Drei Kalte Duschen für Kiew

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Mit markigen Worten führte sich der neue US-Verteidigungsminister am Mittwoch bei der NATO ein. „Die NATO muss eine stärkere, tödlichere Streitmacht sein –  kein diplomatischer Klub“, schrieb Pete Hegseth auf der Plattform X. „Es ist an der Zeit, dass die Verbündeten die Gelegenheit beim Schopfe packen.“ Dazu ein Foto, wie er die große Halle im Brüsseler Hauptquartier durchschreitet, im schwarzen Mantel, den Kragen hoch geschlagen, von unten aufgenommen. 

Es gibt einen neuen Boss in der Stadt – so sollte das wohl wirken an diesem Ort, wo die Diplomaten und Beamten der Allianz zu Hause sind. Hegseth, viele Jahre für den amerikanischen TV-Sender Fox News tätig, weiß, wie man sich inszeniert. Und das war erst der Anfang.

Schon beim ersten Telefonat mit NATO-Generalsekretär Mark Rutte Ende Januar hatte Hegseth, gerade vom US-Senat bestätigt, diesen Ton angeschlagen: eine stärkere, tödlichere Allianz. Das ist nicht unbedingt die bisher übliche Tonlage. Die NATO sieht sich zwar als starkes und erfolgreichstes Militärbündnis der Geschichte, allerdings eben auch als „defensive“ Allianz. Verteidigungsminister Boris Pistorius wollte das Adjektiv „letal“ nicht in den Mund nehmen, als er nach Hegseth gefragt wurde. Anders Rutte, der diese Deutung gab: „Die NATO muss eine tödliche Organisation bleiben, sonst können wir die Abschreckung nicht aufrechterhalten.“

Telefonat mit Putin

Nun erwartet niemand, dass der neue US-Präsident das Bündnis jetzt in neue Einsätze treibt. Donald Trump will ja Kriege beenden, statt neue zu beginnen. Zuvorderst den in der Ukraine. Und da verbindet sich in Europa mit der neuen Regierung in Washington eher eine andere Sorge: dass sie sich leichtfertig auf einen Deal mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin einlässt über die Köpfe der Europäer hinweg. Diese Befürchtung schien sich am Abend zu bestätigen, als Trump auf seinem Netzwerk Truth Social von einem „langen und sehr produktivem Telefonat“ mit Putin berichtete. 

Beide hätten vereinbart, dass ihre Teams nun „unverzüglich“ Verhandlungen über die Beendigung des Krieges aufnähmen. Er werde den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj darüber informieren, schrieb Trump. Von den Europäern war gar nicht erst die Rede.  

Als Heg­seth in Brüssel eintraf, war das noch nicht bekannt. Anlass für seinen Antrittsbesuch war die Konferenz der Ukraine-Kontaktgruppe, die Militärhilfe für Kiew koordiniert. Als Erstes traf er den ukrainischen Verteidigungsminister Rustem Umjerow, anschließend Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, der von einem ebenso „freimütigen“ wie „freundlichen“ Gespräch sprach. Noch unter diesem Eindruck nahm Pistorius dann auch Zahlen zu den künftigen Verteidigungsausgaben in den Mund, die weit über dem liegen, was Deutschland heute aufwendet. Man müsse sich ehrlich machen, sagte der SPD-Politiker und rechnete mal testweise vor, was drei statt zwei Prozent an zusätzlichen Milliarden bedeuten würden.

Europa müsse „überwältigenden Anteil“ der Militärhilfe übernehmen

Der britische Verteidigungsminister John Healey versuchte zu Beginn der Sitzung der Ukraine-Kontaktgruppe, Heg­seth eine Brücke zu bauen. Ukrainischer Mut und westliche Hilfe hätten eine „tödliche Kombination“ ergeben, sagte er. Die Europäer seien ihrer Verantwortung nachgekommen, sie hätten mehr getan. Die Zahlen dazu hatte Rutte schon vorher geliefert: mehr als 50 Milliarden Euro an Militärhilfe für die Ukraine im vorigen Jahr, davon „mehr als die Hälfte“ von Europa und Kanada. Genau genommen waren es 60 Prozent, wie Diplomaten sagten.  Healey mahnte, dass nicht nur Russland, sondern auch China und Nordkorea nur darauf warteten, dass es Brüche im Bündnis gebe. Und er schloss mit einer Formel  Ronald Reagans, die sich Trump zu eigen gemacht hat: „Lasst uns Frieden durch Stärke gemeinsam verfolgen!“

Wer erwartet hatte, dass Hegseth sich dadurch irgendwie beeindrucken ließe, wurde sogleich eines Besseren belehrt. Der Amerikaner, 44 Jahre alt, ergriff das Wort, dieser Teil der Sitzung wurde öffentlich übertragen. Es folgten Sätze von schneidender Klarheit zur Zukunft der Ukraine und der Allianz. Die Europäer müssten künftig den „überwältigenden Anteil“ der Militärhilfe für Kiew übernehmen. Die USA wollten eine „souveräne und wohlhabende Ukraine“. „Doch müssen wir damit beginnen, dass eine Rückkehr zu den Grenzen der Ukraine vor 2014 ein unrealistisches Ziel ist“, sagte er. Das Land benötige  „robuste Sicherheitsgarantien“, „doch glauben die Vereinigten Staaten nicht, dass die NATO-Mitgliedschaft für die Ukraine ein realistisches Ergebnis einer Verhandlungslösung ist“. 

Das waren gleich drei kalte Duschen für Kiew – so klar hatte das seit Trumps Amtsantritt noch niemand gesagt. „Jegliche Sicherheitsgarantien müssen durch fähige europäische und außereuropäische Truppen gestützt werden“, so Hegseth – aber keine amerikanischen. Ob Washington Garantien anderer Art stellen würde, ließ er offen. Dass eine Friedenstruppe in der Ukraine von der NATO geführt werden könnte, schloss er dagegen aus; sie werde sich auch nicht auf Artikel 5, den Schutz der kollektiven Verteidigung, stützen können.

Dann kam Hegseth darauf zu sprechen, wie er sich – als Sprachrohr Trumps – die Zukunft  im europäischen NATO-Gebiet vorstellt. Europa  müsse seinen Bürgern klarmachen, dass man der Bedrohung nur durch höhere Verteidigungsbeiträge begegnen könne. Präsident Trump habe fünf Prozent vorgeschlagen, dem stimme er zu. „Wir sind heute auch hier, um direkt und unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen, dass die harten strategischen Realitäten die Vereinigten Staaten  daran hindern, sich in erster Linie auf die Sicherheit Europas selbst zu konzentrieren“, fuhr er fort. Die Priorität Amerikas sei nun, China von einem Krieg im Pazifik abzuschrecken. Die Europäer müssten nun „Verantwortung für die konventionelle Sicherheit auf dem Kontinent übernehmen“.

Auch das hatte man so klar noch nicht aus Washington gehört. Dass die USA immerhin an ihrem nuklearen Schutzschirm festhalten wollen, war nach diesem Auftritt nur ein schwacher Trost. „Die USA werden nicht länger ein unausgewogenes Verhältnis dulden, das Abhängigkeiten befördert“, sagte Hegseth zum Schluss.