Trumps Attacken auf Selenskyj schweißen Ukraine zusammen

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Nichts schafft in der ukrainischen Politik so verlässlich Einigkeit wie scharfe Angriffe von außen. Das zeigt sich auch nach den jüngsten verbalen Attacken des amerikanischen Präsidenten Donald Trump auf Wolodymyr Selenskyj.

„Keine verlogene Kreatur in Moskau, Washington oder sonst wo“ habe das Recht, schlecht über den ukrainischen Präsidenten zu reden, schrieb etwa der Bürgermeister der Millionenstadt Dnipro in sozialen Netzwerken. „Wir können Selenskyj mögen, und wir können ihn nicht mögen. Wir können ihn beschimpfen und ihn loben. Denn er ist unser Präsident.“

Auch aus der ukrainischen Opposition, die sonst nicht um ein schlechtes Wort über die Regierung verlegen ist, kommen energische Aufrufe zur nationalen Einheit. Die Vorsitzende der Oppositionspartei Holos, Kira Rudyk, äußerte etwa, da die Welt wieder auf die Ukraine blicke, müsse das Land die eigenen nationalen Interessen verteidigen. Das habe man 2022 getan, und das müsse man auch jetzt tun.

Trump droht Selenskyj

Am Mittwoch hatte Trump dem ukrainischen Präsidenten nicht nur zum wiederholten Male die Schuld am russischen Angriffskrieg gegeben, sondern ihn auch als „Diktator ohne Wahlen“ bezeichnet. Er drohte, Selenskyj werde bald „kein Land mehr haben“, wenn dieser sich nicht rasch bewege. In ultimativer Form forderte Trump von Selenskyj, einer Vereinbarung zuzustimmen, die den Vereinigten Staaten Zugriff auf seltene Erden in der Ukraine gewähre. Andernfalls werde etwas geschehen, was den Ukrainer „nicht sehr glücklich“ machen werde.

Trumps Äußerungen über Selenskyj klingen wie die Herabwürdigungen und Anschuldigungen, die aus Moskau regelmäßig zu hören sind – bis hin zu der Charakterisierung Selenskyjs als „mittelmäßig erfolgreichem Comedian“. Diese ist falsch, denn in der Ukraine war er vor seiner Wahl zum Präsidenten als Schauspieler ein Star.

Den von Trump erhobenen Vorwurf, Selenskyj verweigere Wahlen, erhebt Moskau seit dessen fünfjährige Amtszeit im Mai vergangenen Jahres ausgelaufen ist. Selenskyj ist jedoch weiter rechtmäßig im Amt. Die ukrainische Verfassung verbietet Wahlen während des Kriegsrechts, ebenso wie Verfassungsänderungen. Zudem besteht ein weitreichender Konsens aller relevanten politischen Kräfte und der Bevölkerung, dass Wahlen erst nach dem Ende des Kriegs stattfinden sollen. Die im Parlament vertretenen Parteien unterzeichneten im November 2023 ein Memorandum, wonach sowohl Parlaments- als auch Präsidentenwahlen frühestens sechs Monate nach Beendigung des Kriegszustandes stattfinden sollten.

Auch die Opposition will keine Wahlen

An diesen Konsens erinnerte Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko von der Partei Batkiwschtschyna. „Nur die Ukra­iner haben das Recht, zu entscheiden, wann und unter welchen Bedingungen sie ihre Regierung wechseln wollen“, sagte sie. Wahlen abzuhalten, nur um Verbündeten oder Feinden zu gefallen, sei unangebracht, da dies den internen Disput nur verschärfen werde, während die Ukra­ine mehr denn je Einheit und Stabilität brauche. „Unsere erste Aufgabe ist es, den Kreml daran zu hindern, unsere nationale Einheit heimtückisch und zynisch zu zerstören“, warnte Timoschenko.

Laut Umfragen sprechen sich auch zwei Drittel der Bevölkerung kategorisch gegen Wahlen vor einem stabilen Waffenstillstand aus. Die Organisation einer Wahl wird angesichts von mehreren Millionen Ukrainern, die ins Ausland oder innerhalb der Ukraine geflohen sind, und angesichts der Zerstörung vieler öffentlicher Gebäude, die früher als Wahllokale dienten, sowieso ein logistischer Kraftakt werden.

Dennoch wird in der Ukraine viel über Wahlen noch in diesem Jahr spekuliert, besonders weil aus Trumps Lager lange vor dessen Amtsantritt die Forderung danach geäußert geworden ist. Ukrainischen Medienberichten zufolge beginnen Parteien und potentielle Präsidentschaftskandidaten bereits mit Vorbereitungen für Wahlkämpfe. Selenskyj machte daraus in seiner Rede vor dem ukrainischen Parlament Ende vergangenen Jahres einen Vorwurf: In der Ukraine gebe es Menschen, die mehr an der innenpolitischen Auseinandersetzung interessiert seien als am Kampf für das Land. „Das ist tödlich für die Ukraine. Die Ukra­ine braucht zuerst einen gerechten Frieden, und dann werden die Ukrainer gerechte Wahlen durchführen.“

Sanktionen gegen den politischen Mitbewerber

Umgekehrt beschuldigt auch die Opposition Selenskyj und sein Umfeld, Entscheidungen an künftigen Wahlen auszurichten. Seit der in der Bevölkerung populäre Armeechef Walerij Saluschnyj vor einem Jahr abgesetzt wurde, unterstellen Kritiker dem Präsidenten, er wolle potentielle Konkurrenten kaltstellen. Als Selenskyj in der vergangenen Woche Sanktionen gegen seinen Amtsvorgänger Petro Poroschenko verhängte, bezeichnete dieser das als „demonstrative Säuberung des politischen Feldes“ und „kolossalen Schlag gegen die innere Einheit des Landes“.

Die Abgeordneten von Poroschenkos Partei Europäische Solidarität protestierten gegen den Schritt, indem sie die Rednertribüne des Parlaments besetzten – wie in den heißen Zeiten der ukra­inischen Innenpolitik vor der russischen Vollinvasion. Dabei hielten sie Plakate hoch, auf denen „Nein zur Diktatur“ stand und die Aufforderung „Nicht an Wahlen denken, sondern an den Sieg“. Mit einer Unterschriftensammlung gegen die Sanktionen wollen sie nun den Druck auf die Regierung aufrechterhalten. Die Europäische Solidarität ist die größte Oppositionsfraktion im Parlament, knapp ein Viertel der Ukrainer sieht in Poroschenko laut neuen Umfragen den Oppositionsführer.

Die Wut über die Sanktionen lässt sich auch in den Einheitsaufrufen aus der Fraktion ablesen. In Anspielung auf die amerikanisch-russische Zusammenkunft in Riad sagte etwa Iryna Heraschtschenko, das Grundprinzip „Nichts über die Ukraine ohne die Ukra­ine“ sei verletzt worden. Die Verantwortung für die „neue geopolitische Realität“ sieht sie aber zumindest auch bei der eigenen Regierung. Die „Bekämpfung von Bürgermeistern, Opposition und Militärführern“ schwäche die Ukraine „am Vorabend der wichtigsten und schwierigsten Verhandlungen“.

Seit drei Jahren präsentiere Selenskyjs Team neue Friedensgipfel und Sicherheitsvereinbarungen und ziehe so „die Aufmerksamkeit der Partner auf sich und vergeudet Zeit“, sagte Herasch­tschenko. Niemand spreche heute mehr davon, dass der ukrainische „Siegesplan“, den Selenskyj im Oktober im Parlament präsentiert hatte, alternativlos sei. Im Gegenteil: Die Frage der Bestrafung Russlands sei völlig aus der öffentlichen Debatte verschwunden, ebenso wie der „gerechte Frieden“.

„Niemand hat das Recht, unseren Reichtum zu verteilen“

Heraschtschenko kritisierte die Regierung für teure Infrastrukturprojekte. Man solle das Geld in solch einer kritischen Phase lieber in die Armee investieren, „um zu überleben“. Sie forderte Selenskyj auf, das Team für Verhandlungen mit den Amerikanern mit erfahrenen Politikern zu besetzen statt mit „seinen Brüdern in zerknitterter Pseudotarnkleidung“. Kiew dürfe nun nicht zulassen, dass jemand mit ukrainischen Gebieten und Souveränität Handel treibe. „Das erfordert ein Höchstmaß an innerer Geschlossenheit.“

In Anspielung auf Verhandlungen über die Ausbeutung natürlicher Ressourcen äußerte Heraschtschenko, „wir hören von ukrainischen Bodenschätzen, mit denen die geleistete Hilfe bezahlt werden soll. Und kein Wort über Reparationen für das Leid der Ukrainer und eingefrorene russische Vermögenswerte, die die Kosten unserer Partner für ihre Hilfe für Kiew decken sollten.“ Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko wird in dieser Hinsicht deutlicher: „Niemand hat das Recht, unseren nationalen Reichtum im Namen des ukrainischen Volkes großzügig zu verteilen ohne die Zustimmung des ukrainischen Volkes.“