Warum die “Mördermuschel” vom Aussterben bedroht ist

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Stand: 16.02.2025 17:34 Uhr

Anders als ihr Name vermuten lässt, ist die “Mördermuschel” keine Gefahr für Menschen. Gefährdet ist das Riesen-Schalentier selbst: Stirbt sie aus, hätte das erhebliche Auswirkungen auf die Ozeane.

Hundert Jahre alt kann sie werden, über 200 Kilogramm schwer und fast anderthalb Meter lang: In die Schalen der indopazifischen Riesenmuschel Tridacna gigas könnte man ein Baby legen. Wenn die größte Muschel der Welt entspannt ist und ihre Schalen offen hat, schaut ihr Weichkörper zwischen den beiden Schalenklappen hervor. Verblüffend bunt ist er: bläulich, bräunlich, violett oder grünlich, manchmal auch mit hellerem Muster.

Den unsympathischen Namen “Mördermuschel” erhielt die Art wegen eines Irrglaubens: Sie schnappe mit ihren Schaken nach Tauchern oder anderen Lebewesen und hielte diese in der Tiefe fest, bis sie ertrinken, sagt man ihr nach. Tatsächlich aber ist die Schließbewegung der Muschelschalen so langsam, dass sich selbst begriffsstutzige Taucher rechtzeitig in Sicherheit bringen könnten. Und auf dem Speiseplan der Muschel stehen keine Menschen, sondern Plankton oder Kohlenhydrate.

Deutlicher Rückgang der Riesenmuschel-Bestände

Infolge einer Datenerhebung durch internationale Forschende gelten die imposanten Schönheiten seit Ende 2024 als “vom Aussterben bedroht”, berichtet Biologin Anne Helene Tandberg. Sie arbeitet am Naturmuseum und Forschungsinstitut Senckenberg in Frankfurt am Main. Dort setzt sie sich dafür ein, dass wir mehr darüber lernen, wie bedroht wirbellose Meerestiere sind. Kraken, Krebse und Korallen etwa – oder Riesenmuscheln.

“Bei den Riesenmuscheln haben wir mit einer Forscherin aus Singapur zusammengearbeitet, Mei Lin Neo. Sie ist ‚die‘ Spezialistin für Riesenmuscheln und arbeitet viel mit Tauchern zusammen”, erzählt Tandberg. Mei Lin habe Bestandsdaten aus dem kompletten Verbreitungsgebiet der Muscheln gesammelt. “Da wir deren Häufigkeit global bewerten wollten, brauchten wir solche Informationen.”

Acht Jahre intensive Forschung

Rund acht Jahre dauerte es, bis alles zusammengetragen war, was es heutzutage über Riesenmuscheln zu wissen gibt. Die Daten wurden im Rahmen der Senckenberg Ocean Species Alliance (SOSA) ausgewertet, und im Anschluss gingen die Ergebnisse an die Internationale Union zur Bewahrung der Natur (IUCN). Dort wurde dann noch einmal genauer analysiert, “wie sich die Bestände und die Verbreitung der Art über eine bestimmte Zeit verändert haben und was sie bedroht”, erläutert Caroline Pollock, Senior-Programmkoordinatorin im Rote-Liste-Büro der IUCN in Cambridge (UK). Auf Basis dieser Erkenntnisse wurde dann das Aussterberisiko neu bewertet.

Im Fall der Riesenmuscheln kam heraus, dass ihr Bestand in der Natur seit 1996 um 84 Prozent zurückgegangen ist. Galt die Muschel seit 1996 noch als “gefährdet”, wird sie deshalb in der aktualisierten Roten Liste als “vom Aussterben bedroht” eingestuft. Das ist eine Stufe vor “in der Natur ausgerottet”. “Wenn nichts passiert, haben sie keine gute Zukunft”, bringt es Senckenberg-Forscherin Tandberg auf den Punkt.

Riesenmuscheln haben ähnliche Probleme wie Riffkorallen

Doch was bedroht die Riesenmuscheln so sehr? Ein großes Problem ist die Überfischung, insbesondere weil im asiatischen Raum noch ein weiterer Riesenmuschel-Aberglaube umgeht: Demnach hat der Verzehr bestimmter Teile der Muschel eine aphrodisierende Wirkung. Zudem sind die großen Schalen begehrte Sammler- und Dekorationsstücke. Als weitere Bedrohungsfaktoren kommen Umweltverschmutzung und die Klimaerwärmung dazu. Unter ihr leiden die Riesenmuscheln ähnlich wie die Steinkorallen aus den tropischen Riffen.

Vergleichbar mit den Riffkorallen leben die Riesenmuscheln in Symbiose mit Algen, also in einer Lebensgemeinschaft zum beiderseitigen Vorteil: Die Muscheln bieten in ihrem Körper den Algen Schutz. Die Algen können also an diesem sicheren Ort bequem Sauerstoff und Nährstoffe produzieren. Überschüsse davon geben sie den Muscheln ab. Sie ernähren also die Muscheln mit.

Wird jedoch durch den Klimawandel das Meerwasser wärmer, stoßen die Muscheln die nahrungsbringenden Algen ab. Das kann dazu führen, dass die Muscheln verhungern. Hinzu kommt außerdem: Die Klimaerwärmung geht mit mehr CO2 einher – in der Luft, aber auch im Wasser. Wenn sich CO2 im Wasser löst, entsteht Kohlensäure, das Wasser wird saurer, und das hemmt das Wachstum der Muschelschalen. Denn die bestehen, wie die Skelette der Riffkorallen, aus Kalk.

Rote-Liste-Daten sind wichtig für den Artenschutz

“Im Allgemeinen überprüfen wir den Bedrohungsstatus einer Art alle fünf bis zehn Jahre”, erläutert Caroline Pollock von der IUCN. “Arten, deren Bestand dramatisch schnell zurückgeht, räumen wir dabei nochmal Priorität ein und überprüfen die Entwicklung ihrer Bestände häufiger. Aber wir haben auch Fälle, in denen es nicht genügend Fachwissen, Experten oder Mittel gibt, um Neubewertungen vorzunehmen.”

Auf Basis der Neubewertung der Riesenmuscheln können nun die Maßnahmen zu ihrem Schutz verbessert werden. Denn die sanften Riesen sind wichtig im Korallenriff: zum Beispiel, weil ihre großen Schalen anderen Arten Lebensraum bieten – Algen etwa, Moostierchen oder Röhrenwürmern. Oder weil sie dabei helfen, das Meerwasser sauber zu halten: Filtern sie aus dem Meerwasser kleinste Nahrungsteilchen heraus, entfernen sie dabei auch viel Dreck. Wenn die Riesenmuschel aussterben würde, hätte das erhebliche ökologische Auswirkungen auf die tropischen Ozeane.