Tops und Flops der Kandidaten

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Olaf Scholz (SPD)

Scholz hat keine Aktien, weil er nicht in Ruf stehen will, deswegen Entscheidungen zu treffen

Es ist nicht leicht, in den Ausführungen von Olaf Scholz etwas Neues zu entdecken, wenn man ihm regelmäßig zuhört. Doch am Sonntag dann die Überraschung: Scholz findet die Geldanlage in Aktien zwar gut, hat selbst aber keine, weil er nicht in Verdacht geraten will, politische Entscheidungen zu treffen, die seinem Aktiendepot helfen.

Es ist eine kleine Anekdote, die aber einiges aussagt über den Kandidaten Scholz. Er ist im besten Sinne ein anständiger Politiker. Keine Tricks, kein doppelter Boden. Scholz ist damit der Typ Politiker, wie sich ihn die Deutschen wohl auch mehrheitlich wünschen. Man hätte sich den Satz zu den Aktien auch von Angela Merkel (CDU) vorstellen können.

Die Kehrseite dieser Eigenschaft ist eine große Vorsicht, die man bei Scholz auch immer wieder beobachten kann. Der zentrale Wahlslogan der SPD im Wahlkampf 2021 war nicht unklug gewählt: „Respekt für dich“. Auch das war aber ein Begriff der Vorsicht, der Besitzstandswahrung. Das aktuelle Wahlprogramm der SPD ist auch von diesem fast konservativen Sound durchwoben: Bestandswahrung, wo es nur geht – beim Rentenniveau, der Lebensarbeitszeit, der Ukraine-Politik. Scholz geht nicht voran.

Merz: Handwerker kommen bei Ihnen nicht vor, Scholz: Bebel war Handwerker

Wenn in der SPD kaum mehr etwas geht, geht immer noch Tradition. So war es auch, als CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz dem Bundeskanzler vorwarf, die Handwerker kämen bei ihm als Berufsgruppe gar nicht vor. Scholz antwortete empört, August Bebel sei Handwerker gewesen. Bebel war einer der Gründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei im Jahr 1869, einer Vorgängerorganisation der SPD. Später war er auch Vorsitzender der Sozialdemokraten.

Aber was hilft er im aktuellen Wahlkampf? Nur die wenigsten Sympathisanten der SPD dürften mit dem Namen Bebels überhaupt noch etwas anfangen können, wenn sie nicht gerade Parteimitglied sind. Wenn der Kanzler ihn trotzdem aus dem Trophäenschrank holt, lässt das nichts Gutes ahnen: Auf die SPD dürfte eine enorm schwierige Zeit zukommen, sie könnte von Platz 1 auf Platz 3 am Wahlabend abrutschen, viele Prozentpunkte verlieren.

Es könnte zum innerparteilichen Kampf kommen: Die einen werden eine radikale Orientierung an den realen Problemen der Bürger empfehlen, auch um eine Koalition mit CDU/CSU zu ermöglichen. Und die anderen werden eine Besinnung auf die sozialdemokratischen Grundprinzipien fordern – mehr Opposition und Bebel wagen!

Friedrich Merz (CDU)

Merz grenzt sich scharf ab – von der AfD und vom amerikanischen Vizepräsidenten

„Ich lasse mir von einem amerikanischen Vizepräsidenten doch nicht sagen, mit wem ich in Deutschland zusammenarbeite!“ Mit diesen Worten weist Friedrich Merz die Einmischung des amerikanischen Vizepräsidenten J.D. Vance in den deutschen Wahlkampf zurück. Er „verbitte“ sich solche Wortmeldungen. Merz wirkt in diesem Moment authentisch, überzeugend – fast so, als sei er schon Kanzler.

Ein solches Auftreten hätten sich Unionsanhänger an diesem Abend wahrscheinlich häufiger von ihrem Kandidaten gewünscht. Doch die von ihm bekannte Schärfe blitzte nur dann auf, wenn es um Außenpolitik und die Abgrenzung von der AfD ging. Dass Merz im Bundestag Ende Januar in Kauf genommen hat, Mehrheiten nur mit Stimmen der AfD zu erzielen – und die anschließende Kritik daran –, scheint ihn zur Höchstform auflaufen zu lassen. Mit Björn Höcke setze er sich nicht in einen Raum, „keine Zusammenarbeit mit dieser Partei“, und noch einmal im Schlusswort „mit der AfD ganz sicher nicht“. Das kam an.

Der Kanzler grätscht dazwischen, Merz resigniert

Als es um die Steuerreform und Rezepte gegen die Wirtschaftsschwäche geht, bleibt Merz blass. Als er Scholz und Habeck einmal stellen und sie für die deutsche Dauerrezession verantwortlich machen will, lässt er sich von den beiden Regierungspolitikern unterbrechen. „Haben Sie Ihren Punkt gemacht?“, fragt Moderatorin Pinar Atalay den verstummten Kanzlerkandidaten der Union. „Ne“, antwortet Merz fast schon resignativ, er werde ja ständig unterbrochen. Da hat Scholz schon wieder das Wort ergriffen und macht Russland und die gestoppten Gaslieferungen für die Wirtschaftsschwäche verantwortlich.

Merz einen Punkt liegenlassen. Scholz dagegen bekommt Gelegenheit, zu verbreiten, Experten hätten der Regierung damals nicht zugetraut, den Wirtschaftseinbruch infolge der Energiekrise in Grenzen zu halten. In Wahrheit war es andersherum: Experten hielten die Folgen für beherrschbar, Scholz hielt diese Prognosen für „unverantwortlich“. Aber auch hier grätscht Merz nicht rein.

Robert Habeck (Grüne)

Habeck korrigiert Merz, als es um afghanische Ortskräfte geht

Ein souveräner Moment gelingt Habeck zu Anfang der TV-Debatte, der sich allerdings vor allem einer verfälschenden Darstellung durch Friedrich Merz verdankt. Der Kanzlerkandidat der Union behauptet, dass Deutschland als einziger Staat Europas Gruppen von Afghanen mithilfe von Nichtregierungsorganisationen ins Land hole – statt Menschen von Deutschland nach Afghanistan abzuschieben. Habeck rückt zurecht, worum es bei den nach Deutschland geholten Menschen geht: um afghanische Ortskräfte, die vor der Machtübernahme der Taliban mit Deutschland zusammengearbeitet haben, unter Gefahr für Leib und Leben.

Die Abschiedsworte bleiben schwammig

Robert Habeck hat in der TV-Debatte ein Schlusswort ohne Inhalt gehalten. Ganz anders als in seiner letzten Bundestagsrede am Dienstag bleibt er am Sonntagabend schwammig und verwendet zu viel der knapp bemessenen Zeit darauf, die Muster von Wahlkämpfen und TV-Debatten zu bedauern. Habecks dann folgender Aufruf beschränkt sich darauf, nach der Wahl „politisch zusammenzuarbeiten“ und Probleme zu lösen, damit „meine Kinder und Ihre Enkelkinder die gleichen Möglichkeiten haben, die wir in der Vergangenheit hatten.”

Alice Weidel

Weidel spricht gezielt an, was ihre Wähler beschäftigt

Alice Weidel hat zwei starke Momente in dieser Diskussionsrunde. Einmal, als sie den übrigen Parteien vorwirft, Deutschland in einen Krieg mit Russland zu führen. Mit der Weitergabe von Taurus-Marschflugkörpern müssten auch deutsche Soldaten in der Ukraine für die Zielsteuerung stationiert werden, damit wäre Deutschland Kriegspartei. Robert Habeck widerspricht Weidel scharf und sagt, keiner der anderen Politiker habe den Plan, deutsche Soldaten an diesem Krieg zu beteiligen.

Aber das wird bei denen, die sich zur AfD hingezogen fühlen, nicht unbedingt etwas ändern. Laut psychologischen Untersuchungen von der Europawahl 2024 sind AfD-Wähler besonders angstempfänglich, anders zum Beispiel als Grünen- oder FDP-Wähler, die zu Optimismus neigen. Schon die Erwähnung einer Kriegsgefahr könnte AfD-affine Menschen bewegen, lieber möglichst zahm mit Russland umzugehen. Das Argument von Militärfachleuten, dass nur eine mutige, starke Haltung Russland von weiteren Kriegen abhält und so den Frieden sichert, verfängt bei solchen Menschen nicht.

Der zweite starke Moment speist sich ebenfalls aus solchen Untersuchungen, dort wird auch festgestellt, dass AfD-Wähler einen sehr gesteigerten Sinn für Ordnung haben. Als Weidel auf die unkontrollierte Migration verweist, erreicht sie damit genau solche Wähler. Beide Momente dürften sich mobilisierend auf ihre Anhängerschaft ausgewirkt haben.

Vor allem bei der Haushaltspolitik wirkt Weidel unvorbereitet

Weidels schwächster Moment ist, als sie ihre Haushaltspolitik erläutert. Sie präsentiert unrealistische Kürzungspläne und schwört, nicht mehr ausgeben zu wollen, als der Staat einnimmt. Da schauen die übrigen Politiker nicht mehr, wie sonst, kritisch zu ihr herüber, sondern grinsen geradezu. Weidel offenbart, wie undurchdacht und populistisch viele Pläne ihrer Partei sind und wie wenig es die AfD bisher darauf angelegt hat, ihre Forderungen mit der Realität in Einklang zu bringen.

Solche Momente dürften Gegner der Partei darin bestätigt haben, der Partei keine politische Verantwortung zuzutrauen und auch ihre sonstigen Versprechungen mit der gebotenen Vorsicht zu genießen. Weidel hatte schon in ihrem weithin beachteten Gespräch mit Elon Musk teils unvorbereitet gewirkt und um Worte gerungen. Sie zeigt sich, auch in Ermangelung einschlägiger Erfahrung, oft nicht als versierte, kenntnisreiche Fachpolitikerin, so auch bei dieser Fernsehdebatte.