Der Bundesrat will die KI-Konvention des Europarats ratifizieren. Von der strengeren Verordnung der EU nimmt man Abstand. Trotzdem profitiert die Schweiz indirekt vom europäischen Regelwerk.
Die Schweizer KI-Branche hat lange gewartet, nun ist er da: Der Bundesrat hat einen ersten Richtungsentscheid in Sachen KI-Regulierung getroffen. Er hat am Mittwoch beschlossen, die Konvention des Europarats zu künstlicher Intelligenz (KI) zu ratifizieren.
Ausserdem wurden eine Auslegeordnung und mehrere Berichte publiziert. In diesen legen verschiedene Fachstellen der Schweizer Verwaltung dar, welches Recht sich in der Schweiz jetzt schon auf KI anwenden lässt und welche Anpassungen nötig wären, wenn man sich europäischen Regeln für KI anschlösse.
Die Schweiz hat die KI-Konvention des Europarats massgeblich mitentwickelt. Deshalb ist nicht überraschend, dass diese nun auch ratifiziert wird. Sie schreibt auch nur wenige Grundsätze fest, etwa den Schutz von Demokratie und Grundrechten, vor allem dann, wenn die öffentliche Hand KI nutzt.
Offen war bisher, ob die Schweiz sich den strengeren KI-Regeln der EU anschliessen wird. Das ist nun kein Thema mehr. Der Bundesrat betont vor allem, den Innovations- und Wirtschaftsstandort Schweiz schützen zu wollen.
Vor dem Hintergrund der jetzigen Stimmung in Sachen KI ergibt das Sinn. In der EU, wo man ein tiefgreifendes Regelwerk zu KI beschlossen hat, geht im Moment die Angst um, sich damit selbst zu sehr gebremst zu haben. Beim KI-Gipfel in Paris Anfang dieser Woche wurden die europäischen Regeln kritisch diskutiert.
Die grosse Sorge in Europa sind im Moment nicht die Gefahren der KI, sondern die Frage, wie man bei dieser Technologie mit den USA und China mithalten kann. Die Vorsicht und Langsamkeit der Schweizer Behörden ist in diesem Fall von Vorteil – zumindest sehen es die von der NZZ befragten Experten so.
Die Langsamkeit der Schweiz ist für einmal ein Vorteil
Nun sollen mehrere Departemente der Schweiz eine Vernehmlassungsvorlage erstellen, welche festlegt, wie die KI-Konvention umgesetzt wird. Ende 2026 soll dieser Umsetzungsplan stehen. Mit neuen Gesetzen ist also wohl frühestens 2028 zu rechnen. Dieser späte Zeitpunkt wird teilweise kritisiert, etwa von der NGO für KI und Menschenrechte AlgorithmWatch.
Das sieht Anne-Sophie Morand anders. Sie ist Expertin im KI-Recht und Data Governance Counsel bei Swisscom. Sie sagt: «Die nötigen Abklärungen sind komplex und brauchen Zeit. Aber schon jetzt bewegt sich KI auch in der Schweiz nicht im rechtsfreien Raum.» Wer beispielsweise eine andere Person durch ein Deepfake imitiert, könne bereits heute strafrechtlich belangt werden, und auch der zivilrechtliche Persönlichkeitsschutz hilft betroffenen Personen.
In der Schweiz gelten jetzt schon Gesetze für KI
Ein Risiko, das bei KI fast automatisch entsteht, ist das der Diskriminierung. Weil KI aus Daten lernt, kommt es leicht vor, dass man aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Gruppe anders behandelt wird. Es könnte beispielsweise sein, dass ein Bewerbungsalgorithmus oder ein Algorithmus der Polizei Menschen aufgrund ihrer Herkunft benachteiligt.
In der Schweiz gibt es bereits einige Regeln, die vor ungerechter Diskriminierung schützen. Durch KI-Systeme bekommt Diskriminierung allerdings eine neue, kollektive Qualität. Das ist ein Thema, bei dem nach Einschätzung des Bundesamts für Justiz das Recht angepasst werden könnte, um der KI-Konvention besser zu entsprechen.
Ob man sich dafür entscheidet, ist aber auch eine politische Frage, die nun diskutiert werden muss. Die NGO AlgorithmWatch etwa spricht sich dafür aus, hier genau hinzuschauen und Diskriminierung nicht nur vonseiten des Staates, sondern auch vonseiten von Firmen zu verbieten.
Klarere Worte findet der Bericht beim Thema Transparenz; hier sei wohl eine Ausweitung der Informationspflichten nötig. Das findet Morand gut: «Wenn Betreiber von bestimmten KI-Systemen zu Transparenz verpflichtet sind, etwa, weil sie diese für automatisierte Entscheidungen über Kunden anwenden, sorgt das automatisch dafür, dass sorgfältiger geprüft wird, ob diese KI-Systeme gewissen Qualitätsanforderungen entsprechen und ihr Einsatz ethisch vertretbar ist.»
Andere mögliche Einsatzgebiete von KI sind in der Schweiz sowieso schon verboten, etwa Verhaltensüberwachung am Arbeitsplatz.
Wenn Software Schäden verursacht, sollen Hersteller haften
Durch generative KI wie Chat-GPT sind aber auch ganz neue Risiken entstanden. Prominent ist das Beispiel des Buben, der sich nach Chat-Gesprächen mit einem Avatar von Character AI das Leben genommen hat. Der Avatar hatte ihn dazu ermutigt. Die Mutter des Jungen hat die Hersteller der Avatar-App nun vor einem amerikanischen Gericht verklagt.
Für Thomas Burri, Rechtsprofessor an der Universität St. Gallen, zeigt dieses Beispiel, dass auch bestehende Regeln bei KI angewendet werden können. «Es ist klar, dass ein Produkt, das ein Kind gegen seine Eltern aufhetzt oder es gar zum Suizid ermuntert, hochproblematisch ist.» Es liege an Gerichten, den Einzelfall zu entscheiden. Aber je dramatischer die Schäden, die entstehen, desto klarer sei es, dass die Hersteller des Produkts eine Haftung übernehmen müssen.
Burri plädiert dafür, jetzt mehr auf die Justiz zu vertrauen. Das Feld der KI bewege sich so schnell, dass man mit neuen Gesetzen kaum nachkomme. Besser sei es, existierendes Recht grosszügig auszulegen. Deshalb findet auch er den eingeschlagenen Schweizer Weg richtig.
Die perfekte Chance, um KI mit Schwung zu nutzen
Zugleich sagt Burri auch: «Die Schweiz kann sich diesen Weg auch dank der EU-Verordnung leisten.» Nur über deren Regulierungsansatz zu schimpfen, findet er daher falsch. «Es war wichtig, dass sich jemand grundsätzlich überlegt, welche Regeln es für KI braucht.»
Alle anderen Staaten können nun beobachten, was in der EU passiert, und von dem Wissen profitieren. Und Schweizer Firmen, die Produkte in Risikobereichen wie Gesundheit oder Strafverfolgung herstellen, müssen sich sowieso mit den EU-Standards beschäftigen, wenn sie im EU-Markt verkaufen wollen. Grosse Konzerne haben dazu auch die Kapazitäten.
Ein Vorteil ergibt sich vor allem für Schweizer Startup-Gründer, die sich anders als ihre Kollegen in der EU nicht schon ganz am Anfang mit sehr viel Bürokratie auseinandersetzen müssen. Das könnte durchaus ein Wettbewerbsvorteil sein, meint Burri.
Beide Experten sehen in KI in erster Linie eine grosse Chance für die Schweiz. Jetzt sei der Zeitpunkt gekommen, diese zu nutzen, mit Weiterbildungen für Mitarbeiter, Innovationen von Unternehmen und neuen Startups. Dazu ist aber nicht nur ein gutes regulatorisches Umfeld nötig, sondern braucht es auch Schwung und eine klare Vision.
Mehr Strategie, allerdings aus anderer Richtung, wünscht sich auch Angela Müller, die Leiterin von AlgorithmWatch Schweiz. Aus ihrer Sicht sollte man KI-Unternehmen etwa dazu verpflichten, Transparenz über ihren Ressourcenverbrauch zu schaffen oder die Risiken für die Gesellschaft, die etwa durch KI-Fakes entstehen, zu minimieren, schreibt sie auf Anfrage.
Mit der Auslegeordnung ist ein Richtungsentscheid gefasst worden. Die Gestaltung der KI-Zukunft der Schweiz beginnt damit aber erst.