Neue Studie setzt auf Biomarker vor der OP

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Der Patient im fortgeschrittenen Alter muss wegen Darmkrebs operiert werden. Weil er raucht, steht es um seine Lunge nicht zum Besten. Dazu hat er es an den Nieren. Es gelingt, den Tumor zu entfernen. Doch danach bekommt der Patient eine Lungenentzündung, und die Nieren arbeiten nur noch schwach. Der Mann muss an die Dialyse und ist kränker als vorher. Es stellt sich heraus: Um sein Herz steht es auch nicht mehr so gut.

Ein solches Szenario ist nicht nur für den Kranken eine Katastrophe, weil er sich fortan regelmäßig der Blutwäsche unterziehen muss, wie Michael Sander sagt. Auch der Gesellschaft gereiche es zum Nachteil. Denn die Dialyse sei mit hohen Kosten verbunden, sagt der Direktor der Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie am Klinikum der Liebig-Uni. Eine von Gießen aus gesteuerte Studie soll helfen, solchen Komplikationen nach Eingriffen frühzeitig zu begegnen. Derzeit ermitteln die teilnehmenden Unikliniken dafür geeignete Patienten.

Uniklinik Gießen leitet die Studie

Außer der Uniklinik Gießen beteiligen sich die Charité in Berlin sowie die Unikliniken Hamburg-Eppendorf, Rostock und Würzburg an der bis 2027 angelegten Studie. In ihrem Mittelpunkt stehen Frauen und Männer über 65 Jahre mit einer Herzschwäche, die sich einer größeren Operation unterziehen sollen. Eingriffe am Herzen sind dabei ausgenommen. Der Gemeinsame Bundesausschuss von Krankenkassen, Kliniken und Ärzten unterstützt das Vorhaben mit 4,5 Millionen Euro.

Der Gießener Chirurgieprofessor Martin Schneider weist darauf hin, dass Krebs und Herzschwäche mit zunehmendem Alter immer häufiger aufträten. Es sei daher ein großer Erfolg für Sander und die auf Herzinsuffizienz spezialisierte Kardiologin Birgit Aßmus, für diese Studie Fördergeld eingeworben zu haben. Schneider war an der Konzeption nicht beteiligt, ist aber als Chirurg mit seinen Kollegen in das interdisziplinäre Projekt eingebunden.

Wie Sander unter Verweis auf eine Studie von 2012 erläutert, sterben in Europa vier Prozent und in Deutschland zwei Prozent der Patienten nach einem „mittelschweren bis schweren“ Eingriff – obwohl eine Operation an sich so sicher sei wie nie zuvor. Zudem komme es bei fast einem Fünftel zu Folgeerkrankungen. Bisher werde ein Patient nicht weiter mithilfe von Geräten untersucht, wenn er im Arztgespräch sage, er fühle sich allgemein gut und sei belastbar. Dann könne jedoch zum Beispiel eine Herzschwäche unerkannt bleiben.

Herzinsuffizienz komme im fortgeschrittenen Alter öfter vor als gedacht. „Von den Menschen über 75 hat jeder Zehnte eine Herzschwäche“, sagt Kardiologin Aßmus. Doch werde eine besonders ältere Frauen betreffende Variante im Alltag üblicherweise nicht festgestellt. Ein bestimmter im Herzen gebildeter Biomarker weise auf eine solche Erkrankung hin. Dies wollen sich die Forscher in der Studie zunutze machen.

Rund 200 Studienteilnehmer

Ein Gerät zeige anhand einer Blutprobe binnen Minuten eine Herzschwäche an. In solchen Fällen bekomme ein Patient umgehend einen Termin in einer Risikosprechstunde. Die Anästhesisten bekämen mehr Vorlaufzeit, um den Patienten zu beobachten. Idealerweise werde der Hausarzt eingebunden, das könne per Videokonferenz geschehen, sagt Sander. Optional könnten Psychosomatiker und Fachärzte teilnehmen. Geplant sei auch eine interdisziplinäre Visite nach der Operation. Das Kalkül dahinter: Je eher eine Infektion nach dem Eingriff erkannt werde, desto besser lasse sie sich behandeln. Speziell geschulte Pflegekräfte, sogenannte Heart Failure Nurses, betreuten die Operierten und begleiteten sie beim Übergang in die ambulante Behandlung.

Die Studienteilnehmer werden in zwei Gruppen unterteilt. Die eine wird nach dem neuen Schema behandelt, die andere auf die bisher in deutschen Kliniken übliche Art. So soll sich zeigen, ob sich der Einsatz des Biomarkers und die zunächst mit höheren Kosten verbundene interdisziplinäre Arbeit für Patienten, Kliniken und Krankenkassen lohnen – indem die Zahl der Komplikationen sinkt und Patienten im Durchschnitt kürzer im Krankenhaus bleiben.

Kliniken suchen Teilnehmer an Studie

Bisher hat das Gießener Uniklinikum rund 200 Frauen und Männer für die Studie gewonnen. Dabei sei in einer ganzen Reihe von Fällen eine Herzschwäche erstmals festgestellt worden, sagt Aßmus. „Mit dieser neuen Versorgungsform wollen wir erreichen, dass herzkranke Patienten nicht nur erkannt werden, sondern auch sicherer durch Operationen kommen und nach dem Eingriff weniger gesundheitliche Einschränkungen erleiden.“