Hamas übergibt vier Leichen von getöteten Geiseln an Israel

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Die Bilder, die an diesem Donnerstag live aus dem Gazastreifen übertragen wurden, gehörten wohl zu den grauenvollsten, die Israel seit dem brutalen Terrorüberfall der Hamas ertragen musste. Vier schwarze Särge hatte die Terrororganisation auf einer Bühne in Khan Yunis aufgebahrt, im Hintergrund ein riesiges Plakat des israelischen Ministerpräsidenten mit Vampirzähnen, von denen das Blut tropft.

„Der Kriegsverbrecher Netanjahu und seine Armee haben sie mit Raketen zionistischer Kampfjets getötet“, hieß es dazu auf Hebräisch, Arabisch und Englisch. Wer mit „sie“ gemeint war, machte die Hamas durch an den Särgen befestigte Fotos deutlich. Die Gesichter von Shiri, Kfir und Ariel Bibas waren dort zu sehen, einer Mutter und ihrer beiden Kleinkinder, daneben ein Foto des 84 Jahre alten Oded Lifshitz. Alle vier waren am 7. Oktober von der Terrororganisation in den Gazastreifen entführt worden, später wurden sie von der Hamas für tot erklärt.

Inmitten von jubelnden Schaulustigen und vermummten Kämpfern wurden die vier Särge am Donnerstagmorgen zunächst an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und dann an die israelische Armee übergeben. Am Mittag schließlich kamen sie in einem forensischen Institut nahe Tel Aviv an, wo die Identität der Leichen festgestellt werden sollte. Während bei den Geiselübergaben der vergangenen Wochen Tausende Israelis auf den Straßen gefeiert hatten, zeigten Bilder des Geiselplatzes in Tel Aviv an diesem Donnerstag Menschen in tiefer Trauer.

Durch einen israelischen Luftangriff getötet?

Kfir und Ariel Bibas waren die letzten Kinder gewesen, die noch im Gazastreifen festgehalten worden waren. Gemeinsam mit ihren Eltern Shiri und Jarden hatte die Hamas die beiden Kleinkinder bei ihrem Überfall auf Israel aus dem Kibbuz Nir Oz verschleppt. Kfir war damals neun Monate, sein Bruder Ariel vier Jahre alt gewesen. Die Bilder der beiden rothaarigen Jungen und ihrer verzweifelten Mutter bei der Entführung wurden vor allem in Israel, aber auch in vielen anderen Ländern der Welt zu einem Symbol für die Brutalität des Terrorüberfalls der Hamas. Neben der israelischen hatten sie auch die deutsche Staatsbürgerschaft.

Als einziges Familienmitglied hatte die Terrororganisation vor zweieinhalb Wochen den Vater Jarden Bibas freigelassen; Shiri, Kfir und Ariel hatte sie bereits im November 2023 für tot erklärt und behauptet, sie seien bei einem israelischen Luftangriff getötet worden. Von israelischer Seite wurde das jedoch nie bestätigt.

Auch Oded Lifshiz, dessen Leiche die Hamas am Donnerstag übergab, war am 7. Oktober gemeinsam mit seiner Frau Yocheved Lifshiz aus dem Kibbuz Nir Oz verschleppt worden. Die beiden Friedensaktivisten hatten zuvor über Jahre hinweg palästinensische Patienten aus dem Gazastreifen in israelische Krankenhäuser transportiert. Die 85 Jahre alte Yocheved wurde im Oktober 2023 von der Hamas freigelassen, das Schicksal ihres Mannes blieb ungewiss. Während seiner monatelangen Gefangenschaft erhielt die Familie nur ein einziges Lebenszeichen von Oded. Ende 2023 berichtete eine der freigelassenen Geiseln, sie habe den älteren Herren in einem Lagerhaus in Gaza gesehen, am Boden liegend, in einem blutverschmierten, weißen Gewand.

Odeds Tochter Sharone wandte sich danach an israelische Medien, um ihre Gedanken an ihren Vater zu teilen. „Was hast du wohl gedacht, als du dort lagst (…) und mit eigenen Augen mitansehen musstest, wovor du selbst seit Jahren gewarnt hattest?“, habe sie sich gefragt. „Dass das Streben der messianischen Fanatiker Israels, die besetzten Gebiete zu beherrschen, anstatt sich mit unseren Nachbarn zu verständigen, in einer Eskalation des Terrors enden würde“, so vermutete Sharone gegenüber der Zeitung Haaretz. Schon vor Jahren habe ihr Vater Oded geschrieben, was am 7. Oktober 2023 wahr geworden sei: „Wenn unsere Nachbarn nichts zu verlieren haben, verlieren wir umso mehr.“ Am Donnerstagnachmittag hieß es von Lifshiz’ Familie, sie habe die „bittere Bestätigung“ über die Identifizierung von Odeds Leiche erhalten und werde nun trauern – „um unseren Ehemann, Vater, Großvater und Urgroßvater.“

„Qual. Schmerz. Es fehlen die Worte.“

Auch die israelische Regierung zeigte sich nach der Rückführung der vier Leichen tief betroffen. „Qual. Schmerz. Es fehlen die Worte“, hieß es in einer Mitteilung des israelischen Staatspräsidenten Izchak Herzog. „Unsere Herzen, die Herzen einer ganzen Nation, sind gebrochen.“ Er neige im Namen des Staates Israel das Haupt und bitte um Vergebung, so Herzog weiter. „Vergebung dafür, dass wir euch an dem schrecklichen Tag nicht beschützt haben. Vergebung dafür, dass wir euch nicht sicher nach Hause gebracht haben.“

Benjamin Netanjahu hatte sich bereits am Mittwochabend in einer Videobotschaft geäußert. „Der morgige Tag wird ein sehr schwieriger Tag für den Staat Israel sein – ein herzzerreißender Tag, ein Tag der Trauer“, erklärte er. „Wir bringen vier unserer geliebten Geiseln nach Hause, verstorben“, so Netanjahu. „Auch mein Herz ist zerrissen.“

Der Ministerpräsident verzichtete in der ungewöhnlich zurückhaltenden Ansprache auf die sonst üblichen Kampfparolen. Auf anderem Wege machte er aber dennoch deutlich, dass er auch diesen Tag der Trauer für seinen persönlichen Erfolg zu nutzen versuchte: Ein „nicht genannter politischer Beamter“ erklärte am Mittwoch gegenüber israelischen Medien, die Übergabe der vier Leichen aus dem Gazastreifen sowie die geplante Freilassung von sechs weiteren Geiseln am kommenden Samstag sei das erfolgreiche „Ergebnis der Entscheidung des Premierministers, die Zusammensetzung des Verhandlungsteams zu ändern“.

Eine Verzögerungstaktik Netanjahus?

Der „nicht genannte politische Beamte“ – hinter dem israelische Medien weithin Netanjahu selbst vermuten – spielte damit auf die kürzliche Entscheidung des Ministerpräsidenten an, den Leiter des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, Ronen Bar, sowie den Chef des Auslandsgeheimdienstes Mossad, David Barnea, von den weiteren Gesprächen über den derzeitigen Gaza-Deal abzuziehen. Sowohl in Sicherheitskreisen, als auch in der Opposition und der israelischen Presse rief die Netanjahu zugeschriebene Aussage von Mittwoch Empörung hervor. Eine derartige Äußerung „kurz vor einem der traurigsten Tage, die Israel je erlebt hat“, zeige, dass Netanjahu eine „absolut furchtbare Person“ sei und lediglich versuche, seiner eigenen Verantwortung zu entfliehen, hieß es von einem israelischen Kommentatoren.

Von vielen Geiselangehörigen, die Netanjahu vorwerfen, das Abkommen mit der Hamas zu lange hinausgezögert zu haben, wird diese Einschätzung geteilt. Einige Beobachter sehen in dem Abzug Bars und Barneas aus dem Verhandlerteam nun abermals eine Verzögerungstaktik des Ministerpräsidenten mit Blick auf die zweite Phase des Gaza-Deals, die eigentlich Anfang März in Kraft treten soll – von Netanjahus ultrarechten Koalitionspartnern aber entschieden abgelehnt wird.