Geldmangel und Bürokratie gefährden Demokratie

15

Mit einer in Hessen bisher beispiellosen gemeinsamen Erklärung fordern der Landkreis Gießen und sämtliche Städte und Gemeinden im Kreisgebiet weniger Regeln und eine angemessene Finanzierung von Bund und Land. „Die gesetzlichen Aufgaben nehmen weiter zu, doch die Einnahmen kommen nicht hinterher“, sagte SPD-Landrätin Anita Schneider. Der Sprecher der Bürgermeister im Landkreis, Lars Burkhard Steins (FDP) aus Heuchelheim, hob hervor: „Unsere Gesellschaft verrottet von unten.“ Es werde für die Städte und Gemeinden immer schwerer, die Daseinsvorsorge zu gewährleisten. Zwar beklagten Kommunen in ganz Deutschland ihre Unterfinanzierung. In Hessen sei aber eine besonders ausgeprägte Schieflage festzustellen. Mangel und Bürokratie gefährdeten die Demokratie, hieß es aus der Runde.

Der Licher Bürgermeister und Verwaltungswissenschaftler Julien Neubert (SPD), sagte, es sei unerträglich, wie das Land mit den Kommunen umgehe. Statt Städten und Gemeinden genügend Mittel zur Verfügung zu stellen, kämen aus Wiesbaden Signale, die Kommunen könnten mit Geld nicht umgehen. Das sei eine „ziemliche Frechheit“. Sein Amtskollege Peter Gefeller (SPD) aus Staufenberg ergänzte, die Kommunen müssten 25 Prozent der Aufgaben der Verwaltungen hierzulande schultern, könnten aber nur auf 15 Prozent des Gesamtbudgets zurückgreifen. Von der verfassungsrechtlich garantierten Selbst­verwaltung der Kommunen könne im Alltag fast keine Rede mehr sein, sagte Landrätin Schneider. „Wir sind ausgeliefert“, sagte sie mit Blick auf Vorgaben von Bund und Land.

Kommunen müssen in Rücklagen greifen

Schneider verwies auf die Meldung des Landes zum Kommunalen Finanzausgleich, nach der in diesem Topf nun 200 Millionen Euro mehr seien als zuvor. Dies bedeute einen Höchstbetrag von 7,3 Milliarden Euro, den das Land unter den Kommunen verteile. Gleichzeitig meldeten die Städte, Gemeinden und Landkreise unter dem Strich aber Rekordverluste. „Die Haushalte, die wir bisher genehmigt haben, weisen alle ein Defizit im Ergebnishaushalt auf“, erläuterte sie. Der Finanzetat müsse ohnehin ausgeglichen sein, sonst sei ein Haushalt nicht genehmigungsfähig.

Die Kommunen müssten in die Rücklagen greifen, doch diese Posten „schmelzen wie Eis in der Sonne“. Denn das Plus von fünf Prozent im Finanzausgleich bleibe hinter den Erwartungen weit zurück. Notwendig wären demnach 15 Prozent, führte die Landrätin aus. Der Bürgermeister von Allendorf/Lumda und Finanzfachmann Sebastian Schwarz (SPD) ergänzte, seine Stadt habe mittlerweile keine Rücklagen mehr. Einnahmen in Höhe von zehn Millionen Euro stünden Ausgaben von zwölf Millionen Euro gegenüber. Die Stadt müsse Bürgerhäuser schließen, weil sie kein Geld mehr für schadhafte Dächer habe. Dies gehe zu Lasten kulturtreibender Vereine. Sein Hungener Amtskollege Rainer Wengorsch (parteilos) wies auf die Schließung maroder Brücken wegen Geldmangels hin.

Die ebenfalls parteilose Biebertaler Bürgermeisterin Patricia Ortmann beklagte: „Wir schaffen unsere Pflichtaufgaben nicht mehr.“ Es seien für neue Kindergartenplätze sechs Millionen Euro fällig. Die Investition müsse Biebertal alleine aufbringen. Bund und Land gäben dafür kein Geld mehr. Vor höheren Standards in der Schülerbetreuung warnte Christoph Lipp (CDU). Der Erste Kreisbeigeordnete sagte, es wäre der Tod der Nachmittagsbetreuung an Schulen, sollten künftig nur noch Fachkräfte eingesetzt werden dürfen. Bisher seien vielfach Mütter im Einsatz. Ihnen Kenntnisse im Umgang mit Kindern abzusprechen, sei absurd.