Wie die Linke mit einer Wut-Rede von Heidi Reichinnek Tiktok eroberte

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Bundestagswahl 2025

Wie die Parteien Wahlkampf auf Social Media machen



20. Februar 2024 · Im Netz scheint die AfD den Wahlkampf zu dominieren. Doch auch andere Parteien nutzen Instagram und Tiktok für sich – und erreichen dort vor allem junge Menschen.




Eine Person, die offenbar besonders früh verstanden hat, wie Politik in den sozialen Medien funktioniert, ist Alice Weidel – oder zumindest ihr Social-Media-Team. Rund eine Million Menschen folgen der AfD-Vorsitzenden und -Spitzenkandidatin auf Twitter, etwa eine halbe Million sind es auf Instagram und Facebook. Aber auch die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht und der FDP-Vorsitzende Christian Lindner erreichen Millionen von Menschen über die verschiedenen Plattformen hinweg. Dennoch hält Weidel einen deutlichen Vorsprung. 




Auch im Vergleich der Partei-Accounts führt die AfD mit deutlichem Abstand. Jedoch können auch die Grünen hier eine große Zahl an Followern vorweisen. Die CDU und ihr Kanzlerkandidat Friedrich Merz verzeichnen dagegen nur mäßigen Erfolg.  

Gerade in den vergangenen Wochen war es vor allem die Linke, die den Wahlkampf in den sozialen Medien für sich zu nutzen wusste. Blickt man auf den Zuwachs an Followern der Parteien auf Instagram und Tiktok, hat die Linke eine regelrechte Aufholjagd gestartet. Seit der Einigung der Fraktionen auf den Neuwahltermin – und somit dem inoffiziellen Beginn des Wahlkampfs Anfang November – hat keine andere Partei mehr neue Menschen auf Social Media für sich gewinnen können als die Linke. So verzeichnete die Partei allein in der ersten Februarwoche über 56.000 neue Follower auf Instagram. Das ist mehr als alle anderen Parteien zusammen. Auf Tiktok ist die Entwicklung ähnlich.








Grund dafür ist die linke Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek, die mit einer Brandmauer-Rede viel Aufmerksamkeit bekam. Nach dem Entschließungsantrag der Unionsfraktion zur Migrationspolitik, der nur mithilfe der Stimmen der AfD eine Mehrheit im Bundestag erhielt, fand Reichinnek kritische Worte gegenüber Friedrich Merz. Ihre Rede war spontan, ihre Wut spürbar. Mehr als 6,6 Millionen Mal wurde das Kurzvideo ihrer Rede auf Tiktok angesehen. 




Davon profitiert auch ihre Partei, die nach der Abspaltung des BSW schwer angeschlagen war und um den Wiedereinzug in den Bundestag bangt. Seit Jahresbeginn verzeichnet die Linke aber Zehntausende Parteieintritte. Zwar berichten auch andere Parteien wie Grüne, SPD und AfD von Eintrittswellen. Die Linke hingegen spricht von einem regelrechten Rekord mit nun insgesamt 91.000 Mitgliedern.  

Auf Wahlkampf in den sozialen Netzwerken kann keine der Parteien mehr verzichten, gerade wenn es darum geht, jüngere Menschen zu erreichen. Denn 62 Prozent der Achtzehn- bis Einundzwanzigjährigen in Deutschland nutzen die sozialen Medien als primäre Informationsquelle für Politik und Nachrichten. Dabei ist Instagram die wichtigste Plattform. 82 Prozent der Deutschen zwischen 14 und 29 Jahren nutzen die Plattform. Bei Tiktok liegt der Anteil bei 52 Prozent.




Schaut man auf das Wahlverhalten junger Menschen, so konnten bei der vergangenen Bundestagswahl im Jahr 2021 vor allem die Grünen und die FDP mit jeweils mehr als 20 Prozent der Stimmen bei jenen punkten, die jünger als 25 Jahre alt waren. Bei der Europawahl im Jahr 2024 lagen Union und AfD in dieser Altersgruppe vorn. Ebenso wie bei den 25 bis 34 Jahre alten Wählerinnen und Wählern.  

Bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im vergangenen September erzielte die AfD in allen drei Bundesländern sogar mehr als 30 Prozent bei den Wählerinnen und Wählern unter 25 Jahren.


Wie die jungen Menschen wählten

bei den vergangenen Bundestagswahlen und der vergangenen Europawahl



Dieser Trend setzt sich bundesweit nur in Teilen fort. Laut der Trendstudie „Jugend in Deutschland 2025“ zu den Wahlpräferenzen junger Menschen gelten derzeit unter den Erstwählern die AfD (20 Prozent) und die Linke (19 Prozent) als beliebteste Parteien – also die beiden Parteien, die derzeit besonders erfolgreich im Wahlkampf in den sozialen Netzwerken sind. Bei den unter 30 Jahre alten Wahlberechtigten sieht es dagegen etwas anders aus. Hier erhalten die Grünen und die AfD mit jeweils 18 Prozent den meisten Zuspruch.




Die Algorithmen der Plattformen favorisieren Emotionen, kontroverse und polarisierende Inhalte, denn diese erzeugen Reaktionen der Nutzerinnen und Nutzer. Solche Social-Media-Beiträge werden häufig kommentiert und gelikt.  

Das nützt Parteien, die provokante und populistische Inhalte produzieren. Ihre Beiträge haben somit gute Chancen, häufiger ausgespielt zu werden und dadurch eine größere Aufmerksamkeit zu erlangen. So zeigen die Daten der Bundesdatenschau, dass die Beiträge der Parteien auf der Plattform X immer genau dann eine besonders große Reichweite und hohe Zahl an Likes und Kommentaren erhalten, wenn sie sich auf besonders polarisierende und bewegende Ereignisse beziehen – wie beispielsweise auf die Migrationsdebatte im Bundestag oder den Messerangriff in Aschaffenburg.

Auf der Plattform X verzeichnet die AfD mit Abstand den größten Erfolg und liegt bei den Impressionen, also der Häufigkeit, mit der ein Beitrag von Nutzerinnen und Nutzern insgesamt gesehen wird, deutlich vor allen anderen Parteien. Zugleich kommt es der Partei zugute, dass sich der Eigentümer der Plattform X, Elon Musk, immer wieder positiv über die AfD äußert. Vor allem jene Posts, in denen sich Spitzenkandidatin Alice Weidel auf diese Aussagen bezieht, haben eine besonders hohe Reichweite und Zahl an Likes – etwa die Beiträge Weidels zu ihrem Gespräch mit Musk auf der Plattform X.




Blickt man dagegen auf die Zahl der Kommentare, liegen vor allem die Grünen vorne, dicht gefolgt von der CDU. Die FDP ist hingegen die Partei, die in den vergangenen Wochen mit Abstand am meisten Beiträge auf der Plattform X veröffentlicht hat, allerdings nur mit mäßigem Erfolg mit Blick auf Likes und Kommentare. Das zeigt, dass es nicht unbedingt die Anzahl der Posts ist, die zählt, sondern vielmehr die Interaktion der Nutzerinnen und Nutzer. 

Ein kurzes Video mit einer provokanten Aussage kommt in der Regel besser an als eine detaillierte Erläuterung eines komplexen Sachverhaltes. Dadurch werden Inhalte in den sozialen Medien oft verkürzt dargestellt und der Wahlkampf im Netz immer weiter zugespitzt und beschleunigt.  

Davon profitiert, wer das zu nutzen weiß. Denn wessen Name gestern nur wenigen Menschen ein Begriff war, der kann morgen schon mit einem einzigen Post bekannt werden. So wie es Heidi Reichinnek von der Linken gelungen ist.