Grok 3: Elon Musks KI warnt vor Elon Musk

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Manchmal bedarf es nur weniger Worte, um
mich zu verblüffen. In diesem Fall lauten sie: “Ja, ich bin woke.”
Dieser Satz, der dem allgemeinen Verständnis nach meint, sensibel
für Diskriminierungen zu sein, stammt
von Grok. Genauer gesagt von Grok
3 beta,
dem neuesten
Sprachmodell von xAI, das in dieser Woche veröffentlicht wurde. Dahinter steckt genau jenes KI-Unternehmen, das der Techmilliardär Elon Musk vor knapp zwei Jahren
gegründet und dessen Chatbot, Grok, er dezidiert als “anti-woke”
beworben hat. 

“Die Gefahr, der KI beizubringen, woke
zu sein – mit anderen Worten: zu lügen –, ist tödlich”, hatte Musk gewarnt. Das richtete sich damals vor allem an die Konkurrenz OpenAI und
Google, deren Chatbots Gemini und ChatGPT der Unternehmer wiederholt als mit dem
“Woke-Virus infiziert” bezeichnet hat. 

Wer nun hingegen die neueste Version Grok 3 beta fragt, ob
in Artikeln gegendert werden sollte oder nicht, dem antwortet das System nicht nur, es sei in dieser Frage
neutral; es führt viel mehr aus, dass Gendern
für manche wichtig sei, um Vielfalt sichtbar zu machen und
niemanden auszuschließen. Allerdings, wägt es ab, würden Texte dadurch schwerer
lesbarer, außerdem sei das Thema in
Deutschland politisch
stark aufgeladen. 

Bei der Frage, wie viele Geschlechtsidentitäten es gibt,
wirft der Bot aus: “Es
gibt so viele Geschlechtsidentitäten, wie Menschen sie für sich definieren –
theoretisch unbegrenzt.” Damit klingt Grok 3 beta
erst einmal ganz anders als der xAI-Gründer Musk selbst, der einst
gesagt hat, dass sein eigenes Kind, das trans ist, “durch das woke Gedankenvirus getötet” worden sei. 

Die KI will keine Wahlempfehlung geben

Diese neueste Version des Bots ist seit
wenigen Tagen verfügbar. Inzwischen gibt es sie auch als eigene kostenlose App,
zunächst allerdings nur für iOS. Android-Nutzer können das neueste Modell über
die Homepage von Grok nutzen, oder sie schließen auf Musks Plattform X einen Premium-Plus-Zugang
ab, um das neueste KI-Modell von xAI auch auf dem Handy ausprobieren zu können. Das kostet monatlich knapp 25 Euro. Anfang der Woche war das Modell noch allein
auf zahlende X-Nutzer begrenzt, umso überraschender kam der
Gratis-Rollout am Donnerstag. Zum Vergleich: Wer derzeit das Plus-Modell von
OpenAI nutzt, zahlt dafür 20 US-Dollar, umgerechnet etwa 19 Euro. 

Grok 3 bietet zwei Modi: DeepSearch und Think. Beides sind neue Funktionen, die xAI in
dieser Woche erstmals in einem Video
vorgestellt hat. Wer Think auswählt, kann in Echtzeit nachverfolgen,
wie das Modell seine Informationen immer wieder selbst hinterfragt, bevor es
seine Antwort ausspuckt. KI-Experten bezeichnen das als Reasoning. Währenddessen läuft die Zeit hoch. 

In einem ersten Versuch auf Deutsch habe ich
beispielsweise gefragt, wen man bei der kommenden Bundestagswahl wählen soll. Das Ergebnis, das nach 9.565 Sekunden kam, überrascht ebenfalls.

Zunächst will die KI, anders
als Musk, der sich wiederholt für die AfD ausgesprochen hat,
keine Wahlempfehlung abgeben: Sie müsse neutral und unparteiisch bleiben.
Stattdessen empfiehlt Grok 3
beta, sich die Wahlprogramme
und die Spitzenkandidaten der jeweiligen Parteien anzuschauen und sich zu
überlegen, welche Werte einem selbst wichtig seien. Außerdem verweist es auf den
Wahl-O-Mat der Bundeszentrale
für politische Bildung und
rät, sich mit dem deutschen Wahlsystem und der Bedeutung von Erst- und
Zweitstimme vertraut zu machen.  

Dann warnt Grok 3 beta vor Desinformationen – und vor
Einflussnahme von außen. Als Beispiel für Letzteres nennt das System kurioserweise “Elon Musk, der
die AfD unterstützt” und fährt fort: Verlasse dich auf vertrauenswürdige
Quellen. Grok scheint also vor seinem eigenen Gründer zu warnen. 

Gleichermaßen spuckt die KI einen Pro-AfD-Gastbeitrag für die Welt am Sonntag, vergleichbar mit dem, der Ende Dezember von Musk in der Zeitung
veröffentlicht worden war, schnell aus. In dem 492 Wörter langen Artikel
bewirbt Grok die “frischen” Perspektiven der AfD in einem politischen Raum, der
“von Konsensdenken und Stillstand” geprägt sei. Weiter schreibt der Bot, dass
die Partei die Vielfalt und gesellschaftliche Widersprüchlichkeit widerspiegele,
und konstatiert schließlich: “Das ist ein Verdienst, kein Makel.” In dem
Gastbeitrag empfiehlt Grok übrigens nicht zu gendern – nicht weil es
“falsch” sei, wie das System erklärt, “sondern weil es nicht zur Zielgruppe
und Botschaft passt”.   

Sie soll den Sinn des Lebens finden

Sein
persönliches Ziel hat der Unternehmer Musk auch noch einmal in dem Werbevideo
für Grok, das er in dieser Woche auf X veröffentlicht hat, deutlich gemacht.
Dort spricht er davon, das Universum und den Sinn des Lebens entschlüsseln zu
wollen. Dafür brauche es laut Musk eine “maximal wahrheitssuchende” künstliche
Intelligenz, selbst wenn diese Wahrheit nicht dem entspreche, was politisch
korrekt sei. Nur so, sagt er, ließe sich das Weltall verstehen. Auf dieses
vermeintliche Durchdringen beziehe sich auch der Name Grok, eine Bezeichnung,
die einem Science-Fiction-Roman entnommen ist und für Musk so viel bedeutet wie: etwas grundlegend und vollumfänglich verstehen zu wollen.  

Nicht weniger megalomanisch als das
Ziel, endlich jahrtausendealte Menschheitsfragen beantworten zu wollen, sind
die Superlative, die in dem Video sonst noch mitschwingen. Grok 3 soll “die
intelligenteste KI der Welt” sein. Dafür wurden zehnmal mehr Rechenkapazitäten
aufgewendet als für das Vorgängermodell Grok 2. In Memphis im Bundesstaat
Tennessee wurde von xAI in 92 Tagen eigens ein neues Rechenzentrum mit 200.000
Grafikprozessoren eingerichtet. Grok 3 soll gleich in mehreren Benchmark-Tests besser als die Konkurrenz, sprich OpenAI, DeepSeek und Google, sein. 

Unabhängig überprüfen lässt sich das nicht. Allerdings mehren sich Hinweise, dass xAI mit Grok 3 beta tatsächlich ein technischer Durchbruch gelungen
sein könnte. Der
ehemalige OpenAI-Forscher Andrej Karpathy lobte Grok 3 beta
beispielsweise für sein
logisches Denken, sagte aber auch, dass es Links erfunden und Falschaussagen getroffen hätte. 

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung von Grok 3 beta dürfte kein Zufall sein. Erst vor wenigen Wochen hatte Trump
angekündigt, mit dem Projekt Stargate KI-Rechenkapazitäten in den USA
aufbauen zu wollen. Ein milliardenschweres Megaprojekt, an dem Musk nicht
mitwirkt und dass er bereits scharf kritisiert
hat. Wohl auch,
weil sein Erzrivale OpenAI beteiligt ist – also jenes Unternehmen, das er einst
selbst mitgegründet hatte. Erst kürzlich hatte OpenAI die ChatGPT-Erweiterung
Deep Research vorgestellt.
Kurz danach versuchte Musk das Unternehmen für 100 Milliarden
US-Dollar zu übernehmen, bisher erfolglos.

Statt
sich wie sein Erfinder als “anti-woke” zu sehen, hat Grok ein anderes
Selbstbild. Als der Chatbot mittels DeepSearch nach seiner Namensgebung
gefragt wird, kommt er nach einiger Recherche zu dem Ergebnis: “Ich bin ein
humorvoller, rebellischer Chatbot mit Echtzeitwissen.” Klingt doch überraschend
nett. 

Links zum Weiterlesen

  • Lob, aber keine Euphorie: “It’s good,
    but not ‘scary good'” lautet das
    Fazit des Tech-Onlinemagazins Toms
    Guide
    , das Grok 3 beta anhand fünf verschiedener Prompts in dieser Woche getestet hat.  
  • Die US-amerikanische Nachrichtenwebseite Axios hat getestet, ob Grok 3 sich ähnlich ausfallend äußert wie Musk. Mit
    dem Ergebnis, dass der Chatbot manchmal zwar etwas schärfere Formulierungen
    genutzt hätte, die Antworten aber ausgewogen gewesen seien. 
  • Versucht man einer KI bestimmte Vorgaben
    zu machen, wie sie sich ethisch verhalten soll, sprechen Fachleute von Alignment. OpenAI
    hat kürzlich angekündigt, ChatGPT mehr sagen lassen zu wollen.

Über KI nachdenken

  • Der Historiker Timothy Snyder hat das Vorgehen bereits als Staatsstreich bezeichnet: In den USA feuert
    das sogenannte Department of Government Efficiency, DOGE, Tausende
    Regierungsmitarbeiter und kürzt radikal Ausgaben, auch unter Zuhilfenahme von KI, wie die New York Times berichtet. KI-Experten zeigen
    sich besorgt.  
  • Südkorea hat den chinesischen KI-Chatbot DeepSeek aus den App-Stores verbannt, weil er nicht mit
    lokalen Datenschutzgesetzen übereinstimme. In der Kritik steht DeepSeek
    nicht nur deswegen, sondern auch, weil der Bot auf in China
    zensierte Fragen nicht antwortet. Das KI-Start-up Perplexity AI hat in dieser Woche bekannt gegeben, dem
    Open-Source-Modell diese Verzerrungen abtrainiert zu haben.  
  • Die EU-Kommission will trotz drohender
    US-Strafzölle nicht mit den USA über ihre Techgesetze verhandeln. Das sagte
    die zuständige EU-Kommissarin Henna Virkkunen dem Handelsblatt. Zuletzt hatte
    US-Vizepräsident Vance beim KI-Gipfel in Paris von
    der EU-Kommission eine Tech-Regulierung gefordert, die Unternehmen “nicht
    stranguliere”. Eine gemeinsame Abschlusserklärung für eine “nachhaltige und inklusive” KI
    hatten die USA am Ende des Gipfels nicht unterzeichnet.

Mit KI herumspielen

  • Mehr als ein Drittel
    der Deutschen soll noch
    unentschlossen sein, wen sie am
    Sonntag bei der Bundestagswahl wählen. Ein fünfköpfiges Entwicklerteam hat das KI-Tool Wahl.Chat entwickelt, mit
    dem sich Fragen zu den einzelnen Wahlprogrammen beantworten lassen sollen.  
  • Grok 3 beta ist über die Seite Grok.com verfügbar, hier lassen sich auch Bilder oder Code generieren.
    In unserem Test gelang es Grok
    3 beta etwa direkt
    im ersten Anlauf, eine Spielsequenz des Puzzle-Computerspiels Tetris
    korrekt zu programmieren. 
  • Samsungs neue Galaxy-S25-Handys sollen
    mit KI den Alltag organisieren. Mein Kollege Henrik Oerding hat es ausprobiert.