ÖVP, SPÖ und Neos streben Koalition an

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Nach fast fünf Monaten der Versuche einer Regierungsbildung in Österreich konnte Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Samstagmittag mit mildem Lächeln verkünden: „Jetzt ist wirklich etwas weiter gegangen.“ Zuvor waren die Parteivorsitzenden von Christ- und Sozialdemokraten sowie Liberalen bei ihm zum Gespräch in die Wiener Hofburg gekommen.

Christian Stocker (ÖVP) und Andreas Babler (SPÖ) haben seit Ende vergangener Woche miteinander einen dritten Anlauf für eine Koalition genommen und am Donnerstag Beate Meinl-Reisinger (Neos) hinzugebeten. ÖVP und SPÖ hätten zusammen nur eine äußerst knappe Mehrheit im Parlament von einer Stimme, und Van der Bellen pochte von Anfang an auf eine „stabile“ Regierung.

Van der Bellen sagte nach dem Gespräch mit den drei Parteiführern: „Ich orte bei ÖVP, SPÖ und Neos die Bereitschaft, voranzugehen, mit dem Blick auf das Staatsganze.“ Es gehe nicht nur darum, den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen, sondern auch darum, „die Stimmung im Land zu sanieren, neue Zuversicht zu schaffen“, betonte Van der Bellen.

Die kommenden Jahre würden schwierig, „machen wir uns nichts vor“, auch aufgrund der geopolitischen Situation. Europa müsse aktiv werden und Österreich werde seine Rolle dabei spielen, zudem sei auch in der inneren Sicherheit „ein entschlossenes Vorgehen“ notwendig. Eine Entwicklung zum Besseren müsse man jetzt „zügig und nachhaltig angehen“. Er wünsche sich von einer neuen Regierung das Bemühen, Österreich wieder an die Spitze zu bringen.

Ein Zwischenspiel mit der FPÖ

Aus der Wahl Ende September 2024 ist die FPÖ als stärkste Kraft hervorgegangen, doch hatten alle anderen Parteien ausgeschlossen, mit der rechten Partei beziehungsweise ihrem Vorsitzenden Herbert Kickl zusammen zu regieren. ÖVP, SPÖ und Neos nahmen zunächst Regierungsverhandlungen auf, die sich aber zäh gestalteten. Anfang dieses Jahres stiegen die Neos aus, weil sie nach den Worten Meinl-Reisingers bei den anderen beiden und besonders bei der SPÖ keine Bereitschaft zu notwendigen Reformen sahen.

Die ÖVP brach daraufhin auch bald ihre Gespräche mit der SPÖ ab und wandte sich doch Kickl zu. Doch auch diese Gespräche scheiterten. Nach diesem Zwischenspiel streben also nun doch ÖVP, SPÖ und Neos ein Bündnis an, das auf dem Boulevard „Zuckerl-Koalition“ getauft worden ist.

Das würde auch bedeuten, dass nicht Wahlsieger Kickl, sondern der Vorsitzende der zweitstärksten Kraft Bundeskanzler in Wien würde, das ist Stocker seit dem Rückzug von Karl Nehammer. Die FPÖ echauffierte sich darüber und behauptete, es ereigne sich der „größte Wählerbetrug der jüngeren Politikgeschichte“. Aber dass nicht die stimmenstärkste Partei den Kanzler stellt, ist durchaus schon vorher vorgekommen: 2000 wurde Wolfgang Schüssel Bundeskanzler, obwohl seine ÖVP sogar nur Dritter geworden war – dank seiner Koalition mit niemandem anders als der FPÖ.

Stocker äußerte sich nun „sehr zuversichtlich“, dass die Verhandlung über ein Regierungsprogramm zwischen den drei Parteien zu einem baldigen Ende kommen werde. „Möglichst rasch“ stabile Verhältnisse zu erzielen, ist auch das erklärte Ziel von SPÖ-Chef Babler.

Noch nicht am Ziel

Eine ihm beim Verlassen des Saales nach den drei Statements zugerufene Frage, ob er erwarte, nun Bundeskanzler zu werden, beantwortete Stocker nicht. In seiner Stellungnahme sagte er nur, es habe sich in den Gesprächen gezeigt, dass eine gemeinsame Basis vorhanden sei, um Kompromisse zu neuen Lösungen für Österreich zu finden. Man werde daher alles daran setzen, „zeitnah“ diese Regierung zu bilden. Deren wichtigste Aufgaben sah Stocker im Sicherheitsbereich, der Bildung, Reformen für einen „schlankeren“ Staat sowie darin, „das Leben leistbar zu machen“.

Babler nahm für sich in Anspruch, Staats- vor Parteiinteresse gestellt zu haben. „Hinter uns liegen sehr intensive Tage und Nächte“, nun beginne ein „Finalisierungsprozess“. Sein Anspruch sei, dass die Menschen sich nicht um Politik zu sorgen hätten, sondern umgekehrt, dass die Politik dafür sorgen müsse, dass ihr Leben wieder leichter werde.

Meinl-Reisinger mahnte allerdings: „Wir sind noch nicht ganz am Ziel,“ es sei keine leichte Situation. Doch sei man „in der Zielgeraden“. Die Neos-Chefin war darum bemüht, darzustellen, dass ÖVP und SPÖ nun mehr Bewegung gezeigt hätten als im ersten Anlauf. Außerdem sei dadurch eine neue Lage gegenüber derjenigen, in der sie am 3. Januar selbst vom Verhandlungstisch aufgestanden ist, gegeben: Auch FPÖ und ÖVP hätten es nicht geschafft, eine Regierung zu bilden, und auch die geopolitische Situation habe sich verändert.

Van der Bellen schien mit der Entwicklung jedenfalls zufrieden zu sein. Auch wenn sein öffentliches Grußwort nicht den drei Parteivorsitzenden galt, sondern den Berichterstattern: „Schön, Sie wieder hier zu sehen in der Hofburg, danke für Ihr Interesse“.

In österreichischen Medien kursierten an diesem Wochenende bereits Meldungen über die künftige Verteilung der Aufgaben in der Regierung. Demnach könnte die ÖVP wie bisher den Bundeskanzler stellen sowie unter anderem das Innen-, Verteidigungs-, Landwirtschafts- und Wirtschaftsministerium besetzen.

Nicht zuletzt am Streit über das Innenministerium waren die Verhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP gescheitert. Der SPÖ fielen unter anderem das Finanz-, Sozial-, Umwelt- und Verkehrsressort zu. Die Neos sollen zwei Ministerien besetzen dürfen. Die Rede ist vom Bildungs- und dem Außenministerium, gegebenenfalls alternativ auch dem Justizministerium.

Der bisherige Außenminister und geschäftsführend amtierende Bundeskanzler Alexander Schallenberg will jedenfalls der künftigen Regierung nicht mehr angehören, wie er am Samstag mitteilte.