Opposition fordert Amtsenthebung von Yoon in Südkorea

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Es war die Sprecherin der Demokratischen Partei Ahn Gwi-ryeong, die zu einer der Heldinnen in der wildesten Nacht der jüngeren Geschichte Südkoreas wurde. Vor laufender Kamera versuchte Ahn einem schwer bewaffneten Soldaten das Sturmgewehr aus der Hand zu reißen, der mit seiner Truppe vor dem Gebäude der Nationalversammlung aufmarschiert war. Was ihm einfalle, derart vor die Zivilbevölkerung zu treten, schrie die frühere Fernsehmoderatorin. Gerade hatte Südkoreas Präsident Yoon Suk-yeol in einer wohl auch für den amerikanischen Bündnispartner überraschenden Fernsehansprache kurz vor elf Uhr Abends das Kriegsrecht ausgerufen und das Parlament schließen lassen.

Soldaten marschierten auf, annähernd dreihundert Spezialkräfte stürmten das Parlamentsgelände, während ein zur Durchsetzung des Kriegsrechts beauftragter General per Dekret politische Arbeit und die freie Presse verbot. Bis Präsident Yoon seine von vielen als wahnsinnig erklärte Aktion sechs Stunden später wieder zurücknahm. Da hatte sich die demokratische Opposition im Parlament verbarrikadiert und mit einer Mehrheit von 190 zu null das Kriegsrecht wieder aufgehoben. Da waren Tausende Südkoreaner auf die Straße gegangen und hatten ihrerseits verlangt, Yoon müsse verhaftet und abgesetzt werden. Letzteres zumindest gilt jetzt als wahrscheinlich. Die Soldaten sind wieder zurück in den Kasernen.

Soweit bekannt, waren Yoons Beweggründe rein innenpolitischer Natur, auch wenn der als eitel und rechthaberisch geltende und auch in der eigenen Partei unbeliebte Präsident im Fernsehen noch von „pro-nordkoreanischen Kräften“ im Parlament schwadroniert hatte. So kam auch aus dem eigenen Regierungslager Unverständnis über diesen Schritt Yoons.

Die Opposition spricht vom „Staatsstreich“

Der Stabschef des Präsidenten, der Nationale Sicherheitsberater und ein Dutzend weitere enge Mitarbeiter Yoons boten am Mittwochmorgen ihren Rücktritt an. Der Vorsitzende von Yoons Volksmachtpartei (PPP) Han Dong-hoon hatte die Sicherheitskräfte aufgerufen, „keinen ungesetzlichen oder unfairen Anweisungen zu folgen“. Das Kriegsrecht hat im demokratischen Südkorea seit vier Jahrzehnten niemand mehr verhängt. Die Demokratische Partei sprach von einem „Staatsstreich“. Yoon war offensichtlich der Kragen geplatzt.

Sicherheitskräfte bauen Barrikaden in der Nationalversammlung ab.
Sicherheitskräfte bauen Barrikaden in der Nationalversammlung ab.Reuters

Hintergrund ist, dass seit der Parlamentswahl im Sommer die Opposition um die Demokratische Partei (DP) eine deutliche Mehrheit in der Nationalversammlung hält. Gleichzeitig regiert der 2022 mit nur 0,8 Prozentpunkten Unterschied ins Amt gewählte Yoon als Präsident gemäß der Verfassung mit großen Gewalten insbesondere über die Sicherheitskräfte und in der Außenpolitik. In dieser strukturellen Pattsituation blockierte die DP eine ganze Reihe an Gesetzesvorhaben und hatte nun vor wenigen Tagen auch den von Yoon avisierten Haushalt für das kommende Jahr zusammengekürzt.

Südkoreas Politik ist seit jeher polarisiert, unerbittlich greifen sich die beiden Lager stets auch persönlich an. Steigende Lebenshaltungskosten, ein Wirtschaftsabschwung und Generationenkonflikte bei der weltweit niedrigsten Geburtenrate verstärken die Polarisierung. Als damaliger Staatsanwalt hatte Yoon einst selbst noch Spitzenpolitiker zur Anklage gebracht. Doch die beständigen Blockaden gegen seine Reformvorhaben jetzt waren dann zu viel für den Präsidenten Yoon.

Die DP und mithin „die Nationalversammlung, die das Fundament der freien Demokratie hätte sein sollen, ist zu einem Monster geworden, das sie zerstört“, deklamierte Yoon im Fernsehen. Er kritisierte Amtsenthebungsverfahren der Opposition gegen 22 von ihm eingesetzte Spitzenbeamte, zu denen seit der Wahl noch zehn weitere Verfahren gekommen seien. Hinzu kamen Korruptionsvorwürfe unter anderem gegen Yoons Ehefrau, die unter nicht ganz geklärten Umständen unter anderem an eine teure Dior-Handtasche gekommen ist.

Ein äußerst unbeliebter Präsident

Außenpolitisch sonnte sich Yoon im Lichte der engeren Anbindung an die USA und bekam Lob für die strategische Annäherung auch an Japan – der einstigen brutalen Kolonialmacht in Korea, die sich für ihre Taten aus Sicht zahlreicher Südkoreaner bis heute nicht richtig entschuldigt hat. Innenpolitisch nutzte Yoon das also kaum.

Abgeordnete der Oppositionspartei DP demonstrieren gegen Yoon.
Abgeordnete der Oppositionspartei DP demonstrieren gegen Yoon.AP

Zuletzt bewegten sich seine Beliebtheitswerte bei 19 Prozent. Unbestätigten Berichten zufolge wollte Yoon mit seinem Überraschungsangriff auf die Demokratie einem eigenen Amtsenthebungsverfahren zuvorkommen. Einen Antrag für ein solches haben nun die Oppositionsparteien gemeinsam eingereicht. DP-Oppositionsführer Lee Jae-myung, der 2022 noch so knapp gegen Yoon verloren hatte, sagte zuvor, Yoon habe „das Volk verraten“ und verlangte dessen sofortigen Rücktritt. Lee übrigens stand in diesem Jahr selbst wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht.

Für eine Amtsenthebung Yoons blieb zunächst unklar, ob das derzeit mit nur sechs Richtern besetzte Verfassungsgericht das für eine Amtsenthebung nötige Quorum aufweist. Die 300 Abgeordnete umfassende Nationalversammlung wiederum kann den Präsidenten mit einer Zweidrittelmehrheit absetzen. Yoons PPP hält derzeit 108 Sitze. Gut möglich, dass ihn da auch im eigenen Lager nicht mehr alle stützen werden.