Der naheliegende Gedanke ist, dass alle Leute die Politiker wählen, deren politische Gesinnung mit der eigenen übereinstimmt. Die Empörung über Leute, die den amerikanischen Präsidenten Donald Trump oder AfD-Politiker wählen, speist sich aus dieser Idee. Als ob die Wähler zwangsläufig die Gesinnung der Politiker teilen.
Was ist, wenn viele Leute beim Wählen nicht so sehr die Gesinnung im Kopf haben, sondern die staatliche Leistungsfähigkeit oder präziser gesagt, die Enttäuschung über das, was die Regierung leistet? Über das ganze politische Spektrum hinweg wünschen sich die Leute, dass die Regierung innere und äußere Sicherheit bereitstellt, sie vor Katastrophen bewahrt und gute Rahmenbedingungen für wirtschaftlichen Wohlstand schafft. Oder sogar noch schlichter, sie hätten gern eine Regierung, die ihr Leben spürbar verbessert und ihre Versprechen hält.
Enttäuschung darüber scheint ein vorherrschendes und zugleich grenzüberschreitendes Gefühl zu sein. „Ich bin absolut der Meinung, dass eine Regierung, die ihre Arbeit für die Menschen nicht erledigt, die Tür für Populismus öffnet“, sagt Marc Dunkelman, Forscher an der Brown-Universität, langjähriger demokratischer Washington-Insider und Autor des frisch erschienenen Buches: „Why nothing works“.
Dramatischer Vertrauensverlust
Als Dwight Eisenhower, John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson die USA als Präsidenten regierten, vertrauten 75 Prozent der Bürger darauf, dass die Regierung schon das Richtige tun würde, zeigen die Meinungsforscher von Pew Research. Heute glauben das in den USA nur noch 22 Prozent. Die Ursachen für den dramatischen Vertrauensverlust sind vielfältig. Aber ein Faktor ist die Leistungsfähigkeit der Regierung. „Die alten Regierungen haben ihre Versprechen gehalten“, sagt Bürokratieforscher Kevin Hawickhorst und nennt Beispiele: In den Fünfzigerjahren versprach die US-Regierung ein Autobahnnetz zwischen den Bundesstaaten. Und sie hielt sich dran. Sie kündigte das legendäre GI-Bill an, ein Gesetz, das es Veteranen ermöglicht, ein College zu besuchen. „Sie setzte es um, und die Menschen waren glücklich.“
Knapp 70 Jahre später scheiterte die US-Regierung an scheinbar einfachen Aufgaben: Die Biden-Regierung machte 2021 rund 7,5 Milliarden Dollar locker für ein umfassendes Netz aus Ladestationen für Elektroautos. Mitte 2024 waren elf errichtet bei einer Zielgröße von 500.000 bis 2030. Präsident Joe Biden versprach überdies bei seinem Amtsantritt im Jahr 2021, dass alle Menschen in Amerika Zugang zum schnellen Internet bekommen sollten. Obwohl im Rahmen des Infrastrukturgesetzes von 2021 knapp 42 Milliarden Dollar dafür bewilligt wurden, gelang es der Initiative bis zum Ende der Legislaturperiode nicht, auch nur eine einzige Familie mit dem schnellen Internet zu verknüpfen.
„Dieses Regierungsprogramm ist eine ungeheure Verschwendung von Steuergeld und dient den Bedürftigen in keiner Weise“, schrieb Elon Musk Mitte Juni 2024 in einem Twitterbeitrag. Da gab es die berüchtigte DOGE-Initiative (Department of Government Efficiency) nur in seinem Hinterkopf.
Linke bekommen ihre Herzensprojekte nur schwer genehmigt
Nach außen drangen im letzten Jahr der Biden-Regentschaft Wutausbrüche des Präsidenten darüber, dass seine legislativen Erfolge zur Finanzierung der Infrastruktur, der Halbleiterindustrie und der Klimapolitik so selten in greifbare Projekte mündeten, die die Leute als sichtbare Verbesserungen wahrnahmen. Mehr als die Hälfte der 1,6 Billionen Dollar, die der Kongress im Rahmen der großen Ausgabengesetze bewilligte, wurden noch nicht ausgegeben und können von der Trump-Regierung gestoppt werden, schreibt Jennifer Pahlka, die unter Barack Obama das Büro für Wissenschafts- und Technologiepolitik des Weißen Hauses geleitet hat und deren gemeinnützige Organisation Code for America Regierungsbehörden technologisch modernisieren hilft.
Es offenbart sich ein Paradoxon, meint der Forscher Dunkelman. Gerade das tief sitzende Misstrauen der Linken gegenüber zentralisierter Autorität hat nach seiner Analyse dazu geführt hat, dass sie den Regierungen übermäßige Beschränkungen auferlegt haben. Sie haben damit die bürokratische Ineffizienz herbeigeführt und die Fähigkeit der Regierung behindert, Großprojekte effektiv durchzuführen. Als es gegen Kernkraft, Autobahnen und die Gentrifizierung ging, war das willkommen. Doch jetzt bekommen Linke in den USA ihre Herzensprojekte wie Windräder, Überlandleitungen und neue Wohnungen nur schwer genehmigt.
Versagen nach Ausbruch der Pandemie
Die Unfähigkeit der amerikanischen Bürokratie offenbarte sich, als man sie am nötigsten brauchte. Nach dem Ausbruch der Pandemie in den USA schoss die Zahl der Arbeitslosen in die Höhe. Damals brachen in vielen Bundesstaaten die Behördensysteme zusammen, die für die Auszahlung von Arbeitslosengeld zuständig waren. Jennifer Pahlka, die die Fehlschläge untersucht hatte, fand Folgendes heraus. In New Jersey wurden COBOL-Programmierer aus dem Ruhestand geholt, um die komplett überlastete und technologisch veraltete Internetseite zu reparieren. Viele Systeme waren nicht auf Nutzer ausgerichtet, sondern auf Betrugsprävention. So durchliefen Anträge mehrere Überprüfungsstufen.
Als der Pandemieansturm kam, fror Kalifornien 1,4 Millionen Anträge ein, darunter viele mit legalen Ansprüchen. Gleichzeitig stieg der politische Druck, dass Geld so schnell wie möglich auszuzahlen. Das öffnete die Tür für Missbrauch, Verschwendung und Betrug. Der Generalinspekteur des Arbeitsministeriums schätzte in einer Senatsanhörung, dass 163 Milliarden Dollar zu viel ausgezahlt wurden, knapp 20 Prozent der ausgezahlten Summe.
Die Beispiele zeigen allerdings auch, dass es der linken Gruppen gar nicht bedarf, um Bürokratien lahmzulegen. Forscher Hawickhorst sieht eine natürliche Tendenz von Bürokratien, sowohl in der Anzahl der Verfahren als auch in der Anzahl der Mitarbeiter zu wachsen. „Jedes Mal, wenn etwas schiefgeht, wird eine neue Prüfebene in die Verfahren eingefügt. Und kein Bürokrat möchte jemals die Person sein, die ein Verfahren abschafft, falls wieder etwas schiefgeht.“ Dazu kommen laut Hawickhorst Politiker, die ihre neuen Ideen berücksichtigt sehen wollen in den Verfahren.
Lähmung durch Diversity-Auflagen
Der Chips-Act, ein gewaltiges Förderpaket für Amerikas Halbleiterindustrie und die Forschung, wurde so gelähmt durch „Diversity, Equity and Inclusion“-Auflagen und andere Restriktionen, dass Projekte zeitweise auf Eis gelegt oder ganz abgesagt wurden. Die Unternehmen sollten mit Unternehmen zusammenarbeiten, die Mitgliedern von Minderheiten gehörten. Sie sollten Kinderbetreuungspläne vorlegen. Sie sollten zusichern, dass sie ihre Ausschüttungen beschränkten und Aktienrückkaufprogramme unterließen. „Die angesprochenen woken Richtlinien sind meiner Meinung nach sehr destruktiv. Sie sind jedoch ein Symptom für dieses umfassendere Problem, dass Bürokratien niemals Verfahrensebenen entfernen werden, es sei denn, man schafft es, sie zu zwingen“, sagt Hawickhorst.
Trumps Attraktivität für Wähler liegt auch darin, dass er erfolgreich den Eindruck vermittelt, er kann Sachen durchsetzen. Dunkelman selbst erinnert daran, dass Trump als New Yorker Immobilienentwickler die unter Ägide der öffentlichen Verwaltung gestartete und im finanziellen Desaster mündende Renovierung der Eisbahn im Central Park übernahm und zu geringeren Kosten und vor der Zeit fertigstellte. In seiner ersten Amtszeit genehmigte er das „Warp Speed“-Programm zur Entwicklung und Freigabe von Covid-Impfstoffen und kämpfte erfolgreich gegen eine defätistische Gesundheitsbürokratie, um die Impfstoffe so schnell wie möglich auf den Markt zu bringen.
„Herr Musk scheint zu versuchen, sie zu zerstören“
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum Elon Musks DOGE in Amerika Zustimmung in der Bevölkerung findet. Gleichzeitig blicken viele, die sich selbst der Reform des öffentlichen Dienstes verschrieben haben, kritisch auf DOGE. „Musk wird vieler Dinge beschuldigt, für die ich kritisiert wurde: die Anwerbung von technischen Talenten, Ungeduld mit dem Status-quo und der Wunsch nach Umwälzungen“, schreibt Pahlka in der „New York Times“. „Aber mein Ziel, das Ziel vieler Demokraten und Republikaner gleichermaßen, war es, die Regierung neu zu beleben. Herr Musk scheint zu versuchen, sie zu zerstören.“
Tatsächlich ist das Bild von DOGE vor allem unscharf. Will DOGE zwei Billionen Dollar einsparen, will es die Verwaltung effizient machen und deren Informationstechnologie erneuern, will es schlicht Verschwendung und Betrug identifizieren und stoppen, oder soll der „Deep State“ ausgemerzt werden und Staatsdiener, die nicht loyal genug erscheinen, gefeuert werden?
Übertriebene Sparsummen
DOGE selbst beansprucht laut eigener Internetseite, 55 Milliarden Dollar eingespart zu haben. Es stellt sich aber heraus, dass die Zahl viel zu hoch gegriffen ist, weil ein gekündigter Vertrag nicht acht Milliarden Dollar, sondern acht Millionen Dollar wert war. Dazu kommt, dass gestoppte Projekte mit ihrer Gesamtsumme veranschlagt wurden, aber der wahre Sparbeitrag viel geringer ist, weil ein Teil des Geldes schon ausgegeben war. Das beunruhigt etwas, weil das DOGE-Team damit belegt, dass es entweder öffentliche Haushalte noch nicht richtig verstanden hat oder kleine Erfolge aufbauscht. Gleichzeitig identifiziert DOGE aber offensichtlich fragwürdige Zahlungen.
Größere fiskalische Wirkung dürften die Entlassungen haben, die zum einen rund 220.000 Personen in der Probezeit betreffen. Hinzu kommen rund 75.000 Leute, die das Angebot angenommen haben, gegen Auszahlung einiger Monatsgehälter aus dem Dienst auszuscheiden. Schließlich werden Behörden wie USAID geschlossen und die Beschäftigten vermutlich entlassen. Trump will ja offensichtlich sogar die ganze Steuerverwaltung schließen und durch eine Behörde ersetzen, die sich auf Zölle und Steuereinnahmen von Ausländern fokussiert.
Warum mit diesen Schritten Verwaltung effizienter wird, ist zumindest nicht selbsterklärend. Musk lässt in seinen öffentlichen Beiträgen eine Lust an der Destruktion erkennen, weniger am Aufbau. Dunkelman sieht DOGE als unausgereiften Versuch, echte Probleme zu lösen.