Tausende Deutsche, die in Belgien leben, kontrollieren mit zunehmender Nervosität jeden Morgen ihre Briefkästen: Ist der Wahlschein endlich da? Zwar haben die Wahlämter die Briefwahlunterlagen schon vor knapp zwei Wochen verschickt, doch sind sie erst bei einem Teil der Wähler angekommen. Zum Beispiel wartet ein Bürger weiterhin auf seinen Wahlschein, der nach Angaben der zuständigen Stadt Sankt Augustin bei Bonn am 7. Februar in die Post gegeben wurde.
Solche Berichte gibt es in großer Zahl und nicht nur aus Belgien. Die Bundeswahlleiterin teilte der F.A.Z. mit: „Uns erreichen seit Wochen zahlreiche Fragen und Beschwerden von im Ausland lebenden Deutschen.“ Diese sorgten sich um die rechtzeitige Zustellung der Wahlbriefe zum Wahltag am 23. Februar. Damit ihre Stimmen zählen, müssen sie am Sonntag bis 18 Uhr bei den zuständigen Wahlämtern eingegangen sein. Ein Sprecher des Auswärtigen Amts sagte, bei Bundestagswahlen seien die Fristen für Auslandsdeutsche ohnehin knapp bemessen. Das werde nun durch die vorgezogene Wahl potenziert. „Es ist völlig klar, dass es für Auslandsdeutsche eine große Hürde gibt“, sagte er. Wer im Ausland sehr abgelegen wohne, bei dem liege es in der Natur der Sache, dass Wahlbriefe nicht rechtzeitig zurückkommen könnten.
Rechtzeitiger Versand mit belgischer Post nicht mehr möglich
In Belgien bereitet ein Ausstand bei der Post, der am vorigen Donnerstag begann und weiter andauert, Schwierigkeiten. Davon betroffen sind vor allem die Verteilerzentren in Lüttich und Brüssel, wo die meisten Auslandsdeutschen wohnen. Nach Schätzungen der Botschaft in Brüssel leben etwa 45.000 Deutsche und weitere 45.000 Doppelstaatler im gesamten Land.
Die Botschaft transportierte am Mittwoch ausgefüllte Wahlunterlagen per Kurierdienst nach Berlin, wo sie in die Post gegeben wurden – als Service für Auslandsdeutsche. Eine Sprecherin sagte: „Die Urne ist voll.“ Für Freitag ist eine weitere Fahrt nach Aachen geplant, wo die Briefe dann der deutschen Post übergeben werden. Eine rechtzeitige Rücksendung auf dem belgischen Postweg ist zeitlich schon jetzt nicht mehr möglich. Selbst wenn der Streik sofort enden würde, dauert es mindestens drei Werktage, bis Post in Deutschland ankommt.
Einige Wahlämter, etwa das in Bonn, bieten die Möglichkeit an, dass Auslandsdeutsche dort bis Samstagmittag direkt wählen können. Das gilt aber nur, wenn sie dort im Wahlregister eingetragen sind; maßgeblich ist dafür der letzte Wohnort in Deutschland. Diese Eintragung ist auch die Voraussetzung dafür, dass Briefwahlunterlagen versendet werden. Wer stattdessen direkt am Ort wählt, muss eine eidesstattliche Erklärung abgeben, dass er oder sie seine oder ihre Stimme nicht doppelt abgibt.
„Wahnsinn, dass so einfache Dinge nicht funktionieren“
Die Bundeswahlleiterin teilte der F.A.Z. mit, sie habe „leider keine Erkenntnisse“, wie viele Wahlberechtigte insgesamt keine Briefwahlunterlagen erhalten hätten. Zahlreiche Erfahrungsberichte betroffener Auslandsdeutscher zeigen, dass gerade in weit entfernten Ländern im Fernen Osten sowie in Australien und Neuseeland die Unterlagen nicht rechtzeitig eingetroffen sind. „Megaenttäuscht“ zeigte sich etwa Alexander Leufgen, der seit 15 Jahren in Asien und nun zwei Jahren in Singapur wohnt. Der gebürtige Schleswig-Holsteiner hatte rechtzeitig beim Bürgeramt seines Heimatorts im Kreis Segeberg die Eintragung in das Wählerverzeichnis beantragt.
Auf Nachfrage wurde ihm bestätigt, dass alles glatt gelaufen sei. „Die Dame war aber nicht optimistisch, dass es alles rechtzeitig klappen würde, vor allem in entfernteren Ländern“, so der Angestellte eines Ernährungsmittelunternehmens. „Es war ein sehr dicker Ordner mit Anträgen, und das auf dem Lande.“ Die Unterlagen waren bis Mittwoch noch immer nicht bei ihm angekommen. Abgesehen von langen Postlaufzeiten war es für ihn damit ohnehin zu spät: Leufgen war am Dienstag beruflich nach China geflogen. „Wahnsinn, dass so einfache Dinge nicht funktionieren“, so der Deutsche.
Auch die deutsche Botschaft in Singapur hatte das Angebot unterbreitet, die Briefwahlunterlagen mit einem Sonderkurier des Auswärtigen Amts nach Deutschland bringen zu lassen. Der letztmögliche Abgabetermin war dafür der 19. Februar um 11 Uhr Ortszeit, das war länger als an vielen anderen Orten. Aber selbst das reichte für viele nicht aus. Er habe die Unterlagen am Mittwoch erhalten, so der in Singapur lebende Carsten Frömming. „Bis um 11 Uhr habe ich es nicht geschafft. Das war es dann jetzt wohl mit meiner Wahl. Rechtzeitig wird meine Stimme es nicht nach Deutschland schaffen“, sagte er.
Sie suchen nach Personen mit Flugtickets nach Deutschland
Dabei gibt es selbst bei dem Kurierweg keine Garantie, dass die ausgefüllten Stimmzettel rechtzeitig bis zur Schließung der Wahllokale an den jeweiligen Ämtern eintreffen. Schließlich muss auch noch der Postweg innerhalb Deutschlands mitgerechnet werden. Das Auswärtige Amt hatte deshalb den Expressversand über entsprechende Dienste als womöglich bessere Methode empfohlen. Die Kosten dafür müssen die Wähler aber selbst tragen. Umgerechnet hätte es ihn wohl sechzig Euro gekostet, den Schein nach Deutschland zu schicken, berichtete Frömming. Viele Auslandsdeutsche in Australien, Neuseeland und einigen südostasiatischen Ländern suchten deshalb am Mittwoch nach Personen mit kurzfristigen Abflügen nach Deutschland, damit diese ihre Unterlagen mitnehmen und dort in den Briefkasten werfen könnten.
In Spanien trafen die Briefwahlunterlagen zum Teil schon in der zweiten Februarwoche ein, sogar auf den Kanaren mit der längsten Postlaufzeit. Die größere Herausforderung bestand deshalb für viele Wähler darin, sie rechtzeitig nach Deutschland zurückzuschicken. Die Konsulate in Spanien boten ebenfalls einen Kurierdienst an. Dafür mussten zum Beispiel in Palma de Mallorca die Wahlunterlagen am Dienstag bis um 12 Uhr in eine durchsichtige Wahlurne aus Plastik geworfen werden.
Sie wurden dann nach Deutschland geflogen und vom Auswärtigen Amt mit der regulären Post an die jeweiligen Wahlämter geschickt. Insgesamt etwa 500 Deutsche nahmen diesen Service in Anspruch, wie es hieß. Zahlreiche Deutsche organisierten die Rücksendung privat und gaben die Post Verwandten oder Bekannten mit, die sie besuchten.