Digitalblamage abgewendet: Geld in letzter Minute

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Die Zukunft des digitalen Staats hängt in Deutschland am seidenen Faden. Manchmal sind nur ein paar Millionen Euro nötig, um ein Projekt am Laufen zu halten. Aber wenn die fehlen, können selbst Projekte kollabieren, die die Bundesregierung innerhalb ihrer Digitalstrategie als „Leuchtturmprojekte“ ansieht und zu denen Deutschland nach den europäischen Regeln auch verpflichtet ist. Die Schaffung „digitaler Identi­täten“ gehört dazu, also die Möglichkeit für Bürger, sich im Internet ausweisen und Behördengänge online abwickeln zu können.

„Ob Elterngeld oder Wohnsitzanmeldung, BAföG oder Kfz-Zulassung – alle behördlichen Dienstleistungen sollen zukünftig auf ein Smartphone passen und datenschutzkonform sein“, so heißt es in der Digitalstrategie, die sich die Bundesregierung auf Drängen von Bundesdigitalminister Volker Wissing am Anfang der Legislaturperiode gegeben hat. Idealerweise bekommen die Bürger dafür auch noch irgendwann eine Brieftasche, also eine „Wallet“ auf ihre Smartphones, in denen sie ihren Onlineausweis, Führerschein, Reisepass und andere Dokumente aufbewahren können, um sie für Onlinegeschäfte zu nutzen: für die Eröffnung eines Kontos oder als Altersnachweis, zur Identifizierung gegenüber der Krankenkasse oder für den Abschluss eines Mobilfunkvertrages. Auch Zeugnisse oder Mitgliedskarten von Vereinen sollen dort gespeichert werden können. Die EU gibt den Zeitrahmen vor: Bis Ende 2026 haben die EU-Staaten Zeit, sich technisch einiges einfallen zu lassen.

Arbeit auf Hochtouren – dann geht das Geld aus

Im Bundesinnenministerium wird auf Hochtouren daran gearbeitet: Es hat einen weltweiten Wettbewerb ausgerufen, eine Architektur erarbeitet, Prototypen erstellen lassen. Doch dann versiegte der Geldstrom. 40 Millionen Euro braucht das Ministerium für die digi­talen Identitäten, noch einmal 40 Millionen Euro für die Wallet. In Zeiten no­torisch klammer Kassen waren Letztere nicht mehr aufzutreiben. Bei einem Gesamthaushalt von knapp 480 Milliarden Euro geht es hier also um nicht einmal 0,01 Prozent des Budgets, doch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), zuständig für die innere Sicherheit, Migration und nebenbei auch noch die sperrige Verwaltungsdigitalisierung, hat derzeit andere Sorgen.

Dass ein zentrales Projekt an solchen Summen nicht scheitern darf, versteht sich von selbst, deshalb zeigte die Bundesregierung Kooperationsbereitschaft: Das Bundesdigitalministerium half aus und stellte kurzerhand 20 Millionen Eu­ro aus anderen Fördertöpfen zur Verfügung. Ende Januar hat der Haushaltsausschuss sein Plazet zu der unkonventionellen interministeriellen Kooperation gegeben.

Digitalministerium hilft aus

Seitdem läuft die Entwicklung weiter, der zuständige Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Markus Richter, ist sichtlich erleichtert. „Es ist nach wie vor das wichtigste Projekt im Bereich der Digitalisierung, und ich freue mich riesig, dass wir damit jetzt nach vorn gehen können“, sagte Deutschlands „Chief Information Officer“ Richter auf Anfrage. Wäre das Geld nicht geflossen, hätte man ein ganzes Jahr verloren, weil man auf die neue Bundesregierung und ihren neuen Haushalt hätte warten müssen. Jetzt könne man in den Aufbau der EU-Wallet gehen.

Das Bundesdigitalministerium wiederum ist nun zwar 20 Millionen Euro ärmer, aber trotzdem ebenfalls sehr zufrieden: „Uns war es wichtig, dass die Entwicklung der digitalen Identitäten wegen des fehlenden Haushalts nicht gestoppt wird, sondern nahtlos weitergeht“, sagte ein Sprecher des Digitalministeriums der F.A.Z. Es dürfte das erste Mal sein, dass das Haus über Einzelpläne unterschied­licher Ministerien hinweg eine Lösung für einen finanziellen Engpass angeboten hat. Normalerweise achten die Ressorts akribisch darauf, dass das Geld für eigene Projekte ausgegeben wird.

Doch das glimpfliche Ende wirft ein Schlaglicht auf ein zentrales Problem der Digitalisierung in Deutschland: Das Thema ist auf zu viele Ministerien verteilt, die jeweils andere Prioritäten haben. Es gibt weder eine zentrale Anlaufstelle noch ein eigenständiges Digitalbudget, mit dem wichtige Projekte ge­steuert werden können. Der Digitalrat als Beratergremium der Bundesregierung für die Umsetzung der Digitalstrategie hatte das schon angemahnt.

Jetzt muss alles anders werden

Auch das Bundesdigitalministerium selbst hat Anfang Dezember damit überrascht, dass es für die nächste Legislaturperiode eine neue Struktur vorgeschlagen hat: Die neue Bundesregierung müsse Kompetenzen der unterschiedlichen Häuser in einem echten Digitalminis­terium bündeln, forderte Staatssekretär Stefan Schnorr damals: Es brauche ein eigenes Budget und eine eigenständige Digitalagentur.

Zumal das Projekt der digitalen Identitäten und der dazugehörigen Wallet mit der unbürokratischen Geldspritze nicht auf Dauer gesichert ist. Noch fehlen weitere 20 Millionen Euro für die Entwicklung, die im nächsten Jahr abgeschlossen werden soll.