Für Sergej Lawrow ist es nicht der erste Versuch eines Neustarts in den Beziehungen zwischen Russland und den Vereinigten Staaten. Der russische Außenminister, seit nunmehr fast 21 Jahren im Amt, hatte schon 2009, nach dem Amtsantritt von Barack Obama, von dessen Außenministerin Hillary Clinton das Angebot erhalten, nach den Verwerfungen in Folge des Georgien-Krieges einen „Reset“ zu wagen. Der Versuch scheiterte bekanntlich. Spätestens 2014 mit den „grünen Männchen“ auf der Krim.
Nach dem Treffen Lawrows mit dem neuen amerikanischen Außenminister Marco Rubio am Dienstag in der saudischen Hauptstadt Riad sprach zwar weder die amerikanische noch die russische Delegation von Neustart. Doch machten beide Seiten drei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine deutlich, dass sie an einer Normalisierung ihrer Beziehungen interessiert sind. Rubio, der einstige außenpolitische Falke, der nun in Diensten Donald Trumps einen Deal mit Moskau vorbereiten soll, äußerte sich vorsichtig: Das Treffen sei „der erste Schritt auf einer langen und schwierigen Reise, aber ein wichtiger“. Ziel sei es, ein faires, anhaltendes und nachhaltiges Ende des Kriegs zu erreichen.
Kein Wort zu russischen Zugeständnissen
Eine erste Maßnahme sei, dass die Botschaften beider Länder in Washington und Moskau wieder funktionsfähig gemacht werden sollen. Man müsse über Vertretungen mit einer Personalstärke verfügen, die normal arbeiten könnten. Dann würden Verhandlungsteams aufgestellt, um die Gespräche über ein Ende des Krieges zu führen. Werde dies erreicht, könne man über eine geopolitische und ökonomische Kooperation Washingtons und Moskaus reden. Schließlich würden er, Michael Waltz, der Nationale Sicherheitsberater, und Steve Witkoff, Trumps Sondergesandter, sicherstellen, dass sich der Prozess in die richtige Richtung bewege.
Weiter sagte Rubio, alle Seiten müssten Zugeständnisse machen. Waltz konkretisierte sodann, was das heiße: Realität sei, dass es einige Gespräche über das „Gebiet“ und über „Sicherheitsgarantieren“ geben werde. Das sollte heißen, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Staatsgebiet abtreten muss, die Restukraine aber im Gegenzug geschützt werden soll. Wo der Grenzverlauf liegen soll? Wer genau Kiew schützt? Kein Wort dazu. Auch nicht zu russischen Zugeständnissen. Rubio hob hervor: Er wolle keine Vorverhandlungen führen. Schwierige Diplomatie sei vonnöten. Dass alle Seiten sich bewegen müssten, gilt nicht nur für Moskau und Kiew, sondern auch für den Westen.
Keine Vereinbarung über ein Gipfeltreffen Trumps und Putins
Rubio machte deutlich, dass die westlichen Sanktionen eine Folge des Krieges seien. Das sollte heißen: Werde der Krieg beendet, werde man auch über die Sanktionen reden. Da sprach er für die Europäische Union gleich mit: Andere Parteien, sagte er, hätten auch Sanktionen verhängt, weshalb die EU zu einem bestimmten Zeitpunkt am Verhandlungstisch sitzen müsse. Schließlich, ergänzte Waltz, erwarte man von Europa, in der Frage der Sicherheitsgarantien für die Ukraine die Führung zu übernehmen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt? Das konnte Brüssel, Berlin, Paris und London nicht erfreuen. Von Selenskyj ganz zu schweigen. Er reagierte prompt: Es sei „wieder einmal über die Ukraine und ohne die Ukraine“ gesprochen worden. Rubio hatte Kiew nur kurz erwähnt: In dem Moment, in dem man über die „Parameter“ rede, auf deren Grundlage der Krieg beendet werden könne, werde es Beratungen mit der Ukraine geben.
Es fiel auf, dass Rubio und Waltz mehrfach Trumps Rolle hervorhoben: Er sei die einzige politische Führungsfigur in der Welt, welche die Konfliktparteien zu Gesprächen bringen könne, sagte der Außenminister. Waltz fügte hinzu: Trump habe die Welt dazu gebracht, nicht mehr darüber zu reden, ob der Krieg enden werde, sondern wie. Nur Trump könne so etwas bewerkstelligen. Es gehört zur neuen amerikanischen Realität, dass Trumps Kabinettsmitglieder den Präsidenten stets öffentlich preisen. Doch erfüllte das Lob Rubios und Waltz‘ womöglich noch einen anderen Zweck. Nämlich zu überdecken, dass über ein Gipfeltreffen Trumps und Putins keine Vereinbarung getroffen wurde.
Der Preis für das Kriegsende scheint Trump egal
Trump selbst hatte in der vergangenen Woche auf die Frage nach russischen Zugeständnissen lediglich geantwortet, dass er nur ein Ende des Krieges wolle. Der Preis dafür schien ihm egal. Angesprochen auf Selenskyjs Kritik fügte er am Dienstag von Mar-a-Lago aus abermals hinzu, dass die Ukraine ihre verschobenen Wahlen nachholen müsse. Wieder erwähnte er die schlechten Umfragewerte Selenskyjs. Das konnte man in Moskau so verstehen, als sei Washington bereit, den ukrainischen Präsidenten zu opfern. Trump sagte zur Klage Selenskyjs, nicht beteiligt worden zu sein, er hätte in den vergangenen drei Jahren einen „Deal“ machen können. Er sagte auch, Selenskyj hätte (den Krieg) nie anfangen dürfen.
In Europa glauben einige Diplomaten, Rubio und Waltz wollten sicherstellen, dass Putin keinen Sieg auf ganzer Linie davontragen werde. Trump wiederum scheint Witkoff, den er als unkonventionellen „Dealmaker“ betrachtet, als Tempomacher in der Delegation platziert zu haben. Auf die Frage, ob er, der kürzlich in Russland die Freilassung eines dort inhaftierten amerikanischen Staatsbürgers erwirkte, wieder nach Russland zu reisen plane, sagte Witkoff in Riad: Er sei nicht sicher. Darüber werde in den nächsten Wochen entschieden. Trump wiederum sagte in Florida, er werde sich „wahrscheinlich“ noch vor Ende des Monats mit Putin treffen.
Putin will seinen Kurs unbeirrt fortsetzen
Die russische Delegation konnte zufrieden sein. „Nicht schlecht“ seien die Gespräche mit den Amerikanern gelaufen, sagte Jurij Uschakow, der außenpolitische Berater des russischen Präsidenten, nach mehr als vier Stunden der Beratungen. „Es war ein sehr ernstes Gespräch über alle Fragen, die wir ansprechen wollten.“ Das ist aus russischer Sicht auch ein Arbeitsnachweis. Denn Putin hat seinen Leuten – neben Uschakow und Lawrow gehörte auch der Leiter des staatlichen Investitionsfonds RFDI, Kirill Dmitrijew, dazu – aufgetragen, über die „Grundursachen des Konflikts“ in der Ukraine zu sprechen. Er versteht darunter nichts weniger als den Rückzug Amerikas und der NATO aus weiten Teilen Europas.
Aus Moskauer Sicht ist es dabei wichtig, dass Trump auf Putin zugeht und nicht umgekehrt: Der Machthaber will nicht einlenken, sondern seinen Kurs unbeirrt fortsetzen. Die Eile, welche die Amerikaner demonstrativ an den Tag legen, herrscht bei ihm nicht. So bremste Uschakow mit Blick auf ein mögliches Gipfeltreffen in Riad: In der kommenden Woche, wie im Westen vereinzelt berichtet worden war, werde es wohl noch nicht so weit sein. Delegationen beider Länder müssten dafür erst noch ihre Arbeit tun.
Diese Delegationen müssen nun erst einmal ernannt werden. Lawrow sagte nach der ersten Begegnung von Riad, erst wenn man wisse, wen die amerikanische Seite als Vertreter aufstelle, werde man „unseren Teilnehmer dieses Prozesses ernennen“. Hartleibig trat er auf: Nicht nur bezeichnete er zum wiederholten Mal eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine als „direkte Bedrohung“ für Russland. Auch „bewaffnete Truppen“ der NATO, der EU oder „unter anderer Flagge“ stellte er als inakzeptabel dar.
Trump wird in Russland als „Businessman“ gepriesen
Weiterhin kostet Putins Macht- und Medienapparat besonders aus, dass weder die Ukrainer, um deren Land es doch eigentlich gehen soll, noch die Europäer in Riad mit am Tisch sitzen. Mit Blick auf die „Schroffheiten“, die es in jüngster Zeit zwischen Washington und seinen europäischen Verbündeten gegeben habe, sei „den Amerikanern wie auch uns völlig klar, dass am Tisch dieser Verhandlungen für die Europäische Union kein Platz ist und nicht sein kann“, sagte beispielsweise der Verteidigungspolitiker Wladimir Tschitschow im Staatssender Rossija 24.
RFDI-Leiter Dmitrijew war in Riad offenkundig als besondere Ouvertüre in Richtung Trump dabei, der in Russland auch als „Businessman“ gepriesen wird. Vor Beginn der Gespräche sagte Dmitrijew, man werde den Amerikanern sagen, amerikanische Unternehmen hätten durch den Rückzug aus Russland 300 Milliarden Dollar verloren. Nach der Begegnung sprach er von einem „sehr respektvollen, positiven, qualitätvollen Austausch“. Lawrow sagte, die Amerikaner seien erstaunt gewesen, als man ihnen eine Aufstellung über diese Summe gegeben habe. Gemeinsame „wirtschaftliche Projekte“ könnten für Amerikaner wie Russen sehr positiv sein. Dieser ökonomische Vorstoß dürfte Putin nicht nur dazu dienen, Trump für eine gemeinsame Sache zu begeistern, sondern zugleich auch dazu, die amerikanischen Gegner davon zu überzeugen, dass die unter Arbeitskräftemangel, Inflation und Kreditkosten leidende russische Wirtschaft robust und Putin infolgedessen nicht darauf angewiesen sei, irgendwelche Zugeständnisse zu machen.