Zahl der Hinrichtungen 2024 gestiegen

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Die Zahl der Hinrichtungen in Iran ist im vergangenen Jahr abermals stark angestiegen. Die in Oslo ansässige Organisation Iran Human Rights (IHR) hat in ihrem gerade erschienenen Jahresbericht 975 Fälle dokumentiert. Das entspricht einem Anstieg gegenüber dem Vorjahr um 17 Prozent und stellt den höchsten Wert dar, den die Organisation seit Beginn ihrer Aufzeichnungen im Jahr 2008 ermittelt hat. Die offiziellen Zahlen der iranischen Justiz sind weit geringer. Laut IHR werden 90 Prozent der Hinrichtungen nicht vermeldet.

Als Hauptgrund für den Anstieg sehen die Menschenrechtsaktivisten die Instabilität des Regimes, das für den eigenen Machterhalt zunehmend auf Repression und Einschüchterung setz. Die politische Dimension vieler Hinrichtungen ist auf den ersten Blick nicht leicht zu erkennen. In 95 Prozent der Fälle wurden die Betroffenen wegen Drogenverbrechen oder Morden verurteilt. Nur in wenigen Fällen ist der politische Hintergrund klar ersichtlich. So wurden neun kurdische Gefangene wegen angeblicher Mitgliedschaft in verbotenen Organisationen hingerichtet, fünf Personen wegen angeblicher Spionage für Israel und zwei Männer wegen Mordes im Zusammenhang mit den Frau-Leben-Freiheit-Protesten.

Zusammenhang mit politischen Ereignissen

Die IHR verweist aber auf eine Korrelation zwischen politischen Ereignissen und der Zahl der Hinrichtungen. So wurden im Februar und Juni vor den Parlaments- und Präsidentenwahlen die wenigsten Urteile vollstreckt. Zu solchen Zeiten bemüht sich das Regime, milde aufzutreten, um die Wahlbeteiligung zu steigern.

Im September dagegen stiegen die Hinrichtungen sprunghaft an, just zu der Zeit, in der der Konflikt zwischen Iran und Israel eskalierte. Die Autoren der Studie erklären das damit, dass die internationale Aufmerksamkeit von der Kriegsgefahr absorbiert worden sei, sodass Iran weniger Kritik habe fürchten müssen. Ein weiterer Grund dürfte sein, dass das Regime aufgrund der außenpolitischen Spannungen Widerstand im eigenen Land verhindern wollte und deshalb die Repression verstärkte.

Mehr als die Hälfte der Hingerichteten sind mutmaßliche Drogenkriminelle. Dabei war diese Zahl 2016 nach einer Gesetzesreform stark zurückgegangen. Damals, kurz nach dem Atomabkommen, zeigte sich Iran empfänglich für internationalen Druck. 2021 wurden die Änderungen in der Praxis wieder rückgängig gemacht. Davon sind Angehörige der Minderheit der Belutschen überproportional betroffen. Sie leben in der verarmten Grenzregion zu Afghanistan und Pakistan, durch die die internationale Drogenroute verläuft. In der Region operieren aber auch Separatisten. Der Mangel an fairen Prozessen dürfte dort besonders eklatant sein. Zudem wurden 80 Afghanen hingerichtet, deutlich mehr als in den Jahren zuvor. Das fällt zusammen mit einem zunehmend aggressiven Diskurs über Migration.

Eine Besonderheit des iranischen Strafrechts besagt, dass bei Mordfällen die Familie des Opfers entscheiden muss, ob ein Todesurteil vollstreckt wird. In 649 Fällen entschieden sich die Angehörigen, dem Täter den Tod zu ersparen. Teilweise wurden als Kompensation hohe Geldzahlungen verlangt. Die Studie dokumentiert einen Fall, in dem eine Million Euro verlangt wurde. Weil der Mörder nicht zahlen konnte, wurde er dann doch hingerichtet.