Der 22. Dezember 2032 wird nun wohl doch ein ganz normaler Mittwoch in der Vorweihnachtszeit werden. An diesem Tag wird der Asteroid 2024 YR4 der Erde zwar so nahe kommen, dass es für ein paar Wochen so aussah, als würde er mit ihr kollidieren – irgendwo entlang eines Korridors von Kolumbien über Nigeria und den Jemen nach Bagladesch. Doch nach den neuesten Beobachtungen mit dem „Very Large Telescope“ der europäischen Südsternwarte ESO auf dem Cerro Paranal in Chile sowie Berechnungen des Near-Earth Object Coordination Centre der europäischen Raumfahrtagentur ESA beträgt die Wahrscheinlichkeit für eine Kollision mit der Erde nun doch nur noch 0,001 Prozent. Zuvor hatten Forscher eine höhere Einschlagswahrscheinlichkeit errechnet.
Wenigstens eine gute Nachricht, werden manche von der Weltlage bedrückte Zeitgenossen nun denken, war doch die Einschlagswahrscheinlichkeit von der ESA noch vor einer Woche von zuvor 1,4 auf 2,8 Prozent heraufgesetzt worden, von den Experten der NASA sogar auf 3,1 Prozent. Doch aufgrund der Unsicherheiten müsse man sich die Wolke der möglichen erdnächsten Punkte des Asteroiden im Dezember 2032 wie den Lichtkegel einer Taschenlampe vorstellen: breiter und verwaschener in der Distanz, erklärt der Astronom Olivier Hainaut von der ESO das Phänomen. „Als wir mehr beobachteten, wurde der Kegel schärfer und enger, die Erde wurde damit stärker beleuchtet, sodass die Wahrscheinlichkeit eines Einschlags anstieg.“
Nach den neuesten Beobachtungen aber wird in diesem Bild der Kegel möglicher Positionen des Brockens am 22. Dezember 2032 ziemlich sicher an der Erde vorbeileuchten. Es gibt nur noch eine minimale Restwahrscheinlichkeit für einen Treffer. Der Asteroid führt damit nicht mehr länger die „Risk List“ der ESA an und wurde auf der Torino-Skala auf null eingestuft. Dabei wird es wohl bleiben, zumal 2024 YR4 sich im Moment von Sonne und Erde entfernt und nur noch mit den größten Teleskopen weiter zu beobachten wäre. Wenn er sich im Sommer 2028 der Erde wieder nähert, wird man seine Bahn noch einmal überprüfen. Doch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird er uns nicht mehr wieder beschäftigen – jedenfalls nicht innerhalb der nächsten 100 Jahre. Weiter lassen sich Asteroidenbahnen nicht vorausberechnen.
Doch der nächste Alarm ist uns gewiss. 2024 YR4 heißt deswegen so, weil er kurz nach Weihnachten überhaupt erst entdeckt wurde – das Y verweist auf eine erste Sichtung in der zweiten Dezemberwoche. Aber es gibt auch noch unbekannte Weltraumbrocken, und diese bereiten den Astronomen Sorgen. Allerdings: Von denen ist kaum einer groß genug, um in absehbarer Zeit den Weltuntergang oder auch nur das Ende der Zivilisation herbeizuführen. Die erdnahen Boliden, die dazu imstande wären, sind zu mehr als 95 Prozent bekannt, und die Ungefährlichkeit ihrer Bahnen ist für die nächsten 100 Jahre gesichert. Das Risiko, von einem der verbleibenden getroffen zu werden, ist zehnmal geringer als das einer vulkanischen Supereruption mit vergleichbaren Folgen.
Das Problem sind aber die kleineren. 2024 YR4 ist zwischen 40 und 90 Meter groß und würde beim Einschlag auf die Erdoberfläche die Wirkung eines großen thermonuklearen Gefechtskopfes entfalten. Von solchen kleinen Gesteinsbrocken schwirren rund hunderttausendmal mehr durch das erdnahe All, als bekannt sind. Und rein statistisch wird die Erde einmal im Jahrhundert von so einem Ding getroffen. Zuletzt passierte das 1908 in der sibirischen Taiga.
Heute gibt es viel mehr Siedlungsflächen und Infrastruktur, die von derlei betroffen wären. Würde der Asteroid im Ozean niedergehen, träfen ausgelöste Tsunamis wesentlich dichter besiedelte Küsten. „Planetary Protection“, wie man die teleskopbewehrte Wachsamkeit gegenüber kosmischen Brocken sowie raumfahrttechnische Überlegungen zu Abwehrmaßnahmen nennt, ist daher keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Astronomen oder die PR-Kampagne einer Weltraumlobby. Aber sie funktioniert nur mit langfristiger und öffentlich finanzierter internationaler Zusammenarbeit. Bedenkt man dies, ertappt man sich dieser Tage bei dem Gedanken, es wäre vielleicht besser gewesen, in Sachen 2024 YR 4 hätten die Forscher erst in ein paar Jahren Entwarnung geben können.