um den AI Act der EU. Der Tenor: Europa reguliert, was in den USA erfunden wird. Viele europäische KI-Firmen haben ihr Geschäftsmodell auf Technologie aus Amerika aufgebaut. Ein europäisches Large Language Model (LLM), das es mit Branchengrössen wie Open AI, Anthropic oder Google aufnehmen kann, fehlt bisher.
Dabei waren einst drei vielversprechende europäische Unternehmen ins KI-Rennen gestartet: Die deutsche Firma Aleph Alpha, Deepmind aus London und das französische Mistral.
Deepmind liess seine europäischen Wurzeln schnell hinter sich. 2014 wurde das Startup von Google übernommen und 2023 mit der Google-KI-Forschungsabteilung Google Brain zusammengelegt.
Mistral und Aleph Alpha wurden noch vor einem Jahr als grosse KI-Hoffnungen Europas gehandelt. Sie versprachen eine «souveräne» und «offenere» KI, unabhängig von den amerikanischen Big-Tech-Firmen. Dass ihre Investitionen nicht an jene aus dem Silicon Valley heranreichten, sei kein Problem: Man würde durch kluge Methoden mit weniger Geld und Rechenleistung die grossen Firmen schlagen.
Ein Jahr später hat Aleph Alpha seinen Plan aufgegeben. Statt um den ersten Platz bei Grundlagenmodellen zu wetteifern, fokussiert man sich auf Anwendungen für Firmenkunden. Vergangenen Sommer hatte Aleph Alpha weniger als vier Prozent der Kapitalressourcen, die Open AI allein von Microsoft zur Verfügung gestellt worden waren.
Inzwischen ist nur noch Mistral übrig
Jetzt ruht alle Hoffnung auf dem französischen Startup Mistral. Noch am Weltwirtschaftsforum 2024 wurden dessen Gründer als Helden gefeiert, die Europa endlich an die Spitze der Technologiebranche bringen würden. Ein französisches Startup in einer Reihe mit Meta, Google und Co.: Für Macron, der Frankreich zum europäischen Tech-Hub Nummer eins machen will, ginge ein Traum in Erfüllung.
Noch ist dieser nicht Realität. Von allen Ausgaben, die Unternehmen im Bereich generative KI tätigen, entfallen laut einer Schätzung von Menlo Ventures sechs Prozent auf Mistral. Open AI kommt auf 34 Prozent, Anthropic auf 24.
Immerhin: Mistral liegt auf dem fünften Platz, hinter Google. Doch während es Unternehmen wie Anthropic und Google schafften, Open AI Marktanteile abzujagen, ist der Anteil von Mistral sogar leicht gesunken. Ein wirklich grosser Player ist das Unternehmen damit nicht.
Das spiegelt sich auch in der Bewertung wieder, die zuletzt bei rund sechs Milliarden Euro lag. Zum Vergleich: Open AI wurde im Herbst mit 157 Milliarden Dollar bewertet (152 Milliarden Euro) und plant, seine Bewertung durch eine neue Finanzierungsrunde auf 300 Milliarden zu steigern. Mistrals jüngste Finanzierungsrunde liegt fast acht Monate zurück.
Das Kapital – neben der Regulierung gilt es als der Hauptgrund, warum europäische KI nicht mit der amerikanischen mithalten kann. In Europa gibt es davon einfach nicht genug: Laut Daten des Marktforschers CB Insights flossen vergangenes Jahr mehr als 100 Milliarden Dollar Risikokapital in KI-Unternehmen. Im vierten Quartal legten die Investitionen besonders kräftig zu und beliefen sich auf 43 Milliarden. Davon landeten lediglich 2,5 Milliarden Dollar in Europa.
Das wollen Macron und von der Leyen nun ändern. Ihre Ankündigungen erwecken zumindest den Eindruck, dass in Europa ein KI-Projekt entstehen könnte, das in seinen Dimensionen mit Trumps Stargate vergleichbar ist.
Und es gibt noch einen Grund für gute Stimmung: Deepseek hat bewiesen, dass weniger Geld nötig sein könnte als gedacht, um im KI-Wettbewerb mitzuhalten.
Arthur Mensch, CEO von Mistral, im Gespräch mit Stellantis-Präsident John Elkann (von links nach rechts).
Will Mistral die Deepseek-Chance überhaupt nutzen?
Deepseek hat geschafft, was Mistral immer vorhatte. Es hat ein Modell veröffentlicht, das gleich gut funktioniert wie das beste von Open AI – und dafür nach eigenen Angaben weniger als sechs Millionen Dollar ausgegeben.
Das umfasst allerdings nur die Energiekosten für das neueste Modell der Firma. «Die Gesamtkosten der Entwicklung waren wohl zehn bis 100 Mal höher als diese sechs Millionen», schätzt Imanol Schlag, Forscher am AI-Center der ETH. Denn die Gehälter der mehr als 100 Forscher, die Kosten für Chips und alle Energiekosten für Vorgängermodelle müsse man dazurechnen. Trotzdem sind die Kosten viel tiefer als bei den amerikanischen Firmen.
Obwohl Mistral überholt wurde, steht es nicht als Verlierer da. Denn die Chinesen stellen das Modell kostenlos zum Herunterladen zur Verfügung und erklären in einer Forschungsarbeit detailliert, wie sie es entwickelt haben.
Mistral und alle anderen Mitstreiter müssen also nicht rätseln, wie man den Klassenbesten einholt. Sie können die neuesten Methoden kopieren und haben so wieder einen Chance auf den ersten Platz.
Auf seiner Webseite stellt Mistral klar, dass Deepseeks R1 Modell kein Ersatz, sondern eine Ergänzung zu den Modellen von Mistral sei. «Wir freuen uns darauf zu sehen, wie die Open Source Gemeinschaft dieses Modell aufnimmt und adaptiert», schreibt Mistral auf seiner Webseite. Das klingt nicht, als wäre der Plan der Firma, Deepseek zu überholen.
Das könnte betriebswirtschaftliche Gründe haben. Denn die Deepseek-Überraschung zeigt auch, wie riskant der KI-Wettlauf ist. Der Vorsprung, den sich Firmen wie Open AI und Anthropic mit riesigen Investitionen erkauft haben, ist auf einen Schlag verpufft, als Deepseek sein Modell gratis ins Netz stellte.
Ähnlich argumentiert Florian Doutteau, CEO des französischen KI-Startups Dataiku. Weil Fortschritte offen geteilt würden, komme es weniger auf die Modelle an, und mehr auf die Infrastruktur, um sie zu betreiben. «Unternehmen und Länder werden in der Lage sein, neue Modelle relativ schnell nachzubauen.» Der Schlüssel zum Erfolg sei die Fähigkeit, auf diese Modelle wirtschaftlich tragfähige Anwendungen aufzubauen. Der Haken an dieser Sichtweise: Man ist davon abhängig, dass grosse Player ihre Modelle weiterhin offen zur Verfügung stellen.
Öffentliche Modelle und drohende Regulierung
Selbst wenn jetzt mehr Geld in europäische KI fliessen wird, bleibt eine weitere Herausforderung: Die Regulierung. Sam Altman, CEO von Open AI, lobte in einem Gastbeitrag in der Zeitung Le Monde das französische Vorgehen bei KI – und kritisierte zugleich den AI Act der EU, der «Konsequenzen für die Möglichkeiten von morgen» haben werde.
Zwar ist das Gesetz noch nicht in Kraft, aber es stellt hohe Ansprüche an KI, etwa, dass transparent über die Herkunft der Daten informiert wird. Und wenn diese von Urheber- oder Persönlichkeitsrechten geschützt sind und doch verwendet wurden, drohen Verbote. Das ist mutmasslich bei allen guten KI-Modellen der Fall.
Bernhard Quendt, Chief Technology Officer des französischen Rüstungskonzerns Thales, sieht in der Regulierung von KI keinen Wettbewerbsnachteil, ganz im Gegenteil. «Ich will nicht in einer Welt leben, in der Avionik oder Verteidigungssysteme anfangen zu halluzinieren», sagt er gegenüber der NZZ. Regulierung sei notwendig, um Vertrauen in KI zu schaffen und Risiken zu minimieren. Gleichzeitig dürfe sie Innovationen nicht ausbremsen: «Innovationen brauchen Freiraum – aber sobald eine Technologie eine gewisse Reife erreicht, müssen wir über Regularien nachdenken.»
Auch Florian Doutteau stellt sich nicht per se gegen KI-Regulierung. Er kritisiert vor allem, dass die Regeln in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich interpretiert würden. «Das kann dazu führen, dass Unternehmen in sieben verschiedenen Ländern mit mehreren Aufsichtsbehörden gleichzeitig umgehen müssen.» Ein typisch europäisches Problem – an dem auch Milliardeninvestitionen nichts ändern können.
Aber es scheint, als habe sich etwas verändert in Europa. Der letzte grosse AI Summit fand 2023 in England statt, unter dem Schlagwort «Security». Jetzt steht «Action» im Vordergrund. Die USA setzen auf Beschleunigung und Europa will nicht zurückgelassen werden.