Während die Umfragewerte der vier führenden Parteien seit Wochen stagnieren – trotz einer Fülle an Fernsehauftritten, wie sie kein Wahlkampf bisher erlebt hat –, geht es derzeit nur für eine Partei hoch hinaus: die Linke. Seit Mitte Dezember hat sie sich über alle Umfrageinstitute hinweg in den Zustimmungswerten mindestens verdoppelt.
Diesen Höhenflug verdankt sie vor allem jungen Menschen. Auch bei „Deutschland spricht“, der Datingplattform für politischen Streit, tut sich in vielen Fragen ein Graben zwischen den Generationen auf. Besonders bei den Themen Migration, Bürgergeld und Maßnahmen gegen den Klimawandel gehen die Meinungen von Jung und Alt weit auseinander.
Nur 36 Prozent der unter 30-Jährigen befürworten eine stärkere Abschiebung von Menschen aus Deutschland, während 74 Prozent der über 65-Jährigen diese Maßnahme unterstützen. Ähnlich stark sind die Meinungsunterschiede bei der Frage, ob Geflüchtete an den deutschen Grenzen zurückgewiesen werden sollen: Lediglich 26 Prozent der Jüngeren stimmen zu, im Gegensatz zu 67 Prozent der Älteren.
Auch zwischen den Geschlechtern zeigen sich signifikante Unterschiede in der Migrationsfrage: Nur 49 Prozent der Frauen befürworten stärkere Abschiebungen, verglichen mit 73 Prozent der Männer. Bei der Zurückweisung von Geflüchteten an den Grenzen sprechen sich 40 Prozent der Frauen und 65 Prozent der Männer dafür aus.
Deutschland spricht 2025
Antwortverteilung
In den vergangenen Wochen hat die F.A.Z., zusammen mit „Zeit Online“ und erstmals auch der „Bild“-Zeitung, ihren Lesern acht Fragen gestellt. Beispielsweise ob die Schuldenbremse ein Fehler war, ob Donald Trump eine Gefahr für die Demokratie darstellt und ob die Regierung das Bürgergeld kürzen sollte.
10.103 Menschen haben geantwortet – und wurden anschließend von einem Algorithmus mit jenen Menschen zusammengeführt, die in möglichst vielen dieser Fragen anderer Meinung sind. In ganz Deutschland haben sie sich seither getroffen, um miteinander zu diskutieren.
„Ich bin der Meinung, wenn ein Mensch etwas Falsches tut, sollte er dafür bestraft werden, aber komplett unabhängig von Hautfarbe oder Nationalität“, sagt etwa Lea Anna Brings. Sie ist 18 Jahre alt und engagiert sich bei den Jusos. Timo Luckmann, 32 Jahre alt und von Beruf Baumkontrolleur, sagt dazu: „Die Grenze für eine Abschiebung sollte bei einem Jahr Gefängnisstrafe liegen. Menschen, die in dieser Art straffällig geworden sind, sollten erst ihre Strafe verbüßen und anschließend das Land verlassen müssen.“ In der Flüchtlingsfrage wünscht er sich, dass eine gesamteuropäische Lösung gefunden wird: „Etwa dass europaweit ein Flüchtlingsverteilsystem angewandt wird, wie wir es jetzt schon in Deutschland haben.“
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Bereits in der letzten Ausgabe von „Deutschland spricht“ anlässlich der Landtagswahlen in einzelnen Bundesländern gaben im September 2024 mehr als die Hälfte der Teilnehmenden an, dass Deutschland zu viele Geflüchtete aufgenommen habe. 2021 wurden die Leserinnen und Leser im Rahmen der Debattenaktion gefragt, ob mehr Menschen aus Afghanistan aufgenommen werden sollen. Das befürworteten damals noch 61 Prozent der Befragten.
Diplom-Sozialarbeiterin Mirjam Keita-Schlosser glaubt nicht daran, dass die Begrenzung von irregulärer Migration möglich ist. „Es werden immer wieder Menschen kommen – wir brauchen einheitliche Asylstandards und eine gerechte Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU“, sagt die 49-Jährige. Ihr 23 Jahre jüngerer Gesprächspartner Julian Morassi, der als Projektmanager in einem Konzern arbeitet, hält Migration für wichtig: „Wir profitieren davon, wenn ausländische Fachkräfte in unser Land kommen. Aber die Migration muss auch reguliert werden.“ Durch seinen beruflichen Alltag weiß Morassi, dass es schwierig sein kann, qualifizierte Fachkräfte zu finden.
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Die Teilnehmer der diesjährigen Aktion zeigen deutlich: Hier sprechen Menschen mit unterschiedlichen Lebensrealitäten und Überzeugungen. Während Baumkontrolleur Timo Luckmann am wichtigsten findet, dass die Schuldenbremse weiterhin eingehalten wird, „um zukünftige Generationen nicht mit noch mehr Schulden zu belasten“, sagt der 57-jährige Finanzanalyst Christian Gülich aus Hamburg, dass der Ukrainekrieg das zentrale Thema für seine Wahlentscheidung ist. In der Frage nach Waffenlieferungen positioniert er sich deutlich: „Deutschland muss die Ukraine massiv unterstützen.“ Obwohl er enttäuscht ist von der Politik der Ampel, sagt er, man könne den Grünen ihre klare Positionierung in der Ukrainefrage zugutehalten.
Über alle demographischen Gruppen hinweg sprechen sich die Teilnehmer von „Deutschland spricht“ mit 59 Prozent eher für die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine aus. Doch während im Osten Deutschlands 54 Prozent der Aussage zustimmen, antworteten 61 Prozent aus dem Westen mit „Ja“. Ähnlich fällt der Unterschied zwischen den Geschlechtern aus: Während nur 53 Prozent der Frauen mit Ja stimmen, sagen 61 Prozent der Männer, dass sie dafür sind, Taurus-Marschflugkörper zu schicken.
Viel größer ist der Dissens zwischen Mann und Frau allerdings in der Frage nach dem Bürgergeld. Hier sagen nur 33 Prozent der Frauen, dass die zukünftige Regierung dieses kürzen sollte, während es bei den Männern 58 Prozent sind. Timo Luckmann gibt bei dem Thema zu bedenken: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Menschen freiwillig arbeitslos zu Hause bleiben möchten. Statt Kürzungen sollten eher Unterstützungsmaßnahmen angeboten werden. Denn Arbeit macht am Ende doch oft auch Spaß.“
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Mit Blick auf die USA glaubt Christian Gülich nicht, dass Donald Trump der Demokratie insgesamt gefährlich werden kann. „Schließlich ist Trump durch eine reguläre demokratische Wahl an die Macht gekommen.“ Putin sei die größere Gefahr. Das sieht Lea Anna Brings anders, sie sagt: „Die Demokratie ist immer in Gefahr, besonders wenn sich Menschen wie Elon Musk einmischen, weil sie Geld haben und nicht, weil sie gewählt werden.“ Sie sieht vor allem die Chancengleichheit gefährdet, wenn bestimmte Parteien stärker als andere von Wahlkampfspenden profitieren.
Und wie steht es um die Gerechtigkeit in Deutschland? In dieser Frage waren sich bei „Deutschland spricht“ mehr Menschen einig als in allen anderen: Über alle Alter, Geschlechter und auch über die Wohnorte zwischen Ost und West hinweg, sagten in allen Fällen die deutliche Mehrheit: Eine solche gibt es in Deutschland nicht. Wenn das nicht eine klare Aufgabenstellung an die neue Regierung sein sollte – wie auch immer die Wahl am Sonntag ausgehen mag.