Schaut Berlin nur noch vom Rand zu?

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Die Äußerungen des amerikanischen Präsidenten Donald Trump nach dem Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin bringen nach knapp drei Jahren Ukrainekrieg nicht nur das deutsche Verständnis der eigenen Rolle in diesem Konflikt ins Wanken. Sie knallen mitten hinein in den Wahlkampf mit der Frage: Wie kann Deutschland, wie kann Europa jetzt wirklich die Verantwortung für die Sicherheit der Ukraine übernehmen – und für die eigene?

Am Mittwochvormittag, also kurz bevor Trump sich geäußert hatte, war Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) noch streng bei seiner bisherigen Linie geblieben. Zur Beteiligung von Bundeswehrsoldaten an einer Friedenstruppe in der Ukraine sagte er im Podcast des Nachrichtenportals „Politico“: „Jeder weiß, dass das kein Thema jetzt ist.“ Schon da hatte er eine Mitwirkung Washingtons gefordert. Scholz setzt darauf, dass Trump der Ukraine auch zukünftig hilft. Er will nicht, dass europäische und amerikanische Sicherheit entkoppelt werden, weil das nur Putin helfen würde. Daher würde der Kanzler wohl eine Entsendung ausschließlich europäischer Friedenstruppen, also ohne amerikanische Beteiligung, ablehnen.

Scholz hatte es lange zurückgewiesen, über die Beteiligung Deutschlands an einer Friedenstruppe zu sprechen. Noch im vorigen Dezember hatte er in einer Regierungsbefragung im Bundestag gesagt, es sei „ganz unangemessen“, jetzt bereits darüber zu diskutieren, was passiere, wenn der Krieg zu Ende sei. Am Donnerstag äußerte sich der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil sehr kritisch über die Absprache von Trump und Putin. Dass nach einem Weg zur Beendigung des Krieges gesucht werde, hieß er zwar gut. „Aber das, was Trump vorzuschweben scheint, wäre ein fauler Deal. Eine Lösung über die Köpfe der Ukraine und Europas hinweg ist keine Lösung“, sagte er der Nachrichtenagentur Reuters.

Die Diskussion lieber noch etwas aufschieben?

In Berlin war vielen zwar seit Langem klar, dass es zu einer solchen Debatte kommen müsste, wenn Trump eine Beendigung des Krieges vorantreiben oder gar erreichen sollte. Doch bisher herrschte in den meisten Parteien – die Grünen, mindestens Außenministerin Annalena Baerbock, sind da eine Ausnahme – das Bemühen vor, diese Diskussion zu verdrängen. Mit der vorgezogenen Bundestagswahl und Trumps Vorstoß ist das nicht mehr möglich.

Vor allem für die Union macht das die letzten Tage des Wahlkampfs schwierig. Kanzlerkandidat Friedrich Merz hatte von Anfang an die militärische Unterstützung Kiews durch Kanzler Scholz als zu zögerlich bezeichnet, hatte lange offensiv für die Lieferung des Marschflugkörpers Taurus an die Ukraine geworben. Für ihn wäre es kaum möglich, die Absicherung eines Waffenstillstands oder Friedens auch mit deutschen Truppen grundsätzlich abzulehnen. Gleichzeitig gibt es in der CDU die Sorge, dass die SPD und allen voran Kanzler Scholz kurz vor der Wahl noch damit punkten könnten, sich mit einem Widerstand gegen die Truppenentsendung oder zumindest einer zögerlichen Haltung als Friedenskanzler zu stilisieren.

Ein hartes Nein war daher nie aus der CDU zu hören. Kurz vor dem Jahreswechsel hatte Merz als Bedingung für einen deutschen Truppeneinsatz ein „einwandfreies völkerrechtliches Mandat“ genannt. Das sehe er aber derzeit nicht, hatte er der Deutschen Presse-Agentur gesagt. Er hatte noch den Wunsch hinzugefügt, dass ein solches Mandat im Konsens mit Moskau beschlossen werde.

Das Deutschland „Kriegspartei“ werde, hatte Merz ausgeschlossen. Der CSU-Vorsitzende Markus Söder hatte einige Wochen vor dem Jahreswechsel ebenfalls deutlich gemacht, dass er einen deutschen Truppeneinsatz nicht kategorisch ablehnt. Man müsse sich darauf einrichten, dass eine „demilitarisierte Zone“ von Europäern gesichert würde. „Das wäre eine völlig neue Herausforderung für uns“, hatte Söder gesagt.

Konstruktive Vorschläge aus Europa

Am Donnerstag sagte der für Außenpolitik zuständige stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Johann Wadephul, nun, es sei „grundsätzlich richtig“, dass Trump mit Putin spreche „Aber wichtig ist, dass Europa und die Ukraine hier eng eingebunden sind.“ Es komme auf die Akteure in Europa an, auf Trump mit konstruktiven Vorschlägen zuzugehen und eine gemeinsame Basis für mögliche Gespräche zu erreichen – noch bevor es zu einer Begegnung in Saudi-Arabien kommt. „Eine unionsgeführte Bundesregierung hätte dies längst zu ihrer obersten Priorität gemacht“, sagte Wadephul der F.A.Z.

Lange hat es in der Bundesregierung das Verständnis gegeben, dass man als größtes Land und größter Unterstützer Europas schon eine Rolle spielen wird beim Weg zu einem Frieden. Der immer wiederholte Glaubenssatz, dass nichts über die Köpfe der Ukrainer hinweg entschieden werden dürfe, meinte eben auch: nichts über die Köpfe der Europäer, der Deutschen hinweg. Doch genau dazu droht es nun zu kommen.

Zwar hört man aus der Bundesregierung am Donnerstag, dass man doch so sehr gar nicht überrascht sein könne. Von einer Zeitenwende 2.0 wird gesprochen. Von einem Moment der Klarheit. Davon, wie gut es immerhin passe, dass man von Freitag an intensiv mit den Amerikanern bei der Münchner Sicherheitskonferenz sprechen könne. Merz soll den amerikanischen Vizepräsidenten J. D. Vance am Freitag treffen, Scholz hatte ihn gerade in Paris beim KI-Gipfel gesehen. Nach München kommt der Kanzler aber erst am Samstag, wenn Vance schon wieder abgereist ist. Für Baerbock wird ein erstes persönliches Treffen mit dem amerikanischen Außenminister Rubio abgestimmt. Wenn Vance wie erwartet am Nachmittag in München auf der Bühne spricht, dürfte die Klarheit dann noch größer sein.

Klar ist aber auch, dass die ersten Kontakte der Bundesregierung zur neuen amerikanischen Regierung nicht auf ein solch brachiales Vorgehen hingewiesen haben. Scholz hatte Mitte Dezember zuletzt mit Trump telefoniert, es war das zweite Mal nach der Wahl. Er berichtete danach bei einer Pressekonferenz, wie sehr es „eine koordinierte Politik zwischen Europa und den USA sowie zwischen Deutschland und den USA“ brauche. Sein Eindruck sei, das dies auch gut möglich sei.

Kontakte zu Keith Kellogg

Zuvor und danach war sein außenpolitischer Berater Jens Plötner bei Mike Waltz in Washington gewesen, dem Nationalen Sicherheitsberater von Trump, der jetzt auch eine Rolle bei den Ukraineverhandlungen übernehmen soll. Danach wurden zuversichtliche Einschätzungen verbreitet. Ein erstes Telefonat von Rubio mit Baerbock wurde ebenfalls als konstruktiv beschrieben. Baerbock hatte gerade noch ihren Politischen Direktor Günter Sautter nach Washington für persönliche Gespräche geschickt; er traf den Ukrainesonderbeauftragte Keith Kellogg. Und auch im Kanzleramt hatte man genau gelesen, was Kellogg zu einem Ende des Krieges geschrieben hatte, und fast erleichtert festgestellt, dass das gar nicht so sehr aus einer anderen Welt zu kommen schien. Doch offenbar, und das ist gerade ein weiteres Problem für den Umgang mit Washington, spielt Kellogg für Trump gar keine entscheidende Rolle mehr. Zumindest erwähnte er ihn bei der Ankündigung von Verhandlungen zunächst nicht.

Ein anderer Glaubenssatz der Bundesregierung wurde auch früh schon festgelegt: keine Eskalation, keine Beteiligung der NATO im Krieg, kein Einsatz deutscher Soldaten. Jetzt aber kommt mit den Äußerungen Trumps und seines Verteidigungsministers Pete Hegseth dieses Thema mit Wucht: Was ist mit deutschen Soldaten zur Sicherung eines Waffenstillstands? Die Debatte über die Frage, wie ein künftiger Waffenstillstand in der Ukra­ine abzusichern wäre, läuft in Europa schon länger. Öffentlich hatte vor allem Paris versucht, dabei Impulse zu setzen. Im Kanzleramt stieß das auf wenig Begeisterung.

Im Auswärtigen Amt zeigte man sich offener. Baerbock sagte im Gespräch mit der F.A.Z. im Januar: Wenn es zu Friedensgesprächen komme, müsse Europa selbst für seine Sicherheit einstehen. Mit Blick auf die Sicherung eines Waffenstillstandes fügte sie an: Sie „denke“ mit zentralen europäischen Partnern und der Ukraine daher „Elemente einer stabilen Friedenssicherung vor“. Baerbock sagte: „Dabei kann auch eine Friedenssicherungsmission ein Element sein, wofür es natürlich uns Europäer, aber auch andere bräuchte.“ Man wisse, dass Friedensmissionen umso stabiler sind, je mehr internationales Engagement es gebe. „In diesem Fall auch aus Ländern außerhalb Europas, bei denen Putin an guten Beziehungen gelegen ist.“

Die Entwicklung trifft Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und die Bundeswehr aber auf dem falschem Fuß. Das betraf die politischen Pläne des Ministers, der eigentlich vorgehabt hatte, nach dem NATO-Treffen und der Münchner Sicherheitskonferenz zum norddeutschen SPD-Wahlkampf zu reisen. Schwerer wiegen die politische Lageeinschätzung und die Situation der Bundeswehr, die drei Jahre nach Beginn der versprochenen Zeitenwende schwächer dasteht als je zuvor. Ein Einsatz nennenswerter Kontingente zur Friedenssicherung wäre mit hohen Risiken verbunden.

Pistorius bedauert die Zugeständnisse

Pistorius hielt nicht damit hinterm Berg, was er vom amerikanischen Verhandlungsvorstoß hält. Besser wäre es gewesen, sagte er, nicht gleich die Preisgabe von größeren Landesteilen zuzugestehen und die NATO-Mitgliedschaft auszuschließen, solche „öffentlichen Zugeständnisse“ seien „bedauerlich“. Der Minister machte auch deutlich: Deutschland müsse sich daran beteiligen, einen Frieden zu sichern. Es wäre jedoch „naiv, zu glauben, dass die russische Bedrohung durch einen solchen Frieden nachlässt“. Deutschland müsse mehr in militärische Fähigkeiten investieren. Dabei dürfe es keine Denkverbote geben, wobei Pistorius es sich nicht verbot, den SPD-Wahlkampfschlager „Schuldenbremse“ zu erwähnen.

Pistorius äußerte sich nicht zu den Details einer Friedenstruppe. In der Bundeswehr gibt es für einen Einsatz keine Ausrüstung, kaum Vorbereitungen. Zwar wurde in den vergangenen Jahren allerlei bestellt. Doch der Truppe fehlt vieles, was nötig wäre, um einer kampferfahrenen russischen Armee zu begegnen, die über das ganze Spektrum hybrider und letaler Stör- und Angriffsoptionen verfügt. Das Heer hat es unter den vielen sogenannten „Fähigkeitslücken“ etwa versäumt, die 2012 eingestampfte Flugabwehr wiederzubeschaffen.

Die deutsche Drohnenabwehr ist derzeit nicht einmal in der Lage, Amateur- oder Spionagedrohnen über deutschen Kasernen abzufangen. Umfangreiche Untersuchungen einer Arbeitsgruppe „Task Force Drohen“ haben keine materiellen Ergebnisse nach sich gezogen. Bewaffnete Drohnen existieren in der Bundeswehr nicht. Von einem mobilen Artilleriesystem zur Drohnenabwehr, dem Flugabwehrkanonenpanzer Boxer-Skyranger, wurde vorige Woche ein allererstes „Nachweismuster“ zu Testzwecken übergeben. Die Lieferung einer Kleinserie von 18 Fahrzeugen könne 2027 beginnen, heißt es. Ohne eine solche mobile Flugabwehr wäre ein Verband einer Ukrainefriedenstruppe weitgehend wehrlos.