Die Bundestagswahl 2025 entscheidet über Sahra Wagenknechts Zukunft

19

Sahra Wagenknecht empfängt in ihrem Bundestagsbüro. Die letzte Plenarsitzung der Wahlperiode ist gerade zu Ende gegangen, auch die BSW-Vorsitzende hat noch einmal im Reichstag gesprochen. Folgt man etwa Infratest dimap, könnte es ihr letzter Auftritt im Plenum gewesen sein. Momentan sehen die Umfrageinstitute das BSW bei vier Prozent.

In Wagenknechts dreiminütiger Rede ging es um das „gemeinsame Erbe“ von Ampelparteien und CDU, um das „tief gespaltene Land, das immer autoritärer regiert wird“. Die Politikerin sprach über Olaf Scholz’ Ankündigung im TV-Duell, mit ihm gehe „alles so weiter“. Sie finde, das zeuge von einem „Realitätsverlust, der viele Ostdeutsche an die letzten Tage der DDR erinnern dürfte“. Scholz hatte gesagt: Nur mit einer Stimme für die SPD gebe es eine Regierung, die dafür sorge, dass „es mit Deutschland weitergeht und stabil bleibt“.

In ihrem Büro schlägt die Politikerin mildere Töne an. Eine Mitarbeiterin reicht grünen Tee. Auf die Frage, wie die Lage sei, antwortet Wagenknecht: „anstrengend“ und verweist auf ihren Terminplan. Die Veranstaltungen liefen aber gut, seien gut besucht, auch die Resonanz: gut.

Aber natürlich gebe es auch eine Verunsicherung. „Die gibt es immer, wenn Umfragen einen unter fünf Prozent setzen.“ Manche überlegten dann, ob eine entsprechende Stimme eine verlorene sei. Mit Umfragen könne man nicht nur Ergebnisse prognostizieren, sondern auch manipulieren, so die Parteivorsitzende. Aber sie sei zuversichtlich, „dass wir es schaffen“.

Absturz in den Umfragen

Für das BSW folgte nach seiner Gründung Anfang vergangenen Jahres zunächst ein Erfolg auf den nächsten. Im Juni erreichte die Partei bei der Europawahl aus dem Stand 6,2 Prozent. Bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gelangen ihr zweistellige Ergebnisse; in Erfurt und Potsdam wurde sie Teil der Landesregierung. Noch im Oktober lag die Partei in bundesweiten Umfragen bei rund acht Prozent.

SonntagsfrageWie stehen die Umfragen vor der Bundestagswahl?

Nun prognostizieren ihr mehrere Wahlforschungsinstitute, an der Fünfprozentklausel zu scheitern. INSA sieht es anders und sagt 5,5 Prozent voraus. Aber auch das wäre ein Absturz. Und viele fragen sich, wie es dazu gekommen ist. Die Gründe dürften, wie so oft, vielfältig und im Einzelnen kaum messbar sein.

Für eine junge Partei wie das BSW bedeutet die vorgezogene Bundestagswahl eine besondere Anstrengung. Als der Termin bekannt wurde, war die Partei in mehreren Ländern noch damit beschäftigt, ihre Landesverbände zu gründen. In Thüringen und Brandenburg stand sie kurz davor, die Regierungsarbeit aufzunehmen.

Aufbau und Führung, alles lief parallel zur Vorbereitung des Wahlkampfes. Und der erfordert Personal: Strategen, Organisatoren und Menschen, die Plakate kleben. Das BSW hat laut seinem Sprecher momentan 1300 Parteimitglieder. Die Zahl der registrierten Unterstützer ist erheblich höher. Das sind 34.000, darunter auch alle, die einen Antrag auf Parteimitgliedschaft gestellt haben.

Herausfordernd ist auch die Finanzierung von Wahlkämpfen. BSW-Politiker verweisen immer wieder darauf, ihre Partei habe viel weniger Geld zur Verfügung als die anderen. Anfang Dezember sagte Schatzmeister Ralph Suikat der F.A.Z., das BSW habe für einen Wahlkampf zum regulären Herbsttermin mit sechs Millionen Euro geplant, nun kalkuliere sie mit vier. Inzwischen berichtet Suikat, die Partei habe 6,5 Millionen zusammenbekommen. Das ist fast so viel, wie der Linken zur Verfügung stehen. Deren Sprecher bezifferte das Wahlkampfbudget gegenüber der F.A.Z. auf 6,8 Millionen Euro.

Wagenknecht tritt seltener auf als die Linken-Spitze

Bei den Wahlkampfterminen habe man aufgrund der finanziellen Lage abgespeckt, sagt Wagenknecht. Das sei auch deshalb nötig gewesen, weil man im Winter auf teure Säle angewiesen sei. Mit der Parteivorsitzenden und Spitzenkandidatin selbst wurden in der Zeit vom 3. bis 20. Februar neun Termine geplant. Auf einem ließ sie sich von ihrem Mann Oskar Lafontaine vertreten. Die Spitzenkandidaten der Linken, Heidi Reichinnek und Jan van Aken, werden von Anfang Februar bis zur Wahl planmäßig 49 Mal aufgetreten sein.

Eine größere Rolle als der Wahlkampf dürften für den abnehmenden Zuspruch allerdings Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie spielen. Denen entspricht es, dass die Neugründung einer Partei unter solch prominenter Führung zunächst viel Aufsehen erregt – das wieder abebbt. Erst recht, wenn Ereignisse wie die Trump-Wahl den Fokus verschieben. Für das BSW dürfte in diesem Zusammenhang hinzukommen, dass seitdem auch Friedensfragen eine andere Dynamik genommen haben. Also das Thema, mit dem die Partei im vergangenen Jahr am meisten punkten konnte.

Auf einer Wahlkampfveranstaltung in Berlin erinnert der BSW-Europaabgeordnete Michael von der Schulenburg daran. „Ohne Frieden ist alles nichts“, ruft er an diesem Abend von der Bühne des Babylon-Kinos in Mitte. Diese Worte Willy Brandts sollten sich die Gäste merken, wenn sie am 23. Februar wählen gingen. Der Saal ist gut besucht, das Parkett trotz Streiks der Berliner Verkehrsbetriebe fast voll besetzt.

Ehe Donald Trump wenige Tage später erwartungsgemäß seine Friedenspläne für die Ukraine bekannt geben wird, konstatiert Schulenburg: „Der amerikanische Präsident wird über Frieden verhandeln, und wir sind ausgeschlossen.“ Deutschland wolle den Krieg weiterführen, „den SPD und Co“ gebracht hätten, sagt er. „Wir werden dafür bezahlen müssen.“ Bei Schulenburg kommt viel Bedauern zum Ausdruck und wenig dazu, warum sich die Wahl seiner Partei lohnen würde.

Nicht alle in der Partei folgen Wagenknechts Kurs

Auch die Publizistin Daniela Dahn, die schon auf dem Gründungsparteitag sprach, erinnert daran, dass das BSW „die treibende Kraft der Friedensbewegung ist“. Der Krieg sei aus dem Bewusstsein verschwunden, „obwohl er doch unsere größte Bedrohung ist“. Das solle heute Abend anders sein. Im Saal erntet Dahn viel Applaus. Insgesamt aber scheint der Partei nun, da Friedensverhandlungen wohl bevorstehen, wenig zu nutzen, dass sie im vergangenen Jahr am lautesten dafür plädiert hat.

Am deutlichsten dürfte den Wahlkampf des BSW das erschweren, was der Linken in den vergangenen Wochen genutzt hat: der Fokus auf die Migration. „Wir gewinnen die Menschen über die sozialen Fragen und über die Fragen von Krieg und Frieden“, sagt Wagenknecht im Gespräch. „Die Migrationsfrage, also dass wir den Zuzug massiv begrenzen müssen, sieht vielleicht sogar ein Teil unserer Wählerschaft anders als ich.“

Daniela Dahn zählt dazu. Sie sagt im Babylon: „Ich hätte mir gewünscht, dass das BSW gegen alle Merz-Pläne stimmt.“ Vereinzelt wird im Saal geklatscht. Dahn erinnert an die Würde „aller Menschen“ und verurteilt die „Stigmatisierung psychisch kranker Migranten“, wie es sie nach dem Attentat von Aschaffenburg gegeben habe. Die BSW-Sympathisantin erwähnt eine Studie, nach der etwa 30 Prozent der Geflüchteten in Deutschland psychisch krank seien – und 27 Prozent der Deutschen. Merz’ Pläne nennt sie „grundfalsch“.

Dazu zählte Ende Januar ein Entschließungsantrag, in dem CDU und CSU etwa die „Zurückweisung ausnahmslos aller Versuche illegaler Einreise“ forderten und eine Inhaftierung aller Personen, „die vollziehbar ausreisepflichtig sind“. Acht BSW-Abgeordnete enthielten sich, zwei gaben ihre Stimme nicht ab. Mit Stimmen der AfD fand der Antrag eine Mehrheit. Dem Zustrombegrenzungsgesetz der Union, das keine Mehrheit fand, stimmten neben der AfD auch sieben BSW-Abgeordnete zu.

In Bayern traten nach den Ereignissen sechs Mitglieder aus der Partei aus, darunter der stellvertretende Landesvorsitzende. Die Migrationspolitik der Partei kritisierten sie deutlich. Wagenknecht zeigt sich darüber irritiert. „Dass Parteimitglieder davon überrascht gewesen sein sollen, wundert mich“, sagt sie. „Meine Position ist seit 2016 bekannt.“

Interne Querelen haben dem BSW immer wieder Schlagzeilen bereitet. Anlass waren Auseinandersetzungen über Regierungsbeteiligungen, die strenge Aufnahmepraxis und eine als autoritär kritisierte Parteiführung. In Hamburg beanspruchten im Dezember zwei einzelne Parteimitglieder, einen eigenen Landesverband gegründet zu haben – ohne Wagenknecht im Namen.

Sie erklärten auch, eigene Wahlvorschläge eingereicht zu haben, sodass fraglich schien, wie der Landeswahlleiter mit etwaigen Dopplungen umgehen würde. Inzwischen ist der Streit vom Tisch und das BSW auch in Hamburg zur Wahl zugelassen. Auf möglicherweise entscheidende Stimmen muss die Partei hier also nicht verzichten.

Was wird aus Wagenknecht, wenn es trotzdem nicht klappt? „Wer nicht mehr im Bundestag ist, ist in der deutschen Politik kein Faktor mehr“, äußert die Parteivorsitzende der F.A.Z. gegenüber. Deutlicher wurde sie zuletzt in der „Bunten“. In einem Doppelinterview mit ihrem Mann sagte Wagenknecht: „Die Wahl entscheidet über meine politische Zukunft.“