Immer wieder diskutiert die Wissenschaft, ob der Golfstrom kippen könnte. Eine Studie zeigt nun: Auch mit extremer Klimaerhitzung ist ein Kollaps unwahrscheinlich – dennoch müssen wir mit drastischen Folgen rechnen.
Er ist unsere Warmwasserheizung in Europa: der Golfstrom als Teil der Atlantischen meridionalen Umwälzzirkulation (AMOC). Doch diese natürliche Meerwasserpumpe hat sich bereits abgeschwächt. Und noch dramatischer: In jüngster Vergangenheit hatten mehrere Studien einen kompletten Stillstand dieses komplexen Systems durch die menschengemachte Klimaerhitzung vorhergesagt – mit verheerenden Folgen für das Weltklima.
Eine neue Studie, rund um den britischen Klimaforscher Jonathan A. Baker und Robert Woods, zeigt nun: Selbst wenn sie in ihren Klimasimulationen eine extreme Erwärmung der Atmosphäre annehmen – eine Vervierfachung des CO2-Gehalts im Vergleich zum vorindustriellen Niveau – würde die Atlantische Umwälzpumpe nicht komplett kollabieren. Ihre Ergebnisse veröffentlichte das Forschungsteam nun im Fachjournal Nature.
Abschwächen der Zirkulation ist wahrscheinlich
Allerdings beobachten die Forschenden in allen Modellen, dass sich das für uns wichtige Ozean-Strömungssystem deutlich abschwächen könnte bis 2100, also bis zum Ende des Jahrhunderts. Außerdem nimmt die Studie an, dass durch die Klimaerwärmung große Mengen Eis aus Grönland, im Norden der Erde, schmelzen könnten.
Ein Prozess, der längst begonnen hat und mit dafür verantwortlich sein könnte, dass sich die AMOC bereits verlangsamt hat. Denn je mehr von diesem Schmelzwasser in den Nordatlantik fließt, desto leichter wird dort das Oberflächenwasser. Denn der Salzgehalt verändert sich und damit auch die Dichte. Das Wasser sinkt dann nicht mehr so einfach in die Tiefe. Die Pumpe gerät ins Stocken.
Der neuen Studie nach bleibt der komplette Kollaps aber deshalb aus, weil Winde über dem südlichen Ozean die Meerwasserpumpe weiterhin antreiben und dadurch zumindest stückweise stabilisieren. Die bildhafte Erklärung der Forschenden: Wenn Wasser an der Oberfläche aufsteigt, muss es an anderer Stelle absinken. Das ist die Massenerhaltung.
Was ist die AMOC?
Die Atlantische meridionale Umwälzzirkulation (AMOC) ist Teil einer globusumspannenden Strömung in den Weltmeeren. Das Prinzip: Der unterschiedliche Salzgehalt, verschiedene Temperaturen und Winde sorgen dafür, dass die Wassermassen in unseren Ozeanen rund um den Globus zirkulieren, von der Meeresoberfläche bis zur Tiefsee. Die Forschung bezeichnet das komplexe System auch als ein globales, marines Förderband (ocean conveyor belt).
Der wahrscheinlich bei vielen Menschen bekannte Golfstrom vor dem Golf von Mexiko ist Teil der AMOC. Dabei strömt warmes Oberflächenwasser aus dem Golf von Mexiko an der nordamerikanischen Ostküste entlang in Richtung des Nordatlantiks. Diese Strömung sorgt für unser mildes Klima in West- und Mitteleuropa sowie in Teilen Nordeuropas. Auf dem Weg in den Norden kühlt das vormals warme Meerwasser ab. Außerdem steigt durch die Verdunstung der relative Salzgehalt. Das kältere und salzreiche Meerwasser sinkt an verschiedenen Stellen um Grönland in die Tiefe und strömt als Tiefenwasser zurück in Richtung des Äquators. Eine große natürliche Pumpe.
Wissenschaftswelt lobt Komplexität der neuen Studie
Gegenüber dem Science Media Center (SMC) loben andere Klimaforscher vor allem die komplexe Herangehensweise der aktuellen Studie. Die simuliert mithilfe von insgesamt 34 Supercomputern das Wettergeschehen der Zukunft wie in einem Aquarium sehr kleinräumig. Dabei beachtet sie auch Wechselwirkungen zwischen der Atmosphäre, den Ozeanen und der mit Eis bedeckten Erdoberfläche, der Kryosphäre.
Grafische Darstellung des weltweiten Strömungssystems: Es verbindet vier Ozeane miteinander und vereint sie zu einem großen Kreislauf.
Einer, der sich die Studie angesehen hat, ist Niklas Boers, Professor für Erdsystemmodellierung an der Technische Universität München (TUM). Gegenüber dem ARD-Kompetenzcenter Klima erklärt er: “Diese Modelle sind wirklich die Crème de la Crème der Klimamodelle.” Auch der Weltklimarat (IPCC) nutze sie für seine Sachstandsberichte.
Jochem Marotzke, Direktor der Forschungsabteilung Klimavariabilität am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg sagt, die Studie zeichne sich durch die differenzierte Herangehensweise aus. Das sei in den zuletzt erscheinenden Studien häufig nicht der Fall gewesen.
Beliebte Forschung: Kippt die AMOC?
Ein möglicher Kollaps der AMOC wird in der Forschung immer wieder mit vielen Unsicherheiten diskutiert. Stefan Rahmstorf erforscht bereits seit mehr als 30 Jahren das Ozean-Strömungssystem. Der Leiter des Forschungsbereiches Erdsystemanalyse, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) erklärt: “Ich bin skeptisch, dass wir jemals eine zuverlässige Frühwarnung bekommen, im Sinne von einem Kipppunkt in 20 Jahren.”
Selbst ein Abschwächen hätte dramatische Folgen
Denn bereits ein Abschwächen der Meerwasserpumpe gehe einher mit dramatischen Folgen für das Klima und die Menschen auf der Erde. Boers erklärt, das Monsunregenband über den Tropen würde wahrscheinlich durcheinandergeraten. Das sei für viele Menschen in Südamerika, Indien und auf dem Afrikanischen Kontinent wichtig.
Der Sonderbericht des Weltklimarats (IPCC) hält diese Abschwächung der Atlantischen Umwälzströmung im 21. Jahrhundert für sehr wahrscheinlich, erwartet jedoch keinen abrupten Zusammenbruch in diesem Zeitraum. Gleichzeitig warnt der IPCC, dass ein solcher Kollaps durch unerwartet große Mengen an Schmelzwasser aus Grönland ausgelöst werden könnte.
Marotzke erklärt: “Auch wenn die große Katastrophe ausbleibt, werden die Folgen trotzdem erheblich sein.” Er verweist auf eine andere Studie, die erst kürzlich von Forschenden der Universität Hamburg veröffentlicht wurde. Fazit: Selbst eine “nur” abgeschwächte Meeresströmung könnte Billionen kosten.
Forderungen nach schnellem Klimaschutz
Auch Rahmstorf sagt, das Risiko eines Versiegens der AMOC durch die menschengemachte Klimaerhitzung bleibt. Deshalb sei das Vorsorgeprinzip umso wichtiger: “Es sollte nach wie vor eine Priorität der Politik sein, so schnell wie möglich aus der fossilen Energie auszusteigen und unsere Treibhausgasnutzung auf null zu bringen.”
Ein Kippen der AMOC hätte laut Definition zur Folge, dass sich diese Veränderung des Systems nicht mehr zurückschrauben ließe. Für Niklas Boers ist diese neue Studie dahingehend auch mit einer Hoffnung verbunden. Denn selbst in der extremen Klimaerhitzung schwächt sich die Meerwasserpumpe zwar ab, sie kollabiert voraussichtlich aber nicht, oder zumindest nicht so schnell: “Wenn wir es schaffen, den Temperaturanstieg zu reduzieren, können wir die schlimmsten Folgen wieder zurückführen.”