Markus Söder: AfD-Reaktionen auf München-Anschlag unanständig

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Herr Ministerpräsident, schon wieder ein Anschlag, dieses Mal in München. Nach Aschaffenburg haben Sie verlangt, dass endlich gehandelt wird. Was muss jetzt passieren?

Der Anschlag in München ist furchtbar. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen. Einige kämpfen um ihr Leben. Das schmerzt uns unendlich. Wir hoffen und beten, dass alle anderen Opfer wieder gesund werden. Anteilnahme und Aufarbeitung sind wichtig. Aber dabei darf es nicht bleiben. In Deutschland muss sich etwas grundlegend ändern.

Warum schon wieder Bayern? Ist das ein Beleg dafür, dass alle Maßnahmen, die Sie in Bayern schon implementiert haben, wie die Grenzpolizei, am Ende gar nichts bringen, weil die Gefährder schon im Land sind?

Diese These geht an der Realität völlig vorbei. Die bayerische Grenzpolizei hat unser gesamtes Land sicherer gemacht. Inzwischen gab es 120.000 Fahndungstreffer. Allein im vergangenen Jahr wurden 2400 illegale Einreisen gestoppt, 1100 Haftbefehle vollstreckt und 680 Kilogramm Drogen beschlagnahmt. Jeder gefasste Kriminelle bedeutet ein geschütztes Opfer. Aber klar ist auch: Vollständige Sicherheit gibt es nie. Dennoch müssen wir alles unternehmen, damit solche schrecklichen Taten wie in Aschaffenburg und München nicht mehr passieren. Wir wünschen uns deshalb, dass auch die anderen demokratischen Parteien der Mitte endlich mitziehen. Klar ist: Der Satz „Wir schaffen das“ hat nicht funktioniert. Der Satz muss jetzt heißen: Wir ändern das. Dazu gehört, dass wir Straftäter schnell und konsequent außer Landes bringen.

Ändert München etwas an Ihrer Haltung zur Zusammenarbeit mit der AfD?

Die Reaktionen der AfD zum Anschlag von München sind unanständig und verstörend. Die AfD ist der Systemfeind, der nicht nur unsere Demokratie zerstören will, sondern auch die Union. Es verbietet sich, in irgendeiner Form mit der AfD zu koalieren, zu paktieren oder sonst wie zusammenzuarbeiten. Unsere Brandmauer steht aus innerer Überzeugung. SPD und Grüne hatten im Bundestag die Möglichkeit, unseren Plänen für mehr Sicherheit und einer klaren Begrenzung zuzustimmen. Sie haben sich leider anders entschieden und waren nicht in der Lage, über ihren Schatten zu springen und umzusetzen, was die überwältigende Mehrheit der Bürger will: die illegale Migration einzudämmen.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Wo fängt für Sie Zusammenarbeit an?

Zusammenarbeit mit der AfD definiert sich genauso wie Zusammenarbeit sonst: Man plant gemeinsam, man stimmt sich ab – das wird mit der AfD niemals stattfinden. Wir stehen zu unseren Überzeugungen und zu unseren Anträgen. Das bedeutet: Das Richtige wird nicht falsch, nur weil vielleicht die Falschen zustimmen. Wenn es heute im Bundestag eine Abstimmung darüber gibt, ob zwei plus zwei vier ist, könnte es auch eine Mehrheit jenseits einer formalen Koalition geben.

Olaf Scholz hat zuletzt versucht, Friedrich Merz in die rechte Ecke zu stellen. Jetzt wird ihm von manchen vorgeworfen, sich rassistisch geäußert zu haben, Stichwort Joe Chialo.

Olaf Scholz verliert jetzt offenbar die Fassung, die Nerven und die Kontrolle. Er hat vor drei Jahren mit dem Wort Respekt Wahlkampf gemacht. Doch jetzt zeigt er eine Respektlosigkeit, die eines Kanzlers unwürdig ist. Damit bestätigt er leider den Eindruck der letzten Wochen: Ihm gelingt kein Abgang mit Stil.

Sie haben nach der Abstimmung im Bundestag die Kirchen scharf kritisiert, nachdem die sich teils kritisch zu den Unionsanträgen geäußert hatten . . .

Schwerer Einspruch: Wieso scharf kritisiert? Was genau habe ich gesagt? Aus einer „Mahnung“ von mir wurde in der Berichterstattung zuerst eine „Warnung“ gemacht, danach eine „massive Kritik“ und schließlich sogar eine „Drohung“. So kann man mit Worten enorme Stimmung machen. Was ich tatsächlich gesagt habe: Ich wünsche mir von unseren Kirchen, und zwar auch als gläubiger Christ und großer Unterstützer der Institution Kirche, sich auch wieder mehr um klassische christliche Wertethemen zu kümmern. Wie zum Beispiel den Lebensschutz.

„Unsere Brandmauer steht aus innerer Überzeugung“: Söder über die AfD
„Unsere Brandmauer steht aus innerer Überzeugung“: Söder über die AfDLucas Bäuml

Der Eindruck der Drohung kam zustande, weil Sie eine Verknüpfung hergestellt haben mit der Kirchensteuer und den vom Freistaat bezahlten Gehältern etwa von Bischöfen. Das klang nach: Freunde, wir können auch anders.

Es sind SPD, Grüne und FDP, die Staatsleistungen kürzen und die Kirchensteuer abschaffen wollen. Da gibt es das klare Ziel, Staat und Kirche komplett zu trennen – in der Runde der Ministerpräsidenten habe nicht zuletzt ich das verhindert. Es ist gut, dass wir in Bayern Religionsunterricht haben und ihn nicht abschaffen oder reduzieren wie andere. Wir haben dafür gesorgt, dass in öffentlichen Gebäuden Kreuze hängen. Wir haben die meisten christlichen Feiertage in Bayern. Und es ist richtig, dass wir umfangreiche Staatsleistungen für die Kirchen geben. Viele Gläubige wünschen sich aber auch, dass die Kirchen wieder mehr über die Grundlagen des christlichen Glaubens reden. Wenn Sie manche Geistliche heute fragen, wie sieht das Leben nach dem Tod aus, gibt es einen Himmel oder sind Sie schon einmal einem Engel begegnet, dann erhalten Sie großartige Antworten, aber manchmal ernten Sie auch nur irritierte Blicke anstatt leuchtender Augen. Dabei sind solche Themen wichtig und ein größerer Beitrag zur Mission auch im eigenen Land.

Wie stellen Sie sich das Leben nach dem Tod vor?

Hoffentlich ist es so wie beim Brandner Kaspar, und ich treffe meine Eltern wieder, meine Hunde und irgendwann dann auch meine Kinder.

Friedrich Merz wurde auch aus strategischen Gründen kritisiert. Er hat die politische Linke mobilisiert. Wenn Linke und BSW in den Bundestag kommen, kann es sein, dass die Union SPD und Grüne zu einer Koalition braucht. War es da so klug, von der Wahl der FDP abzuraten?

Ich schätze Christian Lindner und glaube, dass die FDP uns wirtschaftspolitisch am nächsten steht. Das gilt leider nicht für die Sicherheitspolitik, Stichwort Vorratsdatenspeicherung oder Kompetenzen der Geheimdienste. Die FDP muss es aus eigener Kraft in den Bundestag schaffen. Sie hat mit der Änderung des Wahlgesetzes selbst dafür gesorgt, dass es keine Leihstimmen zu verschenken gibt.

„Der Satz ,Wir schaffen das’ hat nicht funktioniert. Der Satz muss jetzt heißen: Wir ändern das“: Söder über die Migrationspolitik
„Der Satz ,Wir schaffen das’ hat nicht funktioniert. Der Satz muss jetzt heißen: Wir ändern das“: Söder über die MigrationspolitikLucas Bäuml

Sie haben eine Garantie abgegeben: keine Koalition mit den Grünen. Wie wollen Sie von der Palme wieder herunterkommen, wenn es vielleicht nicht anders geht?

In Bayern gibt es keine Palmen. Fakt ist: Die Grünen sind natürlich Demokraten, aber die Schnittmengen mit ihnen sind absolut gering. Das gilt für die feministische Außenpolitik, vor allem aber für die Migrations-, aber auch die Wirtschafts- und Identitätspolitik. Mit den Grünen gibt es mehr und nicht weniger Migration. Außerdem ist Robert Habeck das Gesicht der Wirtschaftskrise. Er ist als Wirtschaftsminister komplett gescheitert und schlicht und einfach inkompetent. Die SPD wird nach der Wahl eine andere sein, ohne Olaf Scholz hoffentlich. Auch da gibt es mit Migration und dem Bürgergeld dicke Brocken. Aber mit den Grünen gibt es im Bundesrat keine stabile Mehrheit. Das sieht mit der SPD und ihren Ministerpräsidenten anders aus. Auch eine Mehrheit der Bevölkerung glaubt, dass mit der SPD mehr Stabilität möglich ist. Es sprechen also viele Gründe gegen die Grünen. Wir als CSU sind klar gegen Schwarz-Grün.

Würden Sie Ihr Veto einlegen, wenn Merz mit den Grünen ankäme?

Ich bin sicher, wir kommen zu einer guten gemeinsamen Entscheidung.

Mit dem SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil kommen Sie ganz gut klar. Könnte man mit ihm eine neue Partnerschaft mit der SPD begründen?

Wir werden sehen. In Groko-Zeiten hat sich aber gezeigt, dass sich die Wähler von Union und SPD früher durchaus geähnelt haben. Sie sind im Kleingartenverein, gehen mal zum Schützenfest oder sind normale fleißige Arbeitnehmer wie Stahlarbeiter, Busfahrer oder Krankenschwestern. Da hat Olaf Scholz viel an Glaubwürdigkeit und auch an die AfD verloren. Beide Volksparteien sind keine elitäre NGO-Truppe wie die zum Teil sehr abgehobenen Grünen.

Merz kann sich Habeck trotzdem wieder als Wirtschaftsminister vorstellen. Sie auch?

Nein, mit Herrn Habeck ist das Tischtuch zerschnitten. Er wollte Bayern nachhaltig schaden. Er hat uns Förderungen bei Wasserstoff- und Klimaschutzprojekten verwehrt, die er grünen Parteifreunden in anderen Ländern bereitwillig zugestanden hat. Er hat uns nach Beginn des Ukrainekriegs bei der Verstaatlichung der Gasspeicher als einzigem Bundesland gesagt, wir sollten uns allein darum kümmern. Abgesehen davon, dass das rechtlich gar nicht möglich ist: Das hätte uns mehrere Milliarden Euro gekostet. So ein Verhalten ist unverzeihlich. Am wichtigsten ist aber: Robert Habeck hat als Wirtschaftsminister versagt. Ob Gasumlage, der überstürzte Ausstieg aus der Kernkraft mitten in der Energiekrise, das missratene Heizgesetz, die Streichung der E-Prämie beim Auto und der damit verbundene Zusammenbruch des Elek­troauto-Marktes oder die völlig gescheiterte Subventionspolitik mit dem Verschwenden von Millionen an Steuergeld wie bei Northvolt – alles auf dem Rücken von Mittelstand, Handwerk und Landwirtschaft. Zuletzt wollte er auch noch an die Sparer ran. Sorry, absolutes No-Go.

Diese Woche haben Sie Pläne für eine Renaissance der Kernkraft präsentiert. Allein das dürfte Schwarz-Grün entgegenstehen.

Eine Renaissance der Kernkraft ist dringend nötig, auch um den Anschluss bei Hightech und Digitalisierung zu behalten. Denn unser Energiehunger ist groß und wird noch größer werden. Ein Rechenzentrum benötigt im Jahr etwa so viel Strom wie ganze Städte. Der große Denkfehler der Grünen ist: Sie glauben, dass man den Strombedarf für die Industrie einfach durch erneuerbare Energien ersetzen kann. Natürlich ist der Ausbau der Erneuerbaren wichtig, und Bayern liegt an der Spitze in Deutschland. Seit meinem Amtsantritt als Ministerpräsident hatten wir ein Plus von 60 Prozent. Aber das allein wird nicht reichen. Die Rechnung geht schon deswegen nicht auf, weil sich der Strombedarf in den kommenden Jahren vervielfachen wird, allein durch die Transformation in Richtung Elektromobilität und KI. Bei beidem ist Deutschland im Vergleich zu anderen Nationen meilenweit hintendran. Ohne Kernenergie fehlt bezahlbarer Strom, wir werden weiter deindustrialisiert und sehen bei KI und Digitalisierung nur die Rücklichter der USA und China.

„Mit Herrn Habeck ist das Tischtuch zerschnitten. Er wollte Bayern nachhaltig schaden“: Söder über den Grünen-Kanzlerkandidaten
„Mit Herrn Habeck ist das Tischtuch zerschnitten. Er wollte Bayern nachhaltig schaden“: Söder über den Grünen-Kanzlerkandidatendpa

Was ist in puncto Kernkraft realistisch möglich?

Die drei zuletzt abgeschalteten Kraftwerke könnten zeitnah und mit einem machbaren Aufwand reaktiviert werden. Die Energieunternehmen lehnen das im Moment zwar ab, aber wenn das Atomgesetz geändert würde, würde sich das Geschäftsmodell rechnen. Wir sollten aber auch mit neuen modernen Minireaktoren wie in Amerika planen. Ich stehe zur Klimaneutralität. Wir werden sie aber nur erreichen, wenn wir zweigleisig fahren: Wir müssen die erneuerbaren Energien ausbauen, aber gleichzeitig die Kernenergie nutzen. Das gilt umso mehr, als es der grüne Wasserstoff schwer haben wird, sich ökonomisch durchzusetzen. Denn durch die Ausweitung der Gas- und Ölbohrungen in den USA und mögliche neue Vorkommen in der Arktis werden fossile Brennstoffe noch auf Jahrzehnte billiger sein. Es wäre naiv, zu glauben, dass man das alles allein mit Subventionen regeln kann. Daher braucht es CCS auch in Deutschland (Speicherung von Kohlendioxid im Untergrund, Anm. d. Red.).

Die Vereinigten Staaten haben nicht nur Europa und den Westen in der Ukraine-Frage düpiert, sie lehnen auch jede Regulierung von Künstlicher Intelligenz ab. Wo stehen Sie in der Frage?

Ein regulatorischer Rahmen kann Vorteile haben, aber Europa regelt immer zu viel. Wir bilden schon Kommissionen für Technikfolgenabschätzung, ehe es die Technik überhaupt gibt. Und wir sind in Deutschland nicht innovativ genug. Das Gegenmodell ist Bayern: Seit meinem Amtsantritt haben wir die Forschungsleistungen um 36 Prozent erhöht. Deutschland hat gekürzt. Wir geben mehr Geld für KI und Supertech aus als Italien, haben die meisten Lehrstühle in Deutschland und mehr Supercomputer als Indien oder Australien. Hier sollte Deutschland dem bayerischen Weg folgen.

Was halten Sie vom Disruptionsfuror der Trump-Administration, die den Staat schlanker und effizienter machen will? Sie könnten doch auch den bayerischen Staatsbeamten massenhaft Angebote zur Frühpensionierung machen.

Wenn man etwas verändern will, muss man das mit den Betroffenen zusammen machen und nicht nur mit Kettensägen oder Vorschlaghämmern. Damit löst man auf den ersten Blick vielleicht viel aus, aber danach wird es nicht wirklich besser. Wer das Staatswesen umorganisieren will, muss bei der Bürokratie anfangen. Wir haben im bayerischen Dienstrecht zum Beispiel eine vermeintlich kleine Regel eingeführt, die wahrhaft revolutionär ist: Beamte werden schneller befördert, wenn sie schneller und mutiger entscheiden. Wir sollten den Staat auch von der Dominanz der NGOs befreien. Greenpeace sitzt im Außenministerium, Attac im Wirtschaftsministerium – die NGOs haben sich wie Kraken ausgebreitet und verhindern mit ihren enormen Klagerechten nicht selten ein geordnetes Staatswesen.

Bayern ist für Deutschland das, was die USA für die Welt sind. Könnten Sie da, etwa in den Koalitionsverhandlungen, nicht ein bisschen auftreten wie Trump, etwa wenn es um den Länderfinanzausgleich geht?

Netter Versuch, aber der Vergleich hinkt. Schon weil wir in Bayern nicht die größte Armee der Welt haben, sondern unsere Gebirgsschützen. Im Ernst: Dieser Stil von Donald Trump mag vielleicht kurzfristig Erfolge bringen. Aber ob er auch langfristig trägt, muss sich erst zeigen. Es gibt den berühmten Satz: Willst du schnell gehen, geh allein. Willst du weit gehen, geh gemeinsam. Ich glaube an Letzteres.