Andrea Orcel hat Zeit. Der Unicredit-Chef, der für sein Institut zwei Tage vor der Commerzbank starke Zahlen vorgelegt hat, kann sich in aller Ruhe angucken, wie sich die verschiedensten Interessengruppen in Deutschland an seinem Vorstoß einer Bankenübernahme abarbeiten. Der erfahrene Investmentbanker dürfte noch immer einigermaßen verwundert darüber sein, wie viel Gegenwind ihm entgegenbläst. Es scheint ihn eher zu motivieren als abzuschrecken.
Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU), in dessen Verantwortungsgebiet, der nach internationaler Relevanz strebende Finanzplatz Frankfurt fällt, erneuerte zu Beginn der Woche seine Ablehnung. Unicredit solle sich zurückziehen, die Offerte sei feindlich, er sorge sich um die Kreditvergabe im deutschen Mittelstand, wenn die Kreditentscheidung nicht mehr in Deutschland getroffen werde. Doch es wäre mehr als nur zu hoffen, dass Banken weltweit die Kreditentscheidungen für ein Unternehmen nicht an örtliche Nähe, sondern an Risikoprofile koppeln. Wohin alles andere führt, sollte mehr als 15 Jahre nach dem Ausbruch der Finanzkrise nicht schon wieder in Vergessenheit geraten sein.
Die Commerzbank tut angesichts all diesem der Logik der Marktwirtschaft widersprechenden Grundrauschen aus der Bundes-, Landes- und Lokalpolitik das einzig Richtige: Sie lässt Zahlen sprechen. Das Geschäftsjahr 2024 war erfolgreich. Der Nettojahresgewinn markiert mit 2,7 Milliarden Euro einen Rekord in der Unternehmensgeschichte und fiel besser aus als erwartet. Der Gewinnzuwachs gegenüber dem Vorjahr beträgt rund 20 Prozent. Als Folge profitieren die Anteilseigner von einer kräftigen gestiegenen Dividende.
Eine Würdigung der Mannschaftsleistung
All das zusammen macht die Commerzbank zu einem interessanten Übernahmeobjekt. Wer auf dem deutschen, hart umkämpften Bankenmarkt expandieren will, wird dies in großem Stil nur mit einer Übernahme stemmen können. Dafür ist die Commerzbank 2025 ein natürlicher Kandidat.
Dieses Urteil kann sie auch als Würdigung ihrer Mannschaftsleistung verstehen, denn lange galt die Commerzbank als Sanierungsfall. In der Finanzkrise durch den Staat gerettet, blieb sie danach nur mit dem Staat als Ankeraktionär einigermaßen stabil. Im Jahr 2019 hatte es Gespräche zwischen der Deutchen Bank und der Commerzbank gegeben. Das Wort „nationaler Champion“ wollte dabei kaum einer bemühen, da sich eher der Eindruck einer von der Politik getriebenen Verlegenheitslösung aufdrängte. Die an Filialen festhaltende Commerzbank wartete auf die Zinswende, die Deutsche Bank arbeitete noch immer Skandale auf. Schon kurz nach dem Bekanntwerden der Gespräche wurden sie wieder abgebrochen, da der Zusammenschluss schlichtweg keinen Sinn ergab: nicht für die beteiligten Banken, nicht für die Kunden, nicht für den Finanzplatz.
Inzwischen gilt die Commerzbank als saniert und es war überfällig, dass der Verkauf der Bundesbeteiligung an der Bank nicht nur angekündigt, sondern im Herbst 2024 auch endlich zumindest teilweise vollzogen wurde. Der Bund verkaufte ein erstes Paket und sollte sich konsequenterweise auch zügig vom Rest trennen. Die börsennotierte Bank kann und muss ohne Staatsbeteiligung die Zukunftsfähigkeit ihres Geschäftsmodells beweisen.
Der Erfolg der vergangenen Jahre ist eng mit der Zinswende verknüpft, der Zinsüberschuss lässt die Gewinne der Bank sprudeln. Doch hat die Commerzbank außerdem kräftig Filialen abgebaut und einen weiteren Stellenabbau angekündigt. Die Kosten-Ertragsquote sinkt, ist aber mit 56 Prozent noch immer zu hoch. Der Wert der Unicredit liegt bei unter 40 Prozent. Das weiß auch Unicredit-Chef Orcel, der mit der Commerzbank zwar keinen Sanierungsfall, aber eben auch keinen garantierten Renditebringer kaufen würde. Orcel ginge mit der Übernahme ins volle Risiko. Ob ihm die Integration einer weiteren Bank gelänge ist offen.
Der Commerzbank-Vorstand unter der Führung von Bettina Orlopp hat sich bisher sehr eindeutig gegen eine Übernahme positioniert. So lange es kein Angebot gebe, werde man keine Gespräche führen. Auch wenn es Irritationen darüber gibt, ob die Unicredit auf feindlicher Übernahmemission ist, oder ob es doch schon vor Monaten Gespräche zwischen beiden Instituten gegeben hat: Orlopp kennt die Gesetze des Marktes und wird sie einkalkulieren. Das Konzept einer angestrebten Eigenständigkeit muss die Anteilseigner der börsennotierten Bank überzeugen. Sie entscheiden. Die Commerzbank muss liefern.