Euphorie zu verbreiten, gehört zum Kerngeschäft des russischen Staatsfernsehens. Dieser Tage haben dessen Vertreter sogar einen Realitätsbezug: das Telefonat des amerikanischen Präsidenten Donald Trump mit Wladimir Putin. Feixend feiern sie die amerikanischen Zugeständnisse gegenüber dem russischen Präsidenten schon vor einem möglichen Treffen der beiden, die Äußerung von Trumps Verteidigungsminister, Europa müsse künftig selbst für seine Sicherheit aufkommen, und den Beginn der Gespräche an diesem Dienstag in Riad.
Putins Scharfmacher blicken dabei schon über die Grenzen der Ukraine hinweg, getreu der Devise ihres Präsidenten, dass man sich im Krieg mit dem gesamten Westen befinde.
Trump nehme Russland die Butter vom Brot, scherzte etwa der Staatsfernsehmann und Unterhausabgeordnete Jewgenij Popow: „Wir wollten doch die westliche Welt in Stücke sägen, aber jetzt hat er selbst entschieden, sie aufzusplittern.“
In einer anderen Sendung frohlockte der Gastgeber Wladimir Solowjow angesichts von Hegseths Ankündigung, Amerika werde sich nicht an einer möglichen Friedenstruppe für die Ukraine beteiligen und auch nicht europäischen Teilnehmern einer solchen Truppe helfen, sollten sie von Russland angegriffen werden. Die Europäer könnten Artikel 5 des Nordatlantikvertrages, der den NATO-Bündnisfall regelt, einfach „vergessen“, resümierte Solowjow: „Amerikanische Truppen? Hofft nicht darauf!“
Ihm pflichtete der kremltreue Politologe Sergej Michejew bei. Er hob hervor, nun müsse Russland den Europäern klarmachen, dass „wir jetzt wirklich Brüssel, London, Paris angreifen können“, denn die Amerikaner würden nicht zur Hilfe kommen. Dmitrij Kisseljows „Nachrichten der Woche“ blickten am Sonntagabend im Triumph über den „Tsunami“ für die Europäer auf der jüngsten Münchner Sicherheitskonferenz zurück auf die Rede, in der Putin dort 18 Jahre zuvor eine „unipolare Welt“ unter amerikanischer Führung gegeißelt hatte – endlich, so der Tenor, komme dieser Gedanke auch in Washington an.
Putin will die Ukraine zerschlagen
Betont wird stets, dass Russlands Präsident mit den Amerikanern über „die Grundursachen des Konflikts“ sprechen will. Denn Putin geht es nicht nur um eine Zerschlagung der Ukraine, sondern auch um einen Rückzug der Vereinigten Staaten und der NATO aus weiten Teilen Europas. Das machen auch russische Forderungskataloge aus dem Dezember 2021 klar, auf die nun wieder verwiesen wird.
Putin „macht es professionell“, sagt Boris Bondarew, der F.A.Z. Der langjährige russische Diplomat, der zuletzt in Genf als Abrüstungsfachmann tätig war, quittierte im Mai 2022 den Dienst aus Protest gegen den russischen Angriffskrieg und lebt nun in der Schweiz. „Er kämpft weiter und hat einfach abgewartet, bis die Amerikaner auf ihn zu gehen.“ Putins Unterhändler würden nun sondieren, was die Amerikaner böten und dann mehr und mehr einfordern. Derweil wirke Putin weiter schmeichelnd auf Trump ein.
Auf amerikanischer Seite laufe dagegen ein „Festival der Unprofessionalität“, sagt Bondarew. Es sei unklar, was die Amerikaner wollten, wie Trumps „Deal“ aussehen solle, ob sie überhaupt verstünden, warum Putin den Krieg begonnen habe. „Er will die Weltordnung umbauen“, sagt Bondarew über seinen früheren Chef. Dazu gelte es vor allem, die Amerikaner zum Rückzug aus Europa zu bewegen und die NATO zu erledigen, um dann den einzelnen Ländern seine Bedingungen zu diktieren.
„Putin verachtet Schwache“
Am Freitag ist Bondarew in seiner Heimat zum „ausländischen Agenten“ erklärt worden und muss stets mit Racheakten der russischen Geheimdienste rechnen. „Putin verachtet Schwache“, sagt Bondarew. So werde Putin zum Beispiel Deutschland wieder Gas verkaufen, aber für mehr Geld als früher, und im Bedarfsfall mit einem Raketenschlag drohen, wenn keine Hilfe der Verbündeten zu erwarten sei. „Darauf läuft es hinaus.“
Den Kampf gegen die NATO aufnehmen müsse Putin dafür nicht, sagt der frühere Diplomat. Er rechnet mit einer „Salamitaktik“: Es reiche beispielsweise wie 2008 gegen Georgien unter dem Vorwand, Russen zu helfen, eine „Operation zur Friedenserzwingung“ zu beginnen und Truppen in ein baltisches Land zu schicken. Wenn sich dann erweise, dass das Bündnis nicht mehr willens sei einzugreifen und „nicht wegen einer solchen Kleinigkeit einen Krieg zu beginnen“, sei das Ziel erreicht, die NATO als Papiertiger zu entlarven. Dann wäre die Bündnisverpflichtung aus Artikel 5 wirklich so leer, wie Putins Scharfmacher schon postulieren. Dann würden sich etliche europäische Länder Moskau zuwenden.
Denkt auch der Kriegsherr so? Putin hält sich bedeckt. Zweifel an der Entschlossenheit der NATO äußerte im vergangenen März der belarussische Machthaber Alexandr Lukaschenko. „Fremde Leute“, sagte Lukaschenko damals über deutsche und amerikanische Truppen, würden „Litauen nicht schützen“, sondern „in der ersten ernsten Situation vom Schlachtfeld fliehen“. Bondarew sagt, sollte der russische Vorstoß doch auf Gegenwehr der Verbündeten stoße, ziehe Putin seine Truppen eben zurück und erkläre, das Ziel der Operation sei erreicht.
Wann greift Putin ein NATO-Land an?
Im Westen kursieren verschiedene Warnungen, ab welchem Zeitpunkt Putin nach einem möglichen Waffenstillstand in der Ukraine ein NATO-Land angreifen könnte. Verteidigungsminister Boris Pistorius sprach im Herbst davon, dass Russland bis 2029 dazu in der Lage sein könnte. Das war aber vor Trumps Verhandlungsvorstoß.
Sollte nun der amerikanische Rückhalt fraglich sein, sei der Anreiz für den 72 Jahre alten Putin groß, möglichst rasch zu handeln, warnt Bondarew. Putin werde älter, Russland wirtschaftlich schwächer, die amerikanische Regierung könne sich wieder ändern. Putin könne und wolle seine Armee nicht auseinandergehen lassen. „Er will den Moment nicht verpassen“, vermutet der frühere Diplomat.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnte auf der Münchner Sicherheitskonferenz, Russland werde im Sommer 100.000 bis 150.000 Soldaten vor allem in Belarus zusammenziehen und bereite schon für das nächste Jahr einen Krieg gegen NATO-Länder vor. Auch Bondarew entwirft ein Szenario, in dem Trumps Deal zur Ukraine Putin gibt, was dieser verlangt: die „Demilitarisierung“ und „Entnazifizierung“ der Ukraine. Das käme einer Auflösung der ukrainischen Armee und Neuwahlen gleich, bei denen Putin seine Leute in Kiew unterbringt. Millionen Ukrainer würden dann fliehen, vor allem nach Deutschland, vermutet Bondarew. Womöglich gelinge es den Russen auch, einige ukrainische Soldaten mit dem Argument, der Westen habe sie benutzt und verraten, zum Überlaufen zu bewegen.
Putins früherer Diplomat sieht das Kernproblem darin, dass der Westen in einer Mischung aus Angst, Konfliktscheu und Komfortdenken die Ukrainer viel zu zögerlich unterstützt habe und sich noch nicht einmal darüber einig war, dass Putin den Krieg verlieren müsse. „Die Ukraine hätte für euch den Krieg gewonnen, wenn ihr dem Land gleich genügend Panzer, Artillerie und Flugzeuge gegeben hättet,“ sagt Bondarew. „Aber wenn der Westen nicht will, dass Putin verliert, sind alle Konferenzen wie die in München vergebens. Das ist kein Krieg um Land, um den Donbass. Es ist ein Weltkrieg, denn Putin will die Weltordnung ändern. Jeden Tag bekommt Europa Weckrufe. Aber es wacht nicht auf.“