Die Dramaturgie der vergangenen Tage hat es schon erwarten lassen: Die Koalitionsverhandlungen zwischen der rechten FPÖ und der christdemokratischen ÖVP zur Bildung einer neuen österreichischen Regierung sind gescheitert. FPÖ-Chef Herbert Kickl suchte am Mittwochnachmittag Bundespräsident Alexander Van der Bellen auf, um ihn darüber zu unterrichten. Damit hat sich Kickls Hoffnung vorerst zerschlagen, der erste „blaue“, von der FPÖ gestellte Bundeskanzler zu werden. Im Wahlkampf hatte Kickl davon gesprochen, er wolle „Volkskanzler“ werden – ein Begriff, der einst auch von den Nationalsozialisten gebraucht wurde und deshalb weithin Misstrauen gegen den FPÖ-Chef nährte.
Von gegenseitigem Misstrauen waren auch die Koalitionsverhandlungen geprägt. Schließlich hatte die ÖVP vor und zunächst auch nach der Wahl kategorisch ausgeschlossen, mit Kickl ein Regierungsbündnis einzugehen. Diese Linie war vom damaligen Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer gezogen worden, der zu Jahresbeginn abgetreten ist. Aber auch die übrige Parteiführung hatte sie unterstützt. Besonders nachdrücklich tat das Nehammers Generalsekretär Christian Stocker – mit saftigen Zitaten gegen Kickl. Und Stocker war es, der als neuer ÖVP-Anführer mit Kickl eine Koalition aushandeln sollte, nachdem Nehammer seinen Versuch aufgegeben hatte, mit Sozialdemokraten (SPÖ) und Liberalen (Neos) eine Regierung der Mitte zu bilden.
Der Knackpunkt: Zugriff aufs Innenministerium
Umso überraschender war es, dass FPÖ und ÖVP nach der Kehrtwende der Christdemokraten binnen weniger Tage eine Grundsatzeinigung über das Budget erzielten. Die war keineswegs einfach, denn sie erforderte schmerzliche Einschnitte. Österreich muss ein Minus von mehr als sechs Milliarden Euro ausgleichen, um ein EU-Defizitverfahren abzuwenden. Nicht zuletzt daran waren zuvor die Bemühungen um eine Art österreichischer Ampel gescheitert, wegen der bunten Parteifarben von ÖVP, SPÖ und Neos „Zuckerl“ genannt.
Doch es erwies sich, dass die Budgeteinigung im Wesentlichen aus Überschriften bestand. Im Detail wurde es auch bei FPÖ und ÖVP wieder zäh. Der Knackpunkt lag dann allerdings woanders. Die Volkspartei weigerte sich, der FPÖ abermals den Zugriff aufs Innenministerium mit all seinen sicherheitsrelevanten Ressourcen zuzugestehen, vom Polizeiapparat bis hin zum Nachrichtendienst DSN.
Zum einen fürchtete man, vom internationalen Austausch der Geheimdienste abgeschnitten zu werden, wenn eine Partei mit notorischer Moskau-Nähe die Aufsicht über die DSN erhielte, die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst. Zum anderen erinnerte man sich daran, wie es war, als die FPÖ schon einmal den Innenminister stellte. Da wurde als erstes der Verfassungsschutz (damals noch BVT) gestürmt; die Razzia wurde von der Korruptionsstaatsanwaltschaft angeordnet, war aber zuvor aus dem Ministerbüro angeleiert worden. Und der Minister war kein anderer als Herbert Kickl. 2019 wurde er nach der Ibiza-Affäre entlassen, obgleich er mit dem damals aufgetauchten Skandalvideo nichts zu tun hatte. Diese Vorgeschichte machte das Innenressort jetzt zum Zankapfel.
Kompromissvorschläge mit großen Haken
Zuletzt ging es offenkundig nur mehr darum, die Schuld am absehbaren Scheitern der jeweils anderen Seite zuzuschieben. Angebliche Kompromissvorschläge wurden ausgetauscht, aber nicht mehr (nur) in Verhandlungen, sondern auf dem offenen Markt. Da schlug die FPÖ vor, die ÖVP dürfe einen Staatssekretär unter dem „blauen“ Innenminister haben, mit Zuständigkeit für den Nachrichtendienst. Der Haken: Ein Staatssekretär ist immer weisungsgebunden, die Ressortverantwortung trägt laut Verfassung der Minister.
Die ÖVP wiederum wärmte einen Vorschlag auf, die Zuständigkeit für Asyl und Fremdenwesen in ein eigenes Ministerium auszugliedern, in dem die FPÖ sich dann als Erbauer der „Festung Österreich“ profilieren dürfe. Diese Teilung wäre allerdings schon rechtlich kaum möglich gewesen, jedenfalls nicht, ohne die Verfassung zu ändern, wofür eine FPÖ-ÖVP-Mehrheit nicht ausreichen würde. Auch in der Sache war der Vorschlag zweifelhaft. Spötter sagten, ebenso gut könnte man das Landwirtschaftsministerium in ein Ressort für Ackerbau und eines für Viehzucht aufteilen.
Schon Kickls erste Einlassung nach dem Scheitern, sein veröffentlichter Brief an den Bundespräsidenten, ließ erkennen, dass diese angeblichen Kompromissvorschläge vor allem dem Schwarze-Peter-Spiel dienten. „Obwohl wir in den darauffolgenden Gesprächen der ÖVP in vielen Punkten entgegengekommen sind, waren die Verhandlungen zu unserem Bedauern letztlich nicht von Erfolg gekrönt,“ schrieb Kickl noch mit feiner Feder. Der Säbel wurde anschließend von seinem FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker ausgepackt. ÖVP-Chef Stocker, der sich ebenfalls eilig äußerte, stand dem nicht nach.
Der Ball liegt nun zunächst beim Bundespräsidenten. Ihm kommt es zu, den Kanzler und auf dessen Vorschlag die Regierung zu ernennen. Wie es in den vergangenen Tagen hieß, hat Van der Bellen bereits mögliches Personal für eine Expertenregierung ausgelotet, die vom Parlament zumindest toleriert würde. Die könnte wie schon 2019 bis zu Neuwahlen die Geschäfte führen. Oder sie könnte in einer längeren Übergangszeit notwendige Reformen erledigen. Als Blaupause könnten die Teilergebnisse aus den beiden gescheiterten Koalitionsverhandlungen seit der Nationalratswahl dienen. Dann wären diese 136 Tage doch nicht vollkommen nutzlos verstrichen.